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Wissensraum Innenstadt
Cent) für indische Staatsbürger * innen oder sogar freiem Eintritt, wenn ausschließlich die Cafeteria besucht wird. Anders als zum Beispiel in Shopping Malls gibt es im MP Tribal Museum keine soziale Diskriminierung: niemand wird vom Wachpersonal schief angesehen oder gar zurückgewiesen, weil er oder sie nicht nach ausreichender Kaufkraft aussieht. Und trotzdem bietet die Anwesenheit von Aufsichts-und Wachpersonal den Schutz, den gerade im öffentlichen Raum prekäre Gruppen wie Frauen oder datende Paare, aber auch die Angehörigen minoritärer Religionsgemeinschaften benötigen.
Bottom-Up-Zugang Hier liegt beim Thema Museen als „ Dritte Orte“ wahrscheinlich der größte Unterschied zwischen Indien und einem Land wie Deutschland. Museen bei uns bemühen sich konzeptionell, Räume im Haus als „ Dritte-Orte“ umzugestalten, dafür geeignete Veranstaltungsformate zu finden, diverse Nutzungen zu kuratieren, das alles oft mit Hilfe von externen Gestaltungsbüros oder hinzugezogenen Expert * innen. Vor allem das Wort „ aktivieren“ fällt in diesem Zusammenhang oft. 2 Im MP Tribal Museum ist der Aktivitätsimpuls umgekehrt: Er geht von den Besucher * innen aus und wird von der Museumsleitung( manchmal skeptisch) akzeptiert. Räume im Museum werden als „ Dritte Orte“ nicht bereitgestellt, sondern von den Besucher * innen selbst durch ihre Nutzungen so definiert und angeeignet. Damit ist nicht das Museum der primäre Impulsgeber, sondern die Besucher * innen selbst sind es. Diese Bewegungsrichtung habe ich in meiner Arbeit mit dem Begriff der „ Sozialen Landnahme“ gefasst. 3
„ Soziale Landnahme“ hat zunächst einen äußerlich sichtbaren, pragmatischen Charakter, der sich in der Umfunktionierung und Umnutzung des Museumsraums äußert. Die Besucher * innen vergrößern damit ihren Spielraum im Museum; sie entwickeln Nutzungsformen, die ihren eigenen individuellen Bedürfnissen entsprechen, und besetzen dafür geeignete Orte im Museum. Sie eignen sich den Museumsraum an und verwandeln ihn in ihren „ Dritten Ort“, entsprechend ihrer jeweiligen Präferenz, sei es nun Picknick, Dating, Hang-Out oder kreatives Arbeiten. Warum solche „ Soziale Landnahme“ gerade in diesem Museum möglich ist und stattfindet, hat auch damit zu tun, dass im MP Tribal
Museum nicht die Objekte einer dominanten Mainstreamkultur ausgestellt werden. Die Kultur der Adivasi wird, allgemein als eine Art indische Ursprungskultur wahrgenommen, die allen Bürger * innen des Landes gemeinschaftlich gehört. Obwohl die einzelnen religiösen Gruppen in anderen gesellschaftlichen Räumen durchaus spannungs- und konfliktreich miteinander umgehen, zeigen sie sich im Museum entspannt auch gegenüber Vertreter * innen anderer Glaubensgemeinschaften. Gute „ Dritte Orte“ werden nach Oldenburg als neutraler Boden empfunden( Oldenburg 1989: 22). Hier gibt es nicht auf der einen Seite die Gastgebenden, die einen normativen Rahmen vorgeben, und auf der anderen die Gäste, die sich daran halten müssen. Sondern hier fühlen sich alle Besucher * innen ermächtigt, die Nutzungen des Hauses mindestens mitzuprägen.
4. Schlussbemerkung: Was bewirkt das Konzept „ Dritter Ort“ fürs Museum, und was können wir vom indischen Beispiel lernen?
In der indischen Forschung ist die Feststellung praktisch unbestritten, dass zwischen der von den britischen Kolonialherren eingeführten Institution Museum und seinem einheimischen Publikum bis heute ein Abgrund der Entfremdung klafft. Deshalb versuchte der Programmdirektor des Tribal Museums, Ashok Misra, sich gegen die Bezeichnung „ Museum“ für sein Haus zu wehren. Ehe man denkt, das sei ausschließlich ein Problem nicht-westlicher Kulturkontexte, sollte man sich jedoch klarmachen, dass auch in Europa, der Geburtsstätte des Museums, die Fremdheit nicht unbeträchtlicher sozialer und kultureller Milieus gegenüber der Institution Museum seit längerem diskutiert wird. Die indische Situation erscheint in diesem Licht nicht mehr als abgelegenes Phänomen, sondern eher wie ein radikal zugespitztes Krisenszenario, von dessen Lösungsansätzen wir auch in Europa profitieren können.
Dazu gehört auch, dass die Rolle des Museums in enger Wechselwirkung mit den wahrgenommenen Defiziten der modernen Stadt und den Alltagsbedürfnissen ihrer Bürger * innen von den Besucher * innen ständig neu verhandelt wird. Modernen Museum hierzulande ist oft ihre
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Siehe dazu exemplarisch das Konzept des „ Freiraums“ im Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg. www. mkg-hamburg. de / freiraum( letzter Aufruf 19.07.2024)
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Vgl. Ross 2023: 276-278
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