Sonntagsblatt 6/2016 | Page 25

mein (ungarn-)deutschtum (25) Stellungnahme zu obigem Beitrag: Patrick Schwarcz-Kiefer über seinen Weg zum Ungarndeutschtum Das Bleyer-Zitat stammt aus der Rede Jakob Bleyers im Unga - rischen Abgeordnetenhaus am 9. Mai 1933 – und lautet auf Deutsch: Wir sind stolz darauf, dass wir die Söhne eines solchen tausendjähri- gen Vaterlandes sind, das solche erhabene Könige besaß wie Sankt- Stefan und Mathias Hunyadi, dann solche große Staatsmänner wie Nikolaus Zrínyi, Stefan Széchenyi und Ludwig Kossuth. Doch sind wir auch darauf stolz, dass wir einer solchen Sprach- und Kulturge - meinschaft angehören, die einen Goethe, Kant und Beethoven hat… Viele unserer wankelmütigen Landsleute (mit schwankender, unsicherer Identität) wollen mit diesem Zitat Bleyers eine Dop - pel identität bestätigt wissen (Bleyer als Vater der Doppel iden - tität!). Ja, Bleyer hat hier auf seine (auch) ungarische kulturelle Identität hingewiesen, da er doc h neben seiner schwäbischen Er - ziehung im Elternhaus in der Schule NUR ungarische Geschichte kennenlernen durfte. Dabei kann sein ungarischer Patriotismus nicht geleugnet werden. Doch schon im nächsten Satz seiner Rede weist er auf diesen Mangel unserer kulturellen Erziehung hin, wo er sagt: …wir verlangen…im Geiste des Sankt Stefans-Gedankens deutsche Schulen, deutsche Kirchen und alle jene Mittel, womit wir die Sprache unserer Ahnen erhalten und unsere Volkskultur entfalten kön- nen… Bleyer hat also mit obigen Worten seine kulturelle Bildung/ Zugehörigkeit erklärt, nicht aber seine „volkliche/nationale Zuge - hörigkeit” (da er doch selber rein deutscher Abstammung und auch Vertreter der deutschen Volksgemeinschaft war). Was die Ab - stam mung anbelangt, die Nationalität/Volkszugehörigkeit, da war Bleyer einwandfrei Deutscher = „Ungarländischer Deutscher” (dem damaligen Wortgebrauch entsprechend). Und nicht vergessen, wenn Bleyer betont guter Ungar zu sein, dann bekennt er sich nicht als Madjare! – sondern, er ist als Bürger Ungarns ein Ungar. So wie wir Deutsche in Ungarn auch (ganz richtig) Ungarn sind, weshalb der Begriff „Ungarndeutsche” auch richtig ist (magyarországi német – was wieder auch als Deutscher in Ungarn übersetzt werden kann). Nur, auch hier glauben unsere volklich schwankenden Brüder und Schwestern es besser zu wissen: Sie (manche) erklären stolz: Ich bin nicht Deutsche/r, nur Ungarndeutscher, – eventuell mit et - was Verdrehung(?) Ungardeutsche/r (ohne n in der Mitte), was dann schon wirklich nicht mehr magyarországi német, sondern eben schon magyarnémet (madjarischdeutscher) bedeutet. Freilich, bei Mischehen ist diese Zugehörigkeits-Frage kompli- zierter, doch ist auch bei solchen ein eindeutiges Bekenntnis er - wünscht. Die Madjaren sprechen im Falle der Auslandsmadjaren auch nicht von Doppelidentität, „mert maradjanak meg magyar- nak” (sie sollen Madjaren bleiben!). Naja, im Lande der Mad - jaren, also im Inland/Ungarn, ist die Doppelidentität der Minder - heiten gepriesen/erwünscht, ist sie doch bekannterweise die Über- gangsform von einer Identität in die andere. Wäre hier im Lande die Doppelidentität allgemein gängig, so müsste doch mancher gute Madjare sich als z.B. Kumane/Ungar oder… deklarieren. Dabei spielt noch eine wichtige Rolle das Begriffspaar: Ungar – Madjare. Wenn ein Schwabe in/aus Ungarn sagt: én magyar vagy- ok, so kann man daraus zweierlei verstehen: er ist Ungar (ungari- scher Staatsbürger, aber dennoch Deutscher oder…), oder auch: er ist Madjare (also abstammungsmäßig ein Ungar dem madjari- schen Volk zugehörig!). Für die zwei deutschen Begriffe Madjare (als Volk) und Ungar (als Bürger) gibt es in der ungarischen Spra - che nur ein Wort: magyar. Dadurch entstehen in der Geschichts - schreibung und besonders in der deutschen Presse viele Missver - Als ein geborener Fünfkirchner war mir immer bekannt, dass es eine große deutsche Minderheit in Ungarn gibt, jeder Vierte mei- ner Klassenkameraden hatte einen deutschen Familiennamen und alle hatten eine Geschichte über Großeltern, die gar kein Wort auf Ungarisch konnten. Ich gehörte zu dieser Gruppe mit deutschem Namen, und wir hatten noch was gemeinsam außer dem Namen: Wir gehörten einer Gruppe an, die zu 100% assimiliert wurde. Das Ungarndeutschtum war nicht oft ein Thema in meiner Fa - mi lie, es war aber jedem klar, dass man unter den Vorfahren ne - ben anderen viele deutsche Namen findet. Die Anekdoten über den Opa, der in Dortmund geboren ist, über die Urgroßmutter, die aus Schlesien stammte, hatten einen großen Eindruck auf mich, aber das war nie so wichtig, dass ich mich damit beschäftigt hätte. Ich habe viel über die traurige Geschichte des ungarischen/ madjarischen Volkes und über die Auslandsungarn bzw. -madja- ren gehört, deren Schicksal immer in Gefahr war. Ich kümmerte und kümmere mich um sie, habe viele Bekannte, Freunde aus der Slo wakei und aus anderen ehemaligen Landesteilen. Eines Tages vor vier Jahren habe ich über meine Identität nach- gedacht, und ich fühlte, dass nicht alles in Ordnung ist, dass ich nicht konsequent bin. Wenn ich an die Auslandsungarn bzw. – madjaren Erwartungen stelle, dass sie ihre Identität, ihre Sprache behalten, auch dann, wenn sie nur teilweise Ungarn/Madjaren sind, dann gilt diese Erwartung auch für mich. So begann meine Geschichte mit dem Ungarndeutschtum. Als erster Schnitt wollte ich andere Leute finden, die ähnlich den ken wie ich. Ich versuchte bei der GJU, bei anderen Organi - sationen, aber ich bin immer gegen unsichtbare Wände gestoßen. Es wurde mir nirgendwo gesagt, dass es recht gut ist, dass ich was für unsere Volksgruppe machen will. Nirgendwo… außer auf einer Facebook-Seite. Ich habe die damals noch aktive Facebook-Seite „Ungarndeut sche Zukunft” gefunden und dahinter eine solche Gruppe, die sehr offen für neue Leute war. Das war der Verein Deutscher Hoch schüler. Bei der Arbeit dieser Seite und im VDH konnte ich tätig werden, aber das war mir nicht genug, deswegen habe ich den Budapester Freundeskreis der GJU mit meinen Freunden gegründet. Es gibt Identitätskrisen im Leben von jedem, das war bei mir auch so. Was bin ich, wer bin ich, woher komme ich, wohin gehe ich, diese sind die Hauptfragen. Bin ich Deutscher? Bin ich Un - gar? Die Antwort wurde mir erst danach klar, als ich das meiner Meinung nach beste Zitat Jakob Bleyers gefunden habe: „Mi büszkék vagyunk arra, hogy olyan ezeréves hazának vagyunk fiai, amelynek olyan fennkölt királyai voltak, mint Szent István és Hunyadi Mátyás és olyan nagy államférfiai, mint Zrínyi Miklós, Széchenyi István és Kossuth Lajos; de büszkék vagyunk arra is, hogy olyan nyelvi és kult- úrközösségbe tartozunk, amelynek Goethéje, Kantja, Beethovenje van.” – Bleyer Jakab „Wir sind stolz darauf, Söhne eines tausendjährigen Vaterlandes zu sein, das solch große Könige hervorbrachte wie der Heilige Stephan und Matthias Corvinus von Eisenmarkt, und solch große Staatsmänner wie Nikola Zrinski (Miklós Zrínyi ), István Graf Széche nyi und Lajos Kos - suth, aber wir sind auch darauf stolz, dass wir einer Sprach- und Kul - tur gemeinschaft angehören, die einen Goethe, Kant und Beethoven hat.” Die Antwort ist einfach. Also beide. Ich bin Ungar und ich bin Deutscher, ich bin Ungarndeutscher. Das bedeutet mir ungarn- deutsch zu sein, zwei Völker zu haben, mich um zwei Völker zu kümmern. (Fortsetzung auf Seite26) 25