– Ende des 19., Anfang des 20. Jahrhunderts ging auch Ungarn
nicht zimperlich mit seinen Nationalitäten um. Viele hörten sol-
che – leidergottes wahre – Geschichten von ihren Großeltern,
wonach der Grundschullehrer diejenigen slowakischen Kinder mit
dem Stock schlug, die das Vaterunser nicht auf Ungarisch aufsa-
gen konnten. Und, wenngleich nicht bewusst, lebt in vielen die
Furcht der älteren Generationen fort, dass die Madjaren/Ungarn
das ehemalige Oberungarn zurücknehmen wollten.
– Was wissen sie von den Beneš-Dekreten, der Vergeltung gegen die
Tschechoslowakeimadjaren nach dem Zweiten Weltkrieg?
– Nichts, sie haben nicht einmal davon gehört. Fügen wir hinzu,
dass ein madjarischer/ungarischer Otto-Normalverbraucher auch
nichts davon weiß, dass auch Ungarn nicht immer respektvoll mit
seinen Nationalitäten umging.
– Haben Sie die Bekämpfung des Unwissens auf Ihre Fahne geschrie-
ben, als Sie vor fast einem Jahr anfingen, an einem Blog zu schreiben?
– Viererlei Emotionen, Regungen wurden in mir freigesetzt. In
der Südslowakei leben Slowaken und Madjaren zusammen, sie
kennen einander, und – mehr oder weniger – verstehen, sprechen
sie die Sprache des anderen Volkes. Bei uns herrscht ein großes
Unwissen, hier habe ich auch sowas gehört, wonach „die dort im
Süden” keine Madjaren, sondern ungarischsprachige Slowaken
seien. Ich dachte, dass es notwendig wäre, Wissen zu vermitteln
und neue Gesichtspunkte vorzustellen.
– Sie schreiben einen madjarischen/ungarischen Blog für Slowaken,
der als provokant abgestempelt wird. Hatten Sie keine Angst, dass
dabei nichts Gutes rauskommt?
– Nein, weil ich niemals jemanden verletzen wollte, ich bemühe
mich sogar darum, dass sich beide Völker annähern. Ich versuche
meine Gedanken mit dem größtmöglichen Taktgefühl zu formu-
lieren.
– Worüber haben Sie bislang geschrieben?
– Unter anderem darüber, wie viele gemeinsame Punkte die mad -
jarische/ungarische und die slowakische Kultur haben. Beispiels -
weise gebraucht man unzählige Wörter – pálinka (Schnaps), kol-
bász (Wurst), mamlasz (Muttersöhnchen), betyár (Ganove) – in
der fast gleichen Form in der slowakischen Sprache. Ich habe über
die slowakische Volksmusik und Literatur geschrieben, und natür-
lich über Geschichte. In einem Eintrag, dem ich auf provokante
Weise den slowakisch-nationalistischen Spruch „Madjaren hinter
die Donaulinie!” gegeben habe, beschäftigt sich damit, dass sich
die Slowakeimadjaren nicht in den letzten Jahrzehnten in der
Slowakei angesiedelt haben, sondern seit tausend Jahren hier
wohnen, für sie ist dieses Landstück Heimat. Und ich schlug den
Slowaken vor, wie es denn wäre, wenn man die Madjaren nicht als
Eindringlinge betrachten würde, sondern als eine Nationalität , die
die Kultur der Slowakei bereichert.
– Welche Reaktionen erhalten Sie in der Regel auf Ihre Blogeinträge?
– Viele greifen mich an oder beleidigen mich, ich wurde schon
öfters Chauvinist genannt. Aber es ist anders, wenn man so patrio-
tisch ist, dass man gleichzeitig alle anderen Nationen gering-
schätzt, oder so, dass man alle Nationen als gleichberechtigt aner-
kennt. Von den Slowakeimadjaren signalisierten viele, sie würden
sich freuen, dass sich endlich jemand den Problemen der Slo -
wakeimadjaren widmet. Zu meiner großen Freude haben sich
viele Slowaken bei mir bedankt dafür, dass sie dank dem Blog von
vielen Dingen erfuhren, von denen sie früher noch nichts gehört
hatten. Auch solche Menschen lesen meine Einträge gerne, die in
Mischehen leben oder ihre Eltern unterschiedlicher Volkszuge -
hörigkeit sind, denn über die Fragen zweisprachiger Erziehung ha -
be ich schon mehrfach geschrieben.
– Wie sehen Sie es, wie entwickelt sich das Schicksal derjenigen Ju -
gend lichen, die als Kind von slowakischen und madjarischen Eltern
zur Welt kommen?
– Es kommt darauf an, in welchem Teil des Landes sie leben. Wo
es keine ungarische Schule gibt, dort verlieren die Kinder schnell
ihre madjarische Identität, wenn der madjarische Elternteil nicht
hartnäckig genug ist. Ich habe mehrere Bekannte in der Nord -
slowakei, deren ein Elternteil madjarisch ist, aber der ihnen das
Ungarische nicht beigebracht hat, unter dem Motto, man würde
nur Nachteile haben, weil man in seiner Gegend die Madjaren
nicht mögen würde. Ich verurteile diese Menschen nicht, weil ich
den Druck, die Angst auch spüre. Mein Mann und ich haben uns
hingegen dazu entschlossen, unsere Kinder auf alle Fälle zu
Menschen mit einer doppelten Identität zu erziehen. Deswegen
haben wir die Entscheidung getroffen, dass ich und die Kinder ab
September für ein Jahr nach Ungarn ziehen.
– Zwei Ihrer drei Kinder gehen bereits in die Schule. Wie erleben sie,
dass ihre Mutter Madjarin/Ungarin ist?
– Meine Tochter, Ajna, bekennt sich als Madjarin. Sie hat sich zur
Wehr gesetzt, als die Lehrerin bei der Nachmittagsbetreuung be -
hauptete, in der Slowakei hätte keiner Ungarisch als Mutterspra -
che. Sie hat sich auch dann verteidigt, als sie in der Schule gehän-
selt wurde, weil ihr Nachname nicht auf -ová endet. Mein Sohn ist
anders. Ihm ist es wichtig, dass ihn in seiner Umgebung jeder mag,
akzeptiert. Als er in die erste Klasse ging, bat er mich, dass wir in
der Schule nicht ungarisch reden sollen, weil er Angst hatte, dass
er gehänselt wird, wenn man erfährt, dass er zur Hälfte Mad -
jare/Ungar ist. Lange zögerte er auch auf der Straße, mit mir un -
garisch zu sprechen.
– Auch Hedvig Malina wurde deswegen misshandelt, weil sie auf der
Straße ungarisch sprach. Wissen Ihre Kinder davon?
– Ich habe mit ihnen darüber gesprochen, aber auch gesagt, dass
das kein alltäglicher Fall ist. Es gibt schlechte Menschen, aber
nicht jeder gehört dazu. Man kann nicht in Angst leben. Ich be -
wundere Hedvig Malina für Ihren Mut und dafür, dass sie mit
einer gesunden Seele das überleben konnte, was ihr widerfuhr.
Das Traurigste ist, dass Fico und sein Innenminister, die damals
behaupteten, sie würde lügen, als sie sagte, man hätte sie misshan-
delt, sich bis heute nicht um Entschuldigung baten. Und es sind
immer noch Fico und Co. an der Macht...
– Was unsere Vergangenheit angeht, nicht nur die Slowaken wissen
wenig über die Madjaren/Ungarn, sondern wir selbst kennen nicht
genug unsere eigene Geschichte. Ich bin immer erschüttert, wenn ich
beispielsweise höre, dass „ich nach Nové Zámky fahre” – denn auf der
Karte steht der Name von Érsekújvár/Neuhäusl so.
– In einem meiner Blogeinträge schrieb ich darüber, dass 2001,
nach langem Warten, ein Wunder passierte: Über der Donau wur -
de die neue Brücke zwischen Gockern/Párkány und Gran/Eszter -
gom eröffnet. Das war eine symbolische Geste, um die Bezie hun -
gen zwischen Ungarn und der Slowakei zu verbessern, und es gab
natürlich praktischen Nutzen. Beispielsweise muss man dank
einem Vertrag zwischen der slowakischen und ungarischen Kran -
kenversicherung die Patienten in dringenden Fällen aus Gockern
nicht mehr nach Neuhäusl fahren, sondern sie werden in Gran
versorgt. Die Geschichte ist aber doch nicht so rund, wie es auf
den ersten Blick zu sein scheint. Ich weiß es von einem lieben
Leser aus Gockern, dass das Krankenhauspersonal die Patienten
aus Gockern als Slowaken nennt und sich kaum um sie kümmert.
Wieder etwas, was ich nie verstehen werde. Die ungarländischen
Madjaren/Ungarn, die den Verlust von Großungarn beweinen und
die den Trianon-Jahrestag als Tag des nationalen Zusammenhalts
feiern, verhalten sich ablehnend gegenüber den Landsleuten von
der anderen Seite, sie nennen sie sogar Slowaken („tótok”), was
nicht nur ihnen gegenüber verletzend ist, sondern auch den
Slowaken gegenüber. Ich schäme mich auch für sie.
– Was glauben Sie, werden wir irgendwann in der Lage sein, auf den
(Fortsetzung auf Seite 8)
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