Sonntagsblatt 6/2014 | Page 26

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sie holen , hat uns alles weggestohlen und uns aus unserem Pa - radies vertrieben . Gerade so , wie unser Herrgott Adam und Eva aus dem Paradies vertrieb . Nur mit einem Unterschied , wir haben nichts verbrochen – nur gearbeitet ! Hier sind wir nun zu Bettlern geworden .”) Bei seinen Äußerungen standen ihm immer die Trä - nen in den Augen , und seine Frau versuchte dann immer , ihn zu trösten , was ihr kaum gelang …
H-V nahm noch im Frühherbst 1946 eine Arbeit bei der Ge - meinde Hüttlingen an – er war ja erst in seinem 58 . Lebensjahr . Oft sah ich ihn auf dem einzigen Traktor in der Gemeinde , dem alten Hanomag auf der Rückbank mit Schaufel und Spaten sitzen , wenn er mit seinem „ Fronmeister ” zum Arbeitseinsatz unterwegs war , sein Kopf bedeckt mit der „ Werktags – Astrachan-Koppn ”, sommers wie winters . Ich grüßte ihn immer und er erkannte mich auch immer und freute sich . Einmal , als die Gemeinde im Schul - hof etwas reparierte , ging ich zu ihm und er sagte dabei zu mir : „ Jani , du muasst fleißich learna , du muasst deini do zagn , dass mia a neit dumm san , wia dei mana !!”(„ Jani , du musst fleißig lernen , du musst den Einheimischen zeigen , dass wir ( Ungarndeutschen ) auch nicht dumm sind , wie die ( Einheimischen ) meinen .”) Ich glaube , er fühlte sich auch etwas für mich verantwortlich , trug ich doch den gleichen Namen wie er .
H-V hat aber hier in Deutschland nie richtig Fuß gefasst und auch seine Frau kam hier auch nicht zurecht , waren doch alle Be - reiche des Lebens so anders als in der Heimat Soroksár .
Als dann später meine Großeltern aus Bayern zu uns gezogen waren , trafen sich „ Hauns ” und „ Steff ” immer wieder . Bei den Be - gegnungen kam es immer zu langen „ Diskurschen ”. Dabei stan den die Erlebnisse im 1 . Weltkrieg ( Isonzo-Front !) und vor allem der Verlust der Heimat im Mittelpunkt . Die Treffen waren meist am Sonntagnachmittag , und ich war oft mit meinen Eltern dabei . Die frustrierende Situation durchzog die ganzen Unter haltungen und das klang dann etwa so : „ Du , Steff , wos san mia do in Deitschlaund nu wert ? Nix ! Old samma und oarwet ’ n keima bol nix mea ! Mia san dauch nur Baur ’ n gwest . Va dera Oarwet hauma wos vastaundn ! Wos hot deis gaunzi Le ’ m do nu fir an Wert ? Wie schei haum mia daham in Schorokschar glebt ? Wia guat is uns durt ganga und wia weit haumes do in Deitschland brocht ? Z ’ fuß , det i heit nu hamgeh , wuns neit sau weit war !” „ Jo , mei liwa Hauns , mia geht ’ s a sau . Owa , wos keina mia mochn ? Nix ! Mia keina nuar hauffn , dass mia uns laungsaum mit unsern Valust obfindn . Di Zeid wead unsri Wundn scha haln .” „ Ma ’ st du deis in Ernst …?”
(„ Du Stefan , was sind wir hier in Deutschland noch wert ? Nichts ! Alt sind wir , und arbeiten können wir auch fast nichts mehr ! Wir sind doch nur Bauern gewesen . Von dieser Arbeit ha ben wir etwas verstanden . Was hat das ganze Leben hier noch für einen Sinn ? Wie schön haben wir zu Hause in Soroksár gelebt ? Wie gut ist es uns dort gegangen , und wie weit haben wir es hier in Deutschland gebracht ? Zu Fuß würde ich heute noch heim gehen , wenn es nicht so weit wäre ! „ Ja , mein lieber Hans , mir geht es genau so . Aber was können wir machen ? Nichts ! Wir können nur hoffen , dass wir uns langsam mit unserem Verlust abfinden . Die Zeit wird unsere Wunden heilen !” „ Meinst du das wirklich im Ernst …?”
Ganz schlimm wurde die Situation für die beiden als in den Jahren 1949 und 50 der erste große „ Bauboom ” bei den Hütt - linger Vertriebenen einsetzte . Eine vom jungen Bürgermeister ge - gründete „ Bau- und Siedlungsgenossenschaft ” schuf die Vo raus - setzungen für die Schaffung von neuem Wohnraum . Wir Un garn - deutschen in der Gemeinde zeigten uns besonders stark im Praktizieren der Nachbarschaftshilfe . Durch die beträchtlichen „ Eigenleistungen ” konnten die Baukosten der einzelnen Projekte so doch erheblich gesenkt werden . So konnten wir Vertriebene direkt mithelfen , dass die Wohnraummisere in der Gemeinde sich langsam entspannte . Vor allem auch das örtliche Handwerk profitierte von dieser einsetzenden Entwicklung . Arbeitsplätze in allen Bereichen entstanden , und der wirtschaftliche Aufschwung wurde überall sichtbar .
H-V und F-B wohnten in dieser Zeit nicht mehr ganz so beengt , denn sie hatten über die Gemeinde eine kleine Anliegerwohnung in einer umgestalteten „ Baracke ” erhalten . Wasseranschluss und eigene Toilette sorgten für einen gewissen Komfort . So waren die beiden mit ihrer Situation eigentlich ganz zufrieden . Finanziell waren sie aber in einer bescheidenen Lage , meisterten diese aber mit der bekannten „ ungarndeutsch – schwäbischen ” Bescheiden - heit und Sparsamkeit .
Das allgemeine „ Baufieber ” der Landsleute beunruhigte die bei den aber doch sehr . Vor allem sahen die „ alten Leutchen ” im Schatten dieser neuen Entwicklung alle ihre Hoffnungen auf eine Heimkehr nach Soroksár schwinden .
Oft war mein Vater bei ihnen und musste sie über diese neue Lage informieren und gleichzeitig auch trösten . H-V stand mit 60 Jahren vor einer für ihn sehr schwierigen Entscheidung : „ Tau masch , mia keinna dauch neit baun ! Mia haum dauch ka Geld ! Wea saull deis Haus obzohln , mia haum dauch kanni Kinda ? Wos is , wunn a ’ s va uns stirbt ?” („ Thomas , wir können doch nicht bau en ! Wir haben doch kein Geld ! Wer soll das Haus abzahlen , wir haben doch keine Kinder ? Was passiert , wenn einer von uns stirbt ?”)
Vater riet den beiden zunächst zum Abwarten . H-V wurde dann mit 62 Rentner und das Paar blieb noch lange Jahre in seiner kleinen Gemeindewohnung . Die Minirente musste für die beiden noch mit einer bescheidenen „ Fürsorgeleistung ” „ aufgestockt ” wer den , sonst hätten sie die Wohnungsmiete nicht aufbringen können . Es wurde im Ort immer mehr gebaut , doch an den beiden ging diese Entwicklung endgültig vorbei . Auch die Hoffnung auf eine Heimkehr mussten sie endgültig aufgeben . Wie wohl dieses „ entwurzelte Leben ” in der „ Seele ” der beiden sich bemerkbar machte ? Wir können uns dies heute kaum vorstellen ….
H-V starb dann in den 70er Jahren mit 85 , F-B überlebte ihn um einige Jahre und erreichte trotz ihrer harten Erfahrungen ein Alter von fast 90 Jahren . Dass beide fast vom „ Nichts ” gelebt hatten , zeigte sich beim Tode von F-B : Unter ihrem Kopfkissen im Sterbebett fand der Gemeindearzt ein Kuvert mit einem mittleren fünfstelligen DM- Betrag , schön in 1000 DM-Noten gehortet . Damit hätten die beiden locker ein Siedlungshaus , damals ( 15 000 DM ! Baukosten ) er - stellen und finanzieren können .
Die ersparte Summe ging an eine in Ungarn gebliebene , zeitweise bei den beiden lebenden , Pflegetochter . So schloss sich der Kreis und H-V konnte nicht verhindern , dass sein mühsam Erspar - tes wieder in den Wirtschaftskreislauf der „ kummunistisch ’ n Rau - wabanda ” einfloss .
Die Heimat Soroksár haben die beiden nie mehr gesehen . Ihre weiteste Reise gen Osten führte sie nur bis zum Gnadenort Maria - zell in der Steiermark .

Eine Geschichte von „ damals ”

(„ Verschiedene ” Landsmannschaften !) Nach Kriegsende . Nach der Vertreibung . Schwaben aus Ungarn jetzt in Deutschland zuhause . Während des Krieges , damals in Ungarn , waren sie – leider – verfeindet , – denn es gab solche und auch andere Deutsche . Deutsche , die sich als solche bekannten , und Deutsche , die keine „ solchen ” Deutsche sein wollten , deren Herzen schon madjarisch stimuliert waren . Doch das Schicksal hat sie alle gleich hart betroffen .
*** Irgendwo geschah es . Vielleicht in Ulm , auf einer Bank , an der Donau . Dort trafen sich die zwei Männer , und ich konnte Zeuge folgender Versöhnungsfeier -