heit, ob der neuen Situation hier in Deutschland und be stimmt auch noch die Gefühle der Ohnmacht, hier einen neuen Anfang zu starten.
Man war schlicht zu alt, verstand fast alles in der neuen Umge- bung nicht oder nur aus der Sicht der alten Heimat. Dazu kam noch – bei uns im Schwabenland – der absolut unverständliche Dialekt, der kaum mehr erlernt werden konnte. Viele dieser „ al- ten” Landsleute begannen oft physisch und psychisch zu kränkeln, und nicht wenige aus meinem Bekanntenkreis starben letztendlich an Krebserkrankungen – vielleicht ausgelöst durch die seelischen Dauer-konflikte?!!
Als exemplarischen Fall möchte ich hier das Leben – in Ungarn und Deutschland – der beiden Personen aus meiner Überschrift schildern. Ich habe sie als Kind mit meinen Eltern immer wieder besucht und eine ganze Reihe von Begebenheiten sind in meinem Gedächtnis „ hängen geblieben”. Anderes stammt aus den Erzäh- lungen meiner Eltern. Franziska Wachtelschneider geb. Plettinger( Fani-Basl) wurde 1893 in Soroksár geboren. Ihr Mann Johann Wachtelschneider( Hauns-Veitta) kam 1889 ebenfalls in Soroksár zur Welt. Inte- ressant ist dabei, dass bei uns im Ort die vor etwa 1900 geborenen Männer und Frauen mit den altdeutschen Begriffen „ Basl”( Base) und „ Veitta”( Vetter) angeredet wurden. Ab der Jahrhundert-wen- de zeigte die „ Magyarisierung” aller Lebensbereiche aber auch hier ihre Spuren, denn alle jüngeren Personen hießen dann nur noch „ Néni”( Neni) und „ Bácsi”( Batschi). Geradezu skurril wur- de dies z. B. in der Familie meiner Großmutter Theresia Schus ter geb. Schäffer. Sie und ihre jüngere Schwester wurden zur Rési- Néni(* 1900) und Miadi-Néni(* 1904) – hier noch eine weitere kuriose Variante: Vorname deutsch, néni ungarisch. Ihre beiden älteren Schwestern blieben fortan die Rosi-Basl(* 1896) und die Kathi-Basl(* 1893)!
Doch nun zurück zum „ Hauns-Veitta”( H-V). Er war das 2. Geschwisterkind meines Großvaters, Stefan Wachtelschneider(„ Steffl-Veitta”, * 1883), und gehörte zur weit verbreiteten So rok- sárer Wachtelschneider – Sippe mit fränkischen Wurzeln( Würz- burg, St. Burkard, 1651!).
H-V bewohnte mit seiner Frau ein schönes schwäbisches Lang- haus – mit noch schmalem Gang – im Süden Soroksárs. Das Haus bestand aus zwei Zimmern, einer Küche und einer Sommerküche. Dieser schloßen sich der Stall und die „ Schupf’ n” an. Auf dem schönen, relativ großen Eckgrundstück befanden sich gegenüber dem Wohngebäude ein Garten mit Gemüsebeeten und ein kleiner Obstgarten mit Apfel-, Birnen-, Kirsch-, Ringlotten- und Maril- len bäumen. Im Garten rundete ein über ein überdachtes Trep- penhaus erreichbarer, gewölbter Keller das schöne Anwesen ab.
H-V bewirtschaftete mit seiner Frau etwa 5 – 7 Joch Feld und pflegte auch einen kleinen Weingarten mit einem Ertrag von 3 – 5 hl Wein. Seine Felder waren bebaut mit Roggen, Weizen, Mais( Kukuruz) und natürlich mit Kartoffeln( Grumbi’ en). Eine Wiese und ein kleines Kleefeld( Luzerne) waren für den Grünfutter be- darf der Tiere vorgesehen. Im Stall stand ein Zugpferd und daneben wurden noch zwei bis höchsten drei Kühe gehalten. Hühnerund Schweinehaltung waren selbstverständlich und rundeten die Bauernwirtschaft ab. Die Produkte deckten den Eigenbedarf und das Geldeinkommen wurde durch den Milch- und Kartoffelver- kauf aber auch durch gelegentliche Fuhrdienste gesichert. Zur Erntezeit halfen den beiden einige verwandte Familien aus, denn das Ehepaar hatte keine Kinder.
Erstaunlicherweise hatte F-B noch vor dem 1. Weltkrieg eine Fehlgeburt und bei einer zweiten komplizierten Schwangerschaft musste sie in einer bekannten Klinik in Budapest eine „ Total ope- ration” über sich ergehen lassen. Das war sicher in der damaligen Zeit kein leichtes Unterfangen!! Dieses traumatische Erlebnis erzählte sie immer wieder – auch hier in Deutschland. Soweit die Situation von den beiden zu Hause in Soroksár.
Nun kam der 8. Mai 1946, die beiden standen schon seit einigen Tagen auf der Vertreibungsliste für den 3. Transport nach Deutschland. Wahrscheinlich lag bei der „ Kommision” für die Zusammen- stellung der Vertreibungstransporte aus Soroksár eine Verwechs- lung mit meinen Großeltern vor, da diese bereits mit dem ersten Transport nach Augsburg in Bayrisch – Schwaben kamen – übri- gens wuss ten wir hier in Hüttlingen lange nichts über den Aufent- haltsort meiner Großeltern.
H-V und F-B landeten schließlich mit uns in Hüttlingen. Ihnen wurde ein winziges Zimmerchen mit Außentür im Parterre eines Bauernhauses zugewiesen. Wasseranschluss und WC – auch ein Außenklo waren nicht vorhanden. F-B holte ihr Wasser aus einem „ Brünnele” auf der gegenüberliegenden Straßenseite. Das „ Nachtgeschirr” musste für lange Zeit die fehlende Toilette ersetzen!! Bei meinem ersten Besuch mit meinem Vater – er fühlte sich für die beiden älteren Leute verantwortlich und half ihnen in fast allen neuen Situationen – hatten die beiden ihre Schlafplätze noch auf dem Fußboden. Erst nach einiger Zeit stellten hilfsbereite Nach- barn ihnen ein Bett zur Verfügung, in dem dann beide schliefen. Neben einem Tisch, zwei Hockern und einer mitgebrachten Mehl- truhe gab es im Zimmer noch einen kleinen „ Kanonenofen” mit dem geheizt und gekocht wurde.
Das Paar trug auch hier in Deutschland noch die „ baurischi Trocht” d. h. H-V benützte noch seine hohen Schaftstiefel mit Stie- felhose und dazu einen schwarzen „ Janka” mit einer langen Dop- pel-Knopfreihe. Als Kopfbedeckung diente kein Hut, sondern eine schwarze Fellmütze, seine „ Astrachan-Koppn”( Astrachan: süd- russische Stadt am Wolgadelta, wo diese Pelzart von bestimmten Schafen gewonnen wird), die er immer trug, auch in der Woh nung!! F-B hatte natürlich mehrere Röcke an, das wärmende, dicke, wollige, gestrickte „ Kauzntiachl” war um Schulter und Brust ge- schlun gen. Auf dem Kopf das obligatorische, nach einer bestimmten Regel gebundene „ Kaupftiachl”. Wenn die beiden so gekleidet zur Messe gingen, drehten sich; ob dieses fast „ exotischen” Anblicks; alle Einheimischen um und tuschelten über dieses seltsam gekleidete Paar!! Beide redeten im breitesten Soroksárer mittel-bairischem Dialekt und haben sich auch nie mit dem hier gesprochen „ Schwäbisch” anfreunden können. Mit den neuen Um ständen hier in Deutschland kamen sie kaum zurecht und freuten sich immer sehr, wenn mein Vater sie besuchte und ihnen bestimmte Dinge erklären konnte. Ihnen fehlten besonders die Kinder, die unsere älteren Vertriebenen immer wieder aus ihrer Lethargie „ herauszogen”. So waren die beiden immer mit der Hoffnung auf eine Heimkehr nach Soroksár beschäftigt. Bei unseren Besuchen – Vater hat mich oft mitgenommen – fand ich die Gespräche, die geführt wurden, immer sehr spannend, konnte doch H-V alte Geschichten aus der Heimat ganz gut erzählen. Ich kann mich an manche Besuche auch noch heute! recht gut erinnern! So begann das Gespräch immer etwa so: „ Taumasch, waunn kuma mia wiada ham? Wos schreiabt deia Zeidung”? – Vater hatte eine in München erscheinende ungarische Exilzeitung abonniert.(„ Thomas, wann kommen wir wieder heim? Was schreibt deine Zeitung?”) So ging das Gespräch weiter bis dann H-V im- mer zum Kern seines( unseres) Problems kam und dies in seiner drastischen Sprache etwa so darstellte: „ Dei kummunistischi‘ Rau- wabanda’, da Deiwl saull sie hauln, haum uns olles weggschtauln und uns va unsern Paradies vatrie’ m. Grod sau wia unsa Herrgaud Adam und Eva van Paradies triem hot. Nur mit an Undaschied, mia haum nix vabrauchn – nur goarwet! Do sama ietz Bettla woarn!”(„ Diese kommunistische‘ Räuberbande’, der Teufel soll
( Fortsetzung auf Seite26)
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