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sie holen, hat uns alles weggestohlen und uns aus unserem Pa- radies vertrieben. Gerade so, wie unser Herrgott Adam und Eva aus dem Paradies vertrieb. Nur mit einem Unterschied, wir haben nichts verbrochen – nur gearbeitet! Hier sind wir nun zu Bettlern geworden.”) Bei seinen Äußerungen standen ihm immer die Trä- nen in den Augen, und seine Frau versuchte dann immer, ihn zu trösten, was ihr kaum gelang …
H-V nahm noch im Frühherbst 1946 eine Arbeit bei der Ge- meinde Hüttlingen an – er war ja erst in seinem 58. Lebensjahr. Oft sah ich ihn auf dem einzigen Traktor in der Gemeinde, dem alten Hanomag auf der Rückbank mit Schaufel und Spaten sitzen, wenn er mit seinem „ Fronmeister” zum Arbeitseinsatz unterwegs war, sein Kopf bedeckt mit der „ Werktags – Astrachan-Koppn”, sommers wie winters. Ich grüßte ihn immer und er erkannte mich auch immer und freute sich. Einmal, als die Gemeinde im Schul- hof etwas reparierte, ging ich zu ihm und er sagte dabei zu mir: „ Jani, du muasst fleißich learna, du muasst deini do zagn, dass mia a neit dumm san, wia dei mana!!”(„ Jani, du musst fleißig lernen, du musst den Einheimischen zeigen, dass wir( Ungarndeutschen) auch nicht dumm sind, wie die( Einheimischen) meinen.”) Ich glaube, er fühlte sich auch etwas für mich verantwortlich, trug ich doch den gleichen Namen wie er.
H-V hat aber hier in Deutschland nie richtig Fuß gefasst und auch seine Frau kam hier auch nicht zurecht, waren doch alle Be- reiche des Lebens so anders als in der Heimat Soroksár.
Als dann später meine Großeltern aus Bayern zu uns gezogen waren, trafen sich „ Hauns” und „ Steff” immer wieder. Bei den Be- gegnungen kam es immer zu langen „ Diskurschen”. Dabei stan den die Erlebnisse im 1. Weltkrieg( Isonzo-Front!) und vor allem der Verlust der Heimat im Mittelpunkt. Die Treffen waren meist am Sonntagnachmittag, und ich war oft mit meinen Eltern dabei. Die frustrierende Situation durchzog die ganzen Unter haltungen und das klang dann etwa so: „ Du, Steff, wos san mia do in Deitschlaund nu wert? Nix! Old samma und oarwet’ n keima bol nix mea! Mia san dauch nur Baur’ n gwest. Va dera Oarwet hauma wos vastaundn! Wos hot deis gaunzi Le’ m do nu fir an Wert? Wie schei haum mia daham in Schorokschar glebt? Wia guat is uns durt ganga und wia weit haumes do in Deitschland brocht? Z’ fuß, det i heit nu hamgeh, wuns neit sau weit war!” „ Jo, mei liwa Hauns, mia geht’ s a sau. Owa, wos keina mia mochn? Nix! Mia keina nuar hauffn, dass mia uns laungsaum mit unsern Valust obfindn. Di Zeid wead unsri Wundn scha haln.” „ Ma’ st du deis in Ernst …?”
(„ Du Stefan, was sind wir hier in Deutschland noch wert? Nichts! Alt sind wir, und arbeiten können wir auch fast nichts mehr! Wir sind doch nur Bauern gewesen. Von dieser Arbeit ha ben wir etwas verstanden. Was hat das ganze Leben hier noch für einen Sinn? Wie schön haben wir zu Hause in Soroksár gelebt? Wie gut ist es uns dort gegangen, und wie weit haben wir es hier in Deutschland gebracht? Zu Fuß würde ich heute noch heim gehen, wenn es nicht so weit wäre! „ Ja, mein lieber Hans, mir geht es genau so. Aber was können wir machen? Nichts! Wir können nur hoffen, dass wir uns langsam mit unserem Verlust abfinden. Die Zeit wird unsere Wunden heilen!” „ Meinst du das wirklich im Ernst …?”
Ganz schlimm wurde die Situation für die beiden als in den Jahren 1949 und 50 der erste große „ Bauboom” bei den Hütt- linger Vertriebenen einsetzte. Eine vom jungen Bürgermeister ge- gründete „ Bau- und Siedlungsgenossenschaft” schuf die Vo raus- setzungen für die Schaffung von neuem Wohnraum. Wir Un garn- deutschen in der Gemeinde zeigten uns besonders stark im Praktizieren der Nachbarschaftshilfe. Durch die beträchtlichen „ Eigenleistungen” konnten die Baukosten der einzelnen Projekte so doch erheblich gesenkt werden. So konnten wir Vertriebene direkt mithelfen, dass die Wohnraummisere in der Gemeinde sich langsam entspannte. Vor allem auch das örtliche Handwerk profitierte von dieser einsetzenden Entwicklung. Arbeitsplätze in allen Bereichen entstanden, und der wirtschaftliche Aufschwung wurde überall sichtbar.
H-V und F-B wohnten in dieser Zeit nicht mehr ganz so beengt, denn sie hatten über die Gemeinde eine kleine Anliegerwohnung in einer umgestalteten „ Baracke” erhalten. Wasseranschluss und eigene Toilette sorgten für einen gewissen Komfort. So waren die beiden mit ihrer Situation eigentlich ganz zufrieden. Finanziell waren sie aber in einer bescheidenen Lage, meisterten diese aber mit der bekannten „ ungarndeutsch – schwäbischen” Bescheiden- heit und Sparsamkeit.
Das allgemeine „ Baufieber” der Landsleute beunruhigte die bei den aber doch sehr. Vor allem sahen die „ alten Leutchen” im Schatten dieser neuen Entwicklung alle ihre Hoffnungen auf eine Heimkehr nach Soroksár schwinden.
Oft war mein Vater bei ihnen und musste sie über diese neue Lage informieren und gleichzeitig auch trösten. H-V stand mit 60 Jahren vor einer für ihn sehr schwierigen Entscheidung: „ Tau masch, mia keinna dauch neit baun! Mia haum dauch ka Geld! Wea saull deis Haus obzohln, mia haum dauch kanni Kinda? Wos is, wunn a’ s va uns stirbt?”(„ Thomas, wir können doch nicht bau en! Wir haben doch kein Geld! Wer soll das Haus abzahlen, wir haben doch keine Kinder? Was passiert, wenn einer von uns stirbt?”)
Vater riet den beiden zunächst zum Abwarten. H-V wurde dann mit 62 Rentner und das Paar blieb noch lange Jahre in seiner kleinen Gemeindewohnung. Die Minirente musste für die beiden noch mit einer bescheidenen „ Fürsorgeleistung” „ aufgestockt” wer den, sonst hätten sie die Wohnungsmiete nicht aufbringen können. Es wurde im Ort immer mehr gebaut, doch an den beiden ging diese Entwicklung endgültig vorbei. Auch die Hoffnung auf eine Heimkehr mussten sie endgültig aufgeben. Wie wohl dieses „ entwurzelte Leben” in der „ Seele” der beiden sich bemerkbar machte? Wir können uns dies heute kaum vorstellen ….
H-V starb dann in den 70er Jahren mit 85, F-B überlebte ihn um einige Jahre und erreichte trotz ihrer harten Erfahrungen ein Alter von fast 90 Jahren. Dass beide fast vom „ Nichts” gelebt hatten, zeigte sich beim Tode von F-B: Unter ihrem Kopfkissen im Sterbebett fand der Gemeindearzt ein Kuvert mit einem mittleren fünfstelligen DM- Betrag, schön in 1000 DM-Noten gehortet. Damit hätten die beiden locker ein Siedlungshaus, damals( 15 000 DM! Baukosten) er- stellen und finanzieren können.
Die ersparte Summe ging an eine in Ungarn gebliebene, zeitweise bei den beiden lebenden, Pflegetochter. So schloss sich der Kreis und H-V konnte nicht verhindern, dass sein mühsam Erspar- tes wieder in den Wirtschaftskreislauf der „ kummunistisch’ n Rau- wabanda” einfloss.
Die Heimat Soroksár haben die beiden nie mehr gesehen. Ihre weiteste Reise gen Osten führte sie nur bis zum Gnadenort Maria- zell in der Steiermark.
Eine Geschichte von „ damals”
(„ Verschiedene” Landsmannschaften!) Nach Kriegsende. Nach der Vertreibung. Schwaben aus Ungarn jetzt in Deutschland zuhause. Während des Krieges, damals in Ungarn, waren sie – leider – verfeindet, – denn es gab solche und auch andere Deutsche. Deutsche, die sich als solche bekannten, und Deutsche, die keine „ solchen” Deutsche sein wollten, deren Herzen schon madjarisch stimuliert waren. Doch das Schicksal hat sie alle gleich hart betroffen.
*** Irgendwo geschah es. Vielleicht in Ulm, auf einer Bank, an der Donau. Dort trafen sich die zwei Männer, und ich konnte Zeuge folgender Versöhnungsfeier-