Sonntagsblatt 6/2014 | Page 25

heit , ob der neuen Situation hier in Deutschland und be stimmt auch noch die Gefühle der Ohnmacht , hier einen neuen Anfang zu starten .
Man war schlicht zu alt , verstand fast alles in der neuen Umge - bung nicht oder nur aus der Sicht der alten Heimat . Dazu kam noch – bei uns im Schwabenland – der absolut unverständliche Dialekt , der kaum mehr erlernt werden konnte . Viele dieser „ al - ten ” Landsleute begannen oft physisch und psychisch zu kränkeln , und nicht wenige aus meinem Bekanntenkreis starben letztendlich an Krebserkrankungen – vielleicht ausgelöst durch die seelischen Dauer-konflikte ?!!
Als exemplarischen Fall möchte ich hier das Leben – in Ungarn und Deutschland – der beiden Personen aus meiner Überschrift schildern . Ich habe sie als Kind mit meinen Eltern immer wieder besucht und eine ganze Reihe von Begebenheiten sind in meinem Gedächtnis „ hängen geblieben ”. Anderes stammt aus den Erzäh - lungen meiner Eltern . Franziska Wachtelschneider geb . Plettinger ( Fani-Basl ) wurde 1893 in Soroksár geboren . Ihr Mann Johann Wachtelschneider ( Hauns-Veitta ) kam 1889 ebenfalls in Soroksár zur Welt . Inte - ressant ist dabei , dass bei uns im Ort die vor etwa 1900 geborenen Männer und Frauen mit den altdeutschen Begriffen „ Basl ” ( Base ) und „ Veitta ” ( Vetter ) angeredet wurden . Ab der Jahrhundert-wen - de zeigte die „ Magyarisierung ” aller Lebensbereiche aber auch hier ihre Spuren , denn alle jüngeren Personen hießen dann nur noch „ Néni ” ( Neni ) und „ Bácsi ” ( Batschi ). Geradezu skurril wur - de dies z . B . in der Familie meiner Großmutter Theresia Schus ter geb . Schäffer . Sie und ihre jüngere Schwester wurden zur Rési- Néni (* 1900 ) und Miadi-Néni (* 1904 ) – hier noch eine weitere kuriose Variante : Vorname deutsch , néni ungarisch . Ihre beiden älteren Schwestern blieben fortan die Rosi-Basl (* 1896 ) und die Kathi-Basl (* 1893 )!
Doch nun zurück zum „ Hauns-Veitta ” ( H-V ). Er war das 2 . Geschwisterkind meines Großvaters , Stefan Wachtelschneider („ Steffl-Veitta ”, * 1883 ), und gehörte zur weit verbreiteten So rok - sárer Wachtelschneider – Sippe mit fränkischen Wurzeln ( Würz - burg , St . Burkard , 1651 !).
H-V bewohnte mit seiner Frau ein schönes schwäbisches Lang - haus – mit noch schmalem Gang – im Süden Soroksárs . Das Haus bestand aus zwei Zimmern , einer Küche und einer Sommerküche . Dieser schloßen sich der Stall und die „ Schupf ’ n ” an . Auf dem schönen , relativ großen Eckgrundstück befanden sich gegenüber dem Wohngebäude ein Garten mit Gemüsebeeten und ein kleiner Obstgarten mit Apfel- , Birnen- , Kirsch- , Ringlotten- und Maril - len bäumen . Im Garten rundete ein über ein überdachtes Trep - penhaus erreichbarer , gewölbter Keller das schöne Anwesen ab .
H-V bewirtschaftete mit seiner Frau etwa 5 – 7 Joch Feld und pflegte auch einen kleinen Weingarten mit einem Ertrag von 3 – 5 hl Wein . Seine Felder waren bebaut mit Roggen , Weizen , Mais ( Kukuruz ) und natürlich mit Kartoffeln ( Grumbi ’ en ). Eine Wiese und ein kleines Kleefeld ( Luzerne ) waren für den Grünfutter be - darf der Tiere vorgesehen . Im Stall stand ein Zugpferd und daneben wurden noch zwei bis höchsten drei Kühe gehalten . Hühnerund Schweinehaltung waren selbstverständlich und rundeten die Bauernwirtschaft ab . Die Produkte deckten den Eigenbedarf und das Geldeinkommen wurde durch den Milch- und Kartoffelver - kauf aber auch durch gelegentliche Fuhrdienste gesichert . Zur Erntezeit halfen den beiden einige verwandte Familien aus , denn das Ehepaar hatte keine Kinder .
Erstaunlicherweise hatte F-B noch vor dem 1 . Weltkrieg eine Fehlgeburt und bei einer zweiten komplizierten Schwangerschaft musste sie in einer bekannten Klinik in Budapest eine „ Total ope - ration ” über sich ergehen lassen . Das war sicher in der damaligen Zeit kein leichtes Unterfangen !! Dieses traumatische Erlebnis erzählte sie immer wieder – auch hier in Deutschland . Soweit die Situation von den beiden zu Hause in Soroksár .
Nun kam der 8 . Mai 1946 , die beiden standen schon seit einigen Tagen auf der Vertreibungsliste für den 3 . Transport nach Deutschland . Wahrscheinlich lag bei der „ Kommision ” für die Zusammen - stellung der Vertreibungstransporte aus Soroksár eine Verwechs - lung mit meinen Großeltern vor , da diese bereits mit dem ersten Transport nach Augsburg in Bayrisch – Schwaben kamen – übri - gens wuss ten wir hier in Hüttlingen lange nichts über den Aufent - haltsort meiner Großeltern .
H-V und F-B landeten schließlich mit uns in Hüttlingen . Ihnen wurde ein winziges Zimmerchen mit Außentür im Parterre eines Bauernhauses zugewiesen . Wasseranschluss und WC – auch ein Außenklo waren nicht vorhanden . F-B holte ihr Wasser aus einem „ Brünnele ” auf der gegenüberliegenden Straßenseite . Das „ Nachtgeschirr ” musste für lange Zeit die fehlende Toilette ersetzen !! Bei meinem ersten Besuch mit meinem Vater – er fühlte sich für die beiden älteren Leute verantwortlich und half ihnen in fast allen neuen Situationen – hatten die beiden ihre Schlafplätze noch auf dem Fußboden . Erst nach einiger Zeit stellten hilfsbereite Nach - barn ihnen ein Bett zur Verfügung , in dem dann beide schliefen . Neben einem Tisch , zwei Hockern und einer mitgebrachten Mehl - truhe gab es im Zimmer noch einen kleinen „ Kanonenofen ” mit dem geheizt und gekocht wurde .
Das Paar trug auch hier in Deutschland noch die „ baurischi Trocht ” d . h . H-V benützte noch seine hohen Schaftstiefel mit Stie - felhose und dazu einen schwarzen „ Janka ” mit einer langen Dop - pel-Knopfreihe . Als Kopfbedeckung diente kein Hut , sondern eine schwarze Fellmütze , seine „ Astrachan-Koppn ” ( Astrachan : süd - russische Stadt am Wolgadelta , wo diese Pelzart von bestimmten Schafen gewonnen wird ), die er immer trug , auch in der Woh nung !! F-B hatte natürlich mehrere Röcke an , das wärmende , dicke , wollige , gestrickte „ Kauzntiachl ” war um Schulter und Brust ge - schlun gen . Auf dem Kopf das obligatorische , nach einer bestimmten Regel gebundene „ Kaupftiachl ”. Wenn die beiden so gekleidet zur Messe gingen , drehten sich ; ob dieses fast „ exotischen ” Anblicks ; alle Einheimischen um und tuschelten über dieses seltsam gekleidete Paar !! Beide redeten im breitesten Soroksárer mittel-bairischem Dialekt und haben sich auch nie mit dem hier gesprochen „ Schwäbisch ” anfreunden können . Mit den neuen Um ständen hier in Deutschland kamen sie kaum zurecht und freuten sich immer sehr , wenn mein Vater sie besuchte und ihnen bestimmte Dinge erklären konnte . Ihnen fehlten besonders die Kinder , die unsere älteren Vertriebenen immer wieder aus ihrer Lethargie „ herauszogen ”. So waren die beiden immer mit der Hoffnung auf eine Heimkehr nach Soroksár beschäftigt . Bei unseren Besuchen – Vater hat mich oft mitgenommen – fand ich die Gespräche , die geführt wurden , immer sehr spannend , konnte doch H-V alte Geschichten aus der Heimat ganz gut erzählen . Ich kann mich an manche Besuche auch noch heute ! recht gut erinnern ! So begann das Gespräch immer etwa so : „ Taumasch , waunn kuma mia wiada ham ? Wos schreiabt deia Zeidung ”? – Vater hatte eine in München erscheinende ungarische Exilzeitung abonniert . („ Thomas , wann kommen wir wieder heim ? Was schreibt deine Zeitung ?”) So ging das Gespräch weiter bis dann H-V im - mer zum Kern seines ( unseres ) Problems kam und dies in seiner drastischen Sprache etwa so darstellte : „ Dei kummunistischi ‘ Rau - wabanda ’, da Deiwl saull sie hauln , haum uns olles weggschtauln und uns va unsern Paradies vatrie ’ m . Grod sau wia unsa Herrgaud Adam und Eva van Paradies triem hot . Nur mit an Undaschied , mia haum nix vabrauchn – nur goarwet ! Do sama ietz Bettla woarn !” („ Diese kommunistische ‘ Räuberbande ’, der Teufel soll
( Fortsetzung auf Seite26 )
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