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erfolgten , verliefen weniger verlustreich . Jedoch urteilte 1950 die Walter-Kommission des amerikanischen Repräsentantenhauses in einem ausführlichen Bericht über die Vertreibung der Deutschen , daß keine Phase der Vertreibung als human bezeichnet werden könne .
9 . Ein noch schwereres Schicksal traf beinahe eine Million Verschleppter . Nur 55 Prozent überlebten . Hier ist die angloamerikanische Mitverantwortung gut belegbar , denn Churchill und Roosevelt akzeptierten am 11 . Februar 1945 auf der Konferenz von Jalta das Prinzip , wonach deutsche Zwangsarbeit als Kriegsentschädigung zugelassen wurde . Durch diesen gemeinsamen Beschluß , der ebenfalls von Stalin unterzeichnet wurde , wurden Volksdeutsche aus Rumänien , Jugoslawien und Ungarn und Reichsdeutsche aus Ostpreußen , Pommern und Schlesien - Männer wie Frauen - zur Sklavenarbeit in die Sowjetunion verschleppt , gewissermaßen als ’’ lebende Reparationen ”.
10 . Flucht , Vertreibung und Verschleppung haben über zwei Millionen unschuldige Opfer das Leben gekostet - und dies zum Teil quasi als Friedensmaßnahmen bzw . nach der deutschen Kapitulation . Ein solches Ereignis muß von der Welt zur Kenntnis genommen werden - ohne Polemik und ohne Vorwurf der Aufrechnung - eben als historisches Faktum . In diesem Zusammenhang muß auch der Verzicht auf Gewalt und Vergeltung in der Charta der Heimatvertriebenen vom August 1950 besonders gewürdigt werden .
Völkerrechtliche Thesen
1 . Heimatrecht ist Menschenrecht .
2 . Das Selbstbestimmungsrecht der Völker , das als jus cogens anerkannt wird , beinhaltet notwendigerweise das Recht auf die Heimat , denn man kann nur das Selbstbestimmungsrecht ausüben , wenn man aus der Heimat nicht vertrieben wird .
3 . Die Vertreibung der Deutschen war völkerrechtswidrig .
4 . Die Haager Landkriegsordnung von 1907 war im Zweiten Weltkrieg anwendbar . Artikel 42-56 beschränken die Befugnisse von Okkupanten in besetzten Gebieten und gewähren der Bevölkerung Schutz , insbesondere der Ehre und der Rechte der Familie , des Lebens der Bürger und des Privateigentums ( Artikel 46 ), und verbieten Kollektivstrafen ( Artikel 50 ). Eine Massenvertreibung ist mit der Haager Landkriegsordnung in keiner Weise in Einklang zu bringen . Auch gemäß der ’’ Martenschen Klausel ” in der Präambel der IV . Haager Konvention von 1907 sind Vertreibungen rechtswidrig .
5 . Vertreibungen waren im Jahre 1945 völkerrechtswidrig , auch in Friedenszeiten , denn sie verletzen die Minderheitenschutzverträge , die Polen und die Tschechoslowakei verpflichteten . 6 . Die Rechtsprechung des Internationalen Militär-Tribunals in Nürnberg verurteilte die Vertreibungen , die von den Nationalsozialisten durchgeführt worden waren , als Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschheit . Das Völkerrecht hat per definitionem universale Geltung , und darum stellten die Vertreibungsaktionen gegen die Deutschen , gemessen an denselben Prinzipien , ebenfalls Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschheit dar .
7 . Artikel XIII des Potsdamer Protokolls konnte nicht und hat auch keine Legalisierung der Vertreibung der Deutschen bewirkt . Die Alliierten hatten keine unbeschränkte Verfügungsgewalt über das Leben der Ostdeutschen . Auch wenn es ein ’’ Interalliiertes Transferabkommen ” gegeben hätte ( und Artikel XIII stellt kein solches Abkommen dar ), müßte es nach völkerrechtlichen Prinzipien beurteilt werden . 8 . Nach dem Stand des heutigen Völkerrechts sind Zwangsumsiedlungen völkerrechtswidrig . Artikel 49 der IV . Genfer Konvention über den Schutz von Zivilpersonen in Kriegszeiten vom 12 . August 1949 verbietet Zwangsumsiedlungen . Sie sind ausnahmsweise nur dann gestattet , wenn zwingende militärische Gründe zu dem einzigen Zweck , die Bevölkerung zu schützen , eine Evakuierung erfordern . Solche Evakuierungen , die sowieso nur vorübergehend sein dürfen , sind illegal , wenn sie aus einer Lebensraumpolitik abgeleitet werden .
9 . In Friedenszeiten verstoßen Vertreibungen gegen die UNO-Charta , gegen die Menschenrechtserklärung vom 10 . Dezember 1948 und gegen die Menschenrechtspakte von 1966 . Für die Unterzeichner des Vierten Protokolls der Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und der Grundfreiheiten gelten Artikel 3 : ’’ Niemand darf aus dem Hoheitsgebiet des Staates , dessen Staatsangehöriger er ist , durch eine Einzel- oder eine Kollektivmaßnahme ausgewiesen werden ...”; und Artikel 4 : ’’ Kollektivausweisungen von Fremden sind nicht zulässig .”
10 . In Kriegs- sowie Friedenszeiten stellen Vertreibung und Verschleppung völkerrechtliche Verbrechen dar . Gemäß Artikel 8 des Statuts des Internationalen Strafgerichtshofs gelten Vertreibungen als Kriegsverbrechen , gemäß Art . 7 als Verbrechen gegen die Menschheit .
11 . Vertreibung und Verschleppung können sehr wohl als Völkermord bezeichnet werden , wenn die Absicht des Vertreiberstaates nachweislich ist , eine Volksgruppe auch nur teilweise zu vernichten . Dies war zweifelsohne die Absicht Beneschs , wie in seinen Reden und in den Benesch-Dekreten ausreichend belegt . Dies ist auch die Auffassung führender Völkerrechtslehrer u . a . Felix Ermacora und Dieter Blumenwitz . Somit erfüllte die Vertreibung der Sudetendeutschen den Tatbestand des Völkermordes im Sinne der UNO-Völkermordskonvention von 1948 . Auch Teilaspekte der
Vertreibung der Deutschen aus Polen und Jugoslawien sind nachweislich Genozid .
12 . Flüchtlinge und Vertriebene haben ein Recht auf Rückkehr sowie ein Recht auf Restitution ( Siehe UNO-Unterkommission für Menschenrechte , Resolutionen 2002 / 30 und 2005 / 21 sowie der Schlußbericht der Unterkommission über Vertreibung und die Menschenrechte UN Doc E / CN . 4 / Sub . 2 / 1997 / 23 und die Ausführungen des ersten UN-Hochkommissars für Menschenrechte Dr . Jósé Ayala Lasso vom 28 . Mai 1995 in Frankfurt a . M . und 6 . August 2005 in Berlin ).
Schlußfolgerungen
1 . Aller Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft muß mit Ehrfurcht gedacht werden . Der Versuch , manche Verbrechen zu verharmlosen oder gar zu verschweigen , verstößt nicht nur gegen das Ethos der Wissenschaft . Er ist Hohn und Unbarmherzigkeit den Opfern gegenüber .
2 . Die Vertreibung der Deutschen ist ein legitimer Gegenstand wissenschaftlicher Forschung . Sie gehört zu den folgenschwersten Ereignissen der Zeitgeschichte , weil durch sie ein in Jahrhunderten gewachsenes Zusammenleben von Slawen und Deutschen ausgelöscht wurde . Daher kann sie nicht einfach aus der gemeinsamen europäischen Erfahrung ausgeklammert werden . Trotzdem existiert immer noch eine gewisse Tabuisierung dieser Thematik , die zwar nicht die Forschung , wohl aber die offene Diskussion hemmt . Es ist einfach eine Frage der historischen Vollständigkeit , sich auch diesem Kapitel der Geschichte zu stellen .
3 . Es ist die wissenschaftliche und moralische Pflicht des Historikers , geschichtliche Vorgänge zu erforschen und darzustellen , indem er die Fakten feststellt und sie in größere Zusammenhänge einordnet . Es ist einer freien Gesellschaft und einer freien Wissenschaft unwürdig , wenn man Zeithistorikem , die sich in seriöser Weise mit politisch heiklen oder gar unerwünschten Themen befassen , unterstellt , ihre Untersuchungen dienten der ’’ Aufrechnung ” oder ’’ Apologie ” von Verbrechen . Das Bild einer Epoche wird unweigerlich verfälscht , wenn man um politischer Wirkungen willen bestimmte Teilbereiche ausblendet .
4 . Die Vertreibung darf nicht als eine Frage von Schuld und Sühne betrachtet werden . Die Aufgabe , die für Krieg und Kriegsverbrechen Schuldigen zu bestrafen , war den Nürnberger Prozessen übertragen , und sie stellten dazu ein neues völkerrechtliches Prinzip auf , das der persönlichen Haftung von Politikern und Soldaten für ihre Handlungen . Jedoch wurden 15 Millionen Deutsche vertrieben - oder zur Flucht gezwungen , was faktisch dasselbe bedeutet - offensichtlich , ohne nach ihrer persönlichen Schuld oder Unschuld zu fragen . Eine Strafe , die von der Berücksichtigung persönlicher Schuld und