SEITGESCHEHEN - BESCHICHTE Thesen zur
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Das Grundlagewerk der Donauschwäbischen Geschichte
Von Oskar Feldtänzer
Mit diesem ersten Band einer vierteitigen Reihe wird erstmals eine Gesammtdarstellung der Geschichte der Donauschwaben der Öffentlichkeit vorgelegt . Der Band , der das Jahrhundert der Ansiedlung thematisch aufarbeitet bringt bislang wenig bekanntes Archivmaterial ans Tageslicht .
Oskar Feldtänzer
Donauschwäbische Geschichte
§ ■■■ Das Jahrhundert der Ansiedlung ■■■■ 1689 - 1805
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Donauschwäbische Kulturstiftung , München
SEITGESCHEHEN - BESCHICHTE Thesen zur
1 . Der Begriff Vertreibung als terminus technicus beinhaltet nicht nur die gewaltsamen Vertreibungen vom Sommer und Herbst 1945 , sondern auch die Evakuierung der deutschen Bevölkerung seitens der deutschen Behörden ab dem Herbst 1944 , die allgemeine Flucht im Frühjahr 1945 sowie die organisierten Zwangsumsiedlungen ab 1946 . Der Begriff Vertreibung muß so verstanden werden , weil sowohl die Evakuierten als auch die Geflüchteten beabsichtigten , nach Beendigung der Kampfhandlungen in ihre Wohngebiete zurückzukehren . Sie wurden jedoch von den sowjetischen und polnischen Behörden daran gehindert und eben deshalb zu Vertriebenen gemacht .
2 . Nach der Niederwerfung Polens im September 1939 wandten Hitler und Stalin ähnliche Methoden zur dauerhaften Beherrschung ihres jeweiligen Beuteanteils an . Hitler ließ etwa 650.000 Polen aus Gebieten Westpolens , die in das Reich eingegliedert werden sollten , deportieren , wobei im Anschluß daran dort verschiedene deutsche Volksgruppen nach ihrer Rückführung aus der sowjetischen Einflußsphäre (’’ Heim ins Reich ”) angesiedelt wurden . Währenddessen trachtete Stalin mittels Deportationen antisowjetisch eingestellter Polen und durch die Ermordung der polnischen militärischen Elite ( Katyn , 1940 ) die Macht über das Gebiet östlich der Ribbentrop-Molotow-Linie zu festigen . Im Ostfeldzug ab 1941 plante Hitler , im europäischen Teil der Sowjetunion große deutsche Siedlungskomplexe durch Vertreibung der einheimischen Bevölkerung zu schaffen .
3 . Das Prinzip der Zwangsumsiedlung wurde auf westlicher Seite zunächst von dem tschechischen Exil-Politiker Eduard Benesch nach dem Münchener Abkommen , noch vor Kriegsausbruch , befürwortet und im Laufe des Krieges in seinen Gesprächen mit Stalin , Churchill und Ro-
Historische Thesen
osevelt zu seinem wesentlichen Kriegsziel aufgebaut . Zunächst waren davon nur einige Hunderttausend Sudetendeutsche betroffen , die sich gegenüber dem tschechischen Staat illoyal verhalten und - wie Benesch behauptete - als Hitlers ’’ Fünfte Kolonne ” betätigt hätten . Allmählich erfaßte Beneschs Ausweisungsforderung immer mehr Deutsche - unter Außerachtlassung jeglichen Schuldprinzips , einfach um den tschechoslowakischen Staat künftig nicht mehr mit einer nennenswerten deutschen nationalen Minderheit zu belasten .
4 . Nachdem das Prinzip der Zwangsumsiedlung Volksdeutscher (’’ illoyale Minderheiten ”) von den Alliierten akzeptiert worden war , wurde es im Zusammenhang mit der geplanten Westexpansion des polnischen Staates auch auf Reichsdeutsche ( keine Minderheiten ) in den östlichen Provinzen Deutschlands angewandt . An der Konferenz von Teheran ( Nov . -Dez . 1943 ) führte Stalins Forderung , Polen östlich der Curzon-Linie zu annektieren , zur Entscheidung , Polen im Westen auf Kosten Deutschlands zu entschädigen . Mit der territorialen Entschädigung war auch der Plan zur Aussiedlung der einheimischen deutschen Bevölkerung verbunden , ohne daß sich direkte Bezüge zu den nationalsozialistischen Vertreibungspraktiken im Osten feststellen ließen .
5 . Die einschlägigen Akten im Public Record Office in London und in den National Archives in Washington zeigen , daß die Experten im Foreign Office und im State Department bis zu den Konferenzen von Jalta und Potsdam dafür eintraten , die territorialen Entschädigungen an Polen ( zunächst nur Ostpreußen , dann maximal bis zur Oder ) und die damit verbundenen Umsiedlungen der Deutschen zu beschränken ( zwischen zweieinhalb und sieben Millionen ) und sie durch eine sog . Population Transfers Commission beaufsichtigen zu lassen , um einen stufenweise geordneten Ablauf und eine Entschädigung für zurückgelassenes Eigentum zu gewährleisten . Dabei stützten sich die Diplomaten auf den Präzedenzfall des Bevölkerungsaustausches zwischen Griechenland und der Türkei 1923 bis 1926 , der unter Aufsicht des Völkerbundes und auf der Basis des Lausanner Abkommens durchgeführt worden war .
6 . Auf der Potsdamer Konferenz im Juli 1945 wurde zwar der bekannte Artikel XI- II über den Transfer der Deutschen angenommen , jedoch ist er häufig falsch ausgelegt worden , wenn behauptet wird , daß die Anglo-Amerikaner den Umfang der Umsiedlung befürwortet hätten . Im Gegenteil : Artikel XIII stellt eine Notmaßnahme dar , die in höchster Eile verfaßt und angenommen werden mußte , weil die nicht genehmigten , wilden Vertreibungen aus der Tschechoslowakei , aus Polen und aus den deutschen Ostgebieten eine völlig chaotische Situation in der amerikanischen und der britischen Besatzungszone verursacht hatten , nicht zuletzt auch in Berlin , wie in unzähligen amerikanischen und britischen Berichten aus dieser Zeit belegt ist . Somit war Artikel XIII kein Blankoscheck für die Vertreibersstaaten . Vielmehr bezweckte er zunächst ein Vertreibungsmoratorium und die Übertragung der Zuständigkeit für Umfang und Zeitpunkt des Transfers an den Alliierten Kontrollrat in Berlin .
7 . Die amerikanische und die britische Regierung protestierten in Warschau und Prag wiederholt wegen der inhumanen Behandlung der deutschen Bevölkerung und der Nichteinhaltung der Richtlinien des Artikels XIII .
8 . Die Umsiedlungen , die nach der Aufstellung eines Aufnahmeplans des Alliierten Kontrollrates im November 1945
( Fortsetzung auf Seite 16 )