Sonntagsblatt 5/2016 | Page 26

Nun taucht die Frage für uns – Deutsche in Ungarn – auf: Sollen wir unsere Symbolik mit der Kornblume ergänzen? Meine Ant - wort ist eindeutig bejahend. Auch in diesen Zeiten suchen wir unsere eigene Identität, und versuchen zu definieren, was das Ungarndeutschtum eigentlich bedeutet. Wir können sicher sein, dass die Kornblume gleichzeitig „unideutsch” und „ungarn- deutsch” ist. Die Beispiele der alten Traditionen beweisen diese Behauptung. Für die Zukunft wäre es heilsam und erwünscht, auch die blauen Blumenblätter ins gemeinsame Repertoire aufzu- nehmen, weil sie quasi ein bedeutungsvolles Stück unserer Kultur sind. Stefan Pleyer • Zum Feierabend • Wir trauern um einen aufrechten Kämpfer für das Ungarn - deutschtum Friedrich Spiegel-Schmidt Pfarrer und Dekan i. R. geb. 27.2.1912, Montreux/Schweiz – gest. 16.8.2016, Planegg Friedrich Spiegel-Schmidt ist im Alter von 104 Jahren gestorben. Der Pastor blickt auf ein bewegtes Leben zurück. Als Un - garndeutscher in der Schweiz geboren, in Salzburg aufgewachsen, war sein Leben von den Wirren des 20. Jahrhunderts geprägt. Nach seinem Theologiestudium in Wien verbrachte Spiegel- Schmidt die Kriegsjahre als Dorfpfarrer in Ungarn – dort fehlte es in den deutschen Gemeinden hinten und vorn an Geistlichen, – von wo aus er 1944 mit seiner Familie nach Deutschland floh. Dort arbeitete er zunächst als Pfarrer in Bad Wörishofen, 1969 wurde er Prodekan im Bezirk München-West. Auch nach seinem Ruhestand blieb er in der Kirche aktiv, erteilte Religionsunterricht und übernahm Kurpredigerdienste. Sein Leben lang war er maßgeblich beteiligt an der ungarisch– deutschen Nachkriegsgeschichte. Er setzte sich für Flüchtlinge ein, half ihnen sich in ihrer neuen Heimat zu integrieren und kämpfte für die Versöhnung Deutschlands mit seinen Ostnach - barn. Für sein kirchliches wie politisches Engagement wurde Spiegel-Schmidt mit dem Bundesverdienstkreuz am Bande ausge- zeichnet. Den Ungarndeutschen Kulturpreis erhielt er 1987, darü- ber hinaus noch viele weitere Auszeichnungen. Erwähnt muss sein Einsatz – in Wort und Schrift – für die gede- mütigte, unschuldig verurteilte Volksgruppe der Deutschen in Ungarn werden. Er erwog auch eine mögliche Rehabilitierung des hingerichteten Volksgruppenführers Dr. Franz Anton Basch. Er verfasste mehrere Bücher und viele seiner Aufsätze erschie- nen in Suevia Pannonica, dem Archiv der Deutschen aus Ungarn. LIEBER ALTER FREUND – RUHE IN FRIEDEN! –ri– O Unlängst feierten wir Das Fest des hl. Stephan und des neuen Brotes Der 20. August ist in Ungarn ein Nationalfeiertag. An diesem Tag wird an den Staatsgründer, den hl. Stephan (Szt. István) gedacht, da er an diesem Tag heiliggesprochen wurde. Dieser Feiertag durfte während dem kommunistischen Regime nicht abgehalten werden, anstatt dessen kreierte man einen neuen Feiertag, der zur sozialistischen Ideologie besser passte. In Ungarn nimmt das Brot traditionsgemäß eine äußerst wichti- 26 ge Rolle ein. In einem Land, das in den vergangenen Jahrhunder - ten überwiegend von Landwirtschaft lebte, war das Vorhanden - sein von Weizen lebenswichtig. Bei den ungarischen Bauern war daher das Wort ,,Weizen” mit dem Wort ,,Leben” = „élet” gleich- gestellt und sogar als dessen Synonym benutzt. Ob die Feier des neuen Brotes wirklich erst nach 1945 künstlich kreiert wurde und die Kommunisten das uralte Ritual des Kults des Brotes sich aneigneten und gleichzeitig zu einem politischen Akt erhoben hat- ten, ist umstritten. Doch die Vorbilder dieser Feier sind nicht in der Sowjetunion zu suchen, sondern in den Erntedankfesten von Darányi. Die alleinige Bestimmung dieser Erntedankfeste bestand darin, die gesellschaftlichen und politischen Spannungen der 1890er Jahren abzuleiten. Dies war im Einklang mit dem Phänomen, das ab den 1870er Jahren bis zum ersten Weltkrieg in Europa zu beobachten war. Es wurden verschiedene öffentliche Zeremonien abgehalten und Bräuche erfunden, um das für solche spektakuläre Zeremonien empfängliche Publikum zu fesseln. Ein eigenartiger Anlass dieser massenhaften Brauchtumsproduktion“ war das von Ignác Darányi (Minister f. Landwirtschaft) restaurier- te Ernte(dank)fest und das daraus entwickelte Fest des neuen Brotes. Nach der Beendigung des Zweiten Weltkriegs rangen die Par - teien um die Ideologie des neuen Brotes. Auch die Kommunis - tische Partei nahm mit großem Schwung daran teil um dem an sie gehängten Titel des „Landesverräters” zu entkommen. Die Partei formulierte ihre Gründe in einer Proklamierung warum dieses Fest für sie so wichtig sei, etwa so: „Nach dem Dreschen hat das Volk alles Recht nach so vielem Kampf und Mühe sich zu erholen und den 20. August, den Tag des hl. Stephans, der Feier des neuen Brotes zu widmen. An diesem Tag werden wir in jedem Dorf, wo es ein kommunistisches Parteiorgan gibt (...), ein Volksfest veran- stalten. (...) Zeigen wir, dass die Kommunistische Partei nicht nur in der Arbeit, sondern auch in der Verbreitung und Wieder - belebung der wahren Volkskultur Vorkämpfer ist. So schob die Partei das Fest des neuen Brotes auf den 20. August, der hl. Stephan wurde zu einem revolutionären Landesgründer und hob die Feier in die eigene politische Liturgie. Die Grundvorstellung, dass der Tag des hl. Stephan gleichzeitig die Feier des neuen Bro - tes werde, stammt aber nicht von den Kommunisten, sondern von der Nationalen Volksfront (Hazafias Népfront). Die Kommunis - ten schlugen zu diesem Tag als Zugabe das „Fest der Verfassung” (Alkotmány ünnepe) der Volksrepublik Ungarn vor. Die Geschichte der Heiligen Rechte (Szent Jobb) Das ursprüngliche Fest des hl. Stephan, des Staatsgründers, blickt übrigens wirklich auf eine lange Tradition zurück. Dieser Tag wur - de anfangs am 15. August gefeiert. Es war König Ladislaus der Heilige (Szent László), der den Feiertag auf den 20. August ver- schob. An diesem Tag im Jahre 1083 wurden nämlich die Überres- te König Stefans im Altar der Basilika von Székesfehér vár/