Sonntagsblatt 5/2016 | Page 22

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Allerheiligen 1974
Allerseelen
Das LESEN des Sonntagsblattes weckt das NACHDENKEN

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Hans Dama :

Allerheiligen 1974

Abendliche Stille : Die Dunkelheit klebt am Althausgemäuer . Leichtes klopfen an den trockenen Fensterscheiben . Flatterpapier in der Hand des Boten : Durch gähnenden Fenstermund : Empfang einer Postkarte , der langersehnten . ein Schicksalsgeschenk : Reisepassabholung , singuläres Ereignis für mich im kommunistischen Diktatorenreich . Ausreisegenehmigung : Weggang für immer aus dem Pseudoparadies des Schreckens ohne Ende .
Langersehnt , hoffnungsgetragen , doch Nachdenklichkeit macht sich breit : die hier bleibenden Eltern , Geschwister … Was soll aus ihnen werden ? Ausgeliefert den Nöten , dem Untergang ? Frageketten . endlos und ernst überlagern die Freude des Augenblicks . Scheideweg im Leben : Ausreise : vierzig Tage später …
Eine neue Eckartschrift :

Koloman Brenner Die Ungarndeutschen seit 1989 .

Mit dem besonderen Schwerpunkt auf ihrer sprachliche Entwicklung . 112 Seiten , zahlreiche Farbbilder und Landkarten € 9,20
Unter den deutschen Volksgruppen in Europa können drei unterschiedliche Grup pen auseinandergehalten werden : Die Deut schen in Westeuropa sind von der allgemeinen Entwicklung be günstigt in einer stabilen Lage , während in Polen , Ungarn , Russ land und in Kasachstan noch jeweils weit über 100 000 Deutsche leben , sind es in einigen Nachfolgestaaten der ehemaligen Sow jetunion wie Armenien oder Aserbaidschan nur noch einige Hun - dert . Insgesamt dürfte jedoch allein im Osten Europas noch über eine Million Deutsche leben .
Auch in Ost-Mittel-Europa sind deutsche Minderheiten , die zahlenmäßig und von der Organisationsstruktur her relativ stark sind , hier seien die Deutschen in Po - len und Ungarn bzw . in einer gewissen Son derstellung in Rumänien erwähnt , in

Allerseelen

Durch abgedientes Novemberlaub , den Schritt gefedert , in Bleigedanken vorbei an tausenden verstummten Schicksalen . ewigkeitsbeherbergt … Endzeitstimmung gräbt sich in meine Seele : Noch darf ich schreiten hier , wohl auch den Weg bereiten her . den eigenen ? Heimliche Ewigkeitsvorsorge : Die Tage sind gezählt , fern die Wiege , nah die Bahre dazwischen flattern Formulare des Alltagslebens … Eines kann ich nicht mehr ausfüllen : meinen Ablebensschein …
Langsam die Schritte , rasante Gedanken : Was hab ich mit den hier Ruhenden gemeinsam ? Die Zukunft : den Gang in die Ewigkeit .
Wien , Zentralfriedhof , 02.11.2015
allen anderen Staaten ist die Zahl nach der Vertreibung und Verschleppung nach dem Zweiten Weltkrieg auf einige Tausend Personen ge schrumpft . Diese historischen Prozesse spiegeln sich auch beim Erhalt der deutschen Sprache und Kultur wider . Es ist wichtig zu erwähnen , dass die traditionelle Rolle der deutschen Sprache vor allem auf dem Gebiet der Habsburg-Mo - narchie bis 1918 einer offi ziellen Staats - sprache nahe ; stand , da die die Eliten dort Deutsch meistens auf einem hohen Niveau beherrschten , unabhängig von ihrem ethnischen Hintergrund . Die Ungarndeutschen sind also in diesem Zusammenhang eine deutsche Minder heitengemeinschaft , die sowohl von der Zukunftsperspektive her , als auch wegen der Verbundenheit mit Ös - terreich ein besonderes Augenmerk verdient .
Bis kurz vor der Wendezeit wurde auch die Vertreibung der Deutschen aus Ungarn im Lande weitgehend tabuisiert . In Österreich und der Bundesrepublik Deutschland ist die Frage durch die politische Einfluss - nahme der Vertriebenenverbände und ihre Orien tierung leider im Laufe der Zeit zu einem Quasi-Tabuthema geworden , da im Zeichen einer falsch verstandenen politischen Korrektheit in der breiten Öffent - lichkeit eine negative Beur tei lung von politischen Kräften stattfindet , die sich mit dem Thema beschäftigen . Es ist nicht die Aufgabe dieses Buches , in diese Dis kussion einzugreifen , die durch die spe zifischen Iden titätsent wicklungen in Österreich nach dem Zweiten Weltkrieg noch komp lizierter geworden ist . Natürlich könnten diese Be - völkerungsteile genauso Altösterreicher deutscher Muttersprache heißen , da bis 1918 im letzten Staatsge bilde der Habsbur - ger-Mo narchie namens Österreich – Un - garn , unter den vielen an deren Völ kern sie eben auch diese Be zeich nung verdienten , trotz der Tatsache , dass die Vorfahren der Ungarndeutschen z . T . aus anderen Regio - nen des damaligen Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation in ihre neue Heimat kamen . Sowohl in Ungarn wie auch in anderen ostmitteleuropäischen Ländern werden die Deutschen verallgemeinernd „ Schwaben ” genannt . Diese rep - räsentiert eine bekann te Erscheinung für Be zeichnung der Ethnien ; die „ Schwaben ” werden verallgemeinert für das Ganze , hier also für alle Deutschen verwendet . Die ersten Ansied ler nach den Türkenkrie - gen waren nämlich echte Schwa ben , sodass die nichtdeutschen Bevölkerungsteile da - nach einfach alle deut schen Ansiedler als Schwaben bezeichneten .
In der Begriffswahl („ Ungarndeutsche ”) und Thematisierung des Buches werden die Ausdrücke verwendet , die in Ungarn und auch in wissenschaftlichen Abhand - lun gen gewöhnlich benutzt werden , es sollte daraus kein Glaubens- und Benen - nungskrieg entstehen , diese Gemeinschaft ist deutsch und gleichzeitig mit dem historischen Ungarn ebenfalls eng verbunden . Es ist zu hoffen , dass auch in Österreich endlich die Sorgen und Initiativen der Ungarndeutschen registriert und unterstützt werden ; im Buch wird gezeigt , dass es sich lohnt , diese Volksgruppe zu respektieren und ihrem Bemühen für die angestammten Sprache und Kultur Aufmerk - samkeit zu zollen . N . P .

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