Sonntagsblatt 5/2015 | Page 21

Maria Theresia entzückte. Von Kempelens Inge nie urs kunst er - mög lichte erst die Trockenlegung des Banater Tieflandes. Die Donauschwaben – ob sie nun Elsässer waren oder Lothringer, Pfälzer, Breisgauer, Italiener oder Franzosen – sind Auswanderer gewesen. Sie waren keineswegs die Einzigen, die sich damals aus dem kriegerischen Westeuropa auf Wanderschaft begaben. Viele zog es über den Atlantik, nicht wenige nach Russland. Diese Wanderer wurden gerufen. Manche gar besto- chen: Habsburg bot Grund- und jahrelange Steuerfreiheit. Die Befreiung aus der Leibeigenschaft lockte auch viel Know-how an die Donau und die Theiß. In der donauschwäbischen Exodusge - schichte dominiert freilich die Entbehrung. „Den Ersten der Tod”, erzählten und erzählen sie einander und jedem, der es hören woll- te und weiterhin will, „den zweiten die Not, erst den dritten das Brot.” Eine nicht speziell schwäbische migrantische Generatio - nen perspektive. Donauaufwärts retour 200 Jahre später sind aus den Nachkommen der einstigen Wirt - schaftsmigranten mit einem Mal Flüchtlinge geworden, Vertrie - bene. Als Donauschwaben gerieten sie alle in den Strudel der Vergeltung für die nazistischen Gräuel, in die auch Landleute, aber keineswegs alle, involviert gewesen waren. Zu hunderttau- senden zogen sie, wie sinnbildlich, wieder donauaufwärts. Ihr ers- tes Ziel war Österreich. Aber nicht das letzte. Eine Gruppe Banater – sie kamen aus dem rumänischen Banat, wo die Verfolgung allerdings nicht so umfassend war – entsann sich der Tiefe ihrer Ahnenreihe. Der aus Blumenthal/Masloc/ Máslak stammende Jurist Johann Lamesfeld nahm die Sache in die Hand, gründete das „Komitee der aus Frankreich stammen- den Banater” und lag als dessen Präsident den französischen Besatzern nachhaltig in den Ohren. Die waren durchaus offen, das Wiener Haus-, Hof- und Staatsarchiv war penibel geführt, und somit konnten die nachre- cherchierenden Offiziere nach Paris melden: Es stimmt. Unweit von Blumenthal gibt es sogar ein Mercydor f, benannt nach dem Lothringer Claudius Florimund Graf Mercy, Prinz Eugens Ge - fährte und erster kaiserlicher Gouverneur von Temesvar. Die französischen Besatzer halfen zunächst also, die vom Komitee namhaft Gemachten unter eigene Oberhoheit, sozusa- gen in Schutz vor allfälligem sowjetischem Zugriff zu bringen, in ein Lager ins Tiroler Kematen. Mit einem Brief, eingenäht in die Tracht einer Banater Puppe, gelang es von dort aus Kontakt mit dem französischen Premier aufzunehmen. Umgehend kam die Antwort von Robert Schuman: „Ich als Lothringer kenne die Ge - schichte der Banater.” Von November 1948 bis April 1949 kamen also mehr als 10 000 Banater ins Elsass und nach Lothringen. Und wie alle Flüchtlinge standen auch sie, die da in Colmar herzlich willkommen geheißen wurden, vor der Herausforderung, neu anfangen zu müssen. Viele fanden Arbeit auf den elsässischen Weingütern, viele in den loth- ringischen Industrien. Was aber sollten die Bauern tun? Eine Colmarer Zeitung brach- te eine wöchentliche Beilage von und über die Banater, und in die- ser wurde 1950 einmal auch diese Frage behandelt. Dass so man- cher Tieflandbauer aus dem Osten auf der Suche nach Grund und Boden sei. Das las einer, den es aus Lothringen in die Provence verschlagen hat. Mit der Zeitung in der Hand klopfte er bei Édou- ard Delebecque an, der gerade am Manuskript seines Abgesanges werkte. Und so entstand die Idee. Eine Woche später schon war Lamesfeld bei Delebecque. Wieder wurde Schuman – mittlerweile Außenminister – einge- schaltet. Ein Prominentenkomitee machte Stimmung, sammelte Spenden. Nach und nach bevölkerte sich das Dorf wieder. Die Schwaben krempeln die Ärmel hoch, setzen die Ruinen im Ortskern instand, roden mehr als 200 Hektar, pflanzen 30 000 Obstbäume, legten Weingärten an. Nicht ganz 500 Menschen leben heute hier, in der Nähe von Avignon. Sind, no na, Franzosen. Sind aber doch auch, no na, Schwaben geblieben. Peter-Dietmar Leber, Chef der deutschen Landsmannschaft der Banater Schwaben und auch ein Chronist des wieder erblüh- ten La Roque-sur-Pernes, bringt das identitäre Dilemma – so es denn, was füglich bezweifelt werden darf, wirklich eines wäre – wunderbar auf den Punkt. Auf seine diesbezügliche Frage, so schreibt er, erklärte ihm eine alte La Roquerin unmissverständ- lich: „Wir sind Franzosen und bleiben Franzosen!” Um wenig spä- ter in ebendieser Weise zu ihrem Mann zu sagen: „Du weißt doch, wie die Franzosen sind!” Wolfgang Weisgram, 19.9.2015 P.S. Über den französischen Ort La Roque-sur-Pernes, dessen Ein - wohner und Geschichte, brachten wir im Sonntagsblatt in Fortset - zungen (2014!) einen ausführlichen Bericht von Lm. Peter-Dietmar Leber mit der Überschrift „Banater Schwaben in Frankreich – Auf der Suche nach Heimat”. • Literatur – Bücher • Tag der deutschen Sprache am 12. September 2015 Liebe Sprachfreunde, Muttersprachen sind der Kitt, der Gesellschaften zusammenhält. Eine gemeinsame, sozial- und kulturgeschichtlich gewachsene Landessprache ist die beste Voraussetzung für gegenseitiges Ver - ständnis und demokratische Mitsprache. Deswegen hat der VDS im Frühjahr das Jahresmotto „Muttersprache – Landessprache – Mitsprache” ausgerufen. So protestieren wir dagegen, dass in Frankreich die Schulstunden in der Fremdsprache Deutsch gekürzt werden, weil wir uns für ein vielsprachiges Europa einsetzen. Die Delegierten - ver samm lung hat Anfang Juli die „Wittenberger Erklärung” zum geplanten Freihandelsabkommen TTIP verabschiedet, um auf die Gefahren dieses Abkommens für die deutsche und die anderen Sprachen Europas hinzuweisen. Der Leitspruch „Muttersprache – Landessprache – Mitsprache” gilt auch für den Tag der deutschen Sprache 2015 am 12. Septem - ber. Die wichtigsten Themen des VDS wie „Deutsch ins Grund - gesetz”, „Deutsch in der EU”, „Mehr deutschsprachige Musik im Rundfunk”, „Guter Deutschunterricht” und viele andere Schwer - punktthemen lassen sich damit verbinden. Einige Vorschläge für Formate (Vorträge, Infostände, Interviews usw.) finden Sie auf der beiliegenden Liste. Natürlich ist auch jedes andere Thema oder Vorhaben willkommen. Jede Regionalvertretung kann eine Veranstaltung auf Antrag durch VDS-Mittel finanziell fördern las- sen. Bitte schicken Sie dazu anliegendes Anmeldeformular mit einem Kostenplan zurück an die Geschäftsstelle. Ab August stehen alle Termine auf der VDS-Netzseite. Alle Fotos und Berichte von Ihrer Veranstaltung sammeln wir für die jährliche Dokumentation. Wir danken Ihnen für Ihre Unterstüt - zung und wünschen viel Erfolg und Spaß. Mit freundlichen Grüßen Holger Klatte Das LESEN des Sonntagsblattes weckt das NACHDENKEN 21