Zum Tod von Peter Kienesberger, Südtirol-Aktivist der Sechzigerjahre
Zum Tod von Peter Kienesberger, Südtirol-Aktivist der Sechzigerjahre
26.07.2015( Die Presse)
Wien / Nürnberg. Am 14. Juli ist im bayrischen Ebermannstadt der österreichische Südtirol-Aktivist Peter Kienesberger im 73. Le- bensjahr gestorben. An jenem Tag also, an dem man in Wien den Mitstreiter der Sechzigerjahre im Kampf um Südtirol, den langjährigen ORF-Generalintendanten Gerd Bacher, zu Grabe trug.
Der Freiheitskampf der deutschen Südtiroler wurde als letzter Ausweg angesehen, um die Politik Italiens in Südtirol zu stoppen. Die Italienisierungsmaßnahmen und der politische, kulturelle und soziale Druck gegen die relativ kleine Volksgruppe( ca. 300 000 Men schen bekennen sich zum deutschen Volkstum) führte dazu, dass man ausrechnen konnte, dass bereits Anfang der 70-er Jahre in Südtirol eine italienische Mehrheit leben würde. Der Nestor der Südtiroler, Monsignore Michael Gamper wies in der von ihm gegründeten Tageszeitung „ Dolomiten” darauf hin, dass sich die Südtiroler auf dem „ Todesmarsch” befinden, wenn nicht noch in letzter Minute Rettung käme. Nachdem alle Appelle an die italienischen Machthaber nichts nützten, wurde der Befreiungsaus- schuss Südtirol gegründet, der mit Demonstrationssprengungen die Weltöffentlichkeit auf das Unrecht in Südtirol aufmerksam machen wollte. Peter Kienesberger war Oberösterreicher, Radioelektroniker, erfahrener Bergsteiger, geprägt im Alpen- und im Turnverein. Der Protest der Tiroler Bevölkerung gegen die überhandnehmende Italianisierung des Landes an Etsch und Eisack war für den 18- jährigen Kienesberger Grund genug, in den Widerstand zu gehen.
Am 22. August 1961 stand der junge Mann bereits zusammen mit dem Schützenmajor Georg Klotz und einigen anderen Mitver- schworenen bei St. Martin im Passeier im Partisaneneinsatz gegen den Neofaschismus. Man sprengte einen Hochspannungsmasten. Dann warteten die Männer im Hinterhalt auf das Eintreffen der Polizeikräfte. Als „ Rendezvouspartner” erwartete sie der Carabi- nieri-Capitano De Rosa, einer der berüchtigtsten Folterer in Süd- tirol. Als De Rosa an der Spitze seiner Männer am Tatort eintraf, eröffneten die Widerstandskämpfer sofort das Feuer. Sie schossen über die Köpfe der Polizisten hinweg. Diesmal sollte es noch eine Warnung sein.
Italiens Geheimdienst – sehr aktiv
Mastensprengungen im Bozener Unterland folgten, Sprengstoff wurde über Gletscher und Joche geschmuggelt. Der italienische Ge heimdienst war auch nicht wählerisch: Der Tiroler Schützen- leutnant aus Gries bei Bozen, Luis Amplatz, wurde 1964 im Auf- trag des Ufficio Riservato( Abteilung für vertrauliche Angele- genheiten) des römischen Innenministeriums durch einen Agen- ten ermordet. Bei diesem Mordanschlag wurde Georg Klotz zwar schwer verletzt, konnte aber fliehen.
Auch Kienesberger floh nach Österreich, wo er fast sieben Jahre in U-Haft bzw. deutscher Auslieferungshaft saß. Mehrmals stand er in den Südtirol-Prozessen vor Gericht, wurde aber jedes Mal freigesprochen, weil die Geschworenen eine Notstandssituation in Südtirol annahmen, die gewaltsamen Widerstand rechtfertigte. Hingegen wurde er in zwei Mailänder Prozessen in Abwesenheit insgesamt zu 47 Jahren verurteilt. Die Einreise nach Südtirol blieb ihm damit zeitlebens verwehrt.
Falsche Fährte zur Porzescharte
Unter italienischer Folter hatten zwei Mitverschwörer ausgesagt, Kienesberger, der spätere Universitätsprofessor Erhard Hartung und Egon Kufner trügen Schuld am Tod von vier italienischen
Soldaten durch zwei Sprengfallen auf der Porzescharte am 24. Juni 1967. Die diplomatischen Spannungen zwischen Rom und Wien eskalierten. Die Angeklagten beteuerten ihre Unschuld. Erst im Jahr 2014 konnte der Militärhistoriker Oberst Hubert Speckner anhand geheimer österreichischer Akten schlüssig beweisen, dass der sogenannte Tatort auf der Porzescharte von den Italienern manipuliert worden war und Kienesberger und die Mitange- klagten unmöglich die Täter gewesen sein konnten(„ Die Welt bis gestern” berichtete). Im Exil in Nürnberg baute er einen florierenden Buchhandel und Informationsdienst auf, aber Rom versuchte 14 Jahre lang, den Flüchtigen ausgeliefert zu bekommen. Mehrere Entführungs- versuche wurden gestartet. Gnadengesuche des österreichischen Bundeskanzlers Bruno Kreisky, der – wie berichtet – in den Sechzigerjahren mit dem Tiroler Befreiungskampf sympathisierte, blieben erfolglos.( hws) ❖
Flüchtlinge – dann Wirtschaftsmigranten – dann französische Donauschwaben
Südfrankreich: Die provenzalischen Schwaben
Eine Gruppe donauschwäbischer Flüchtlinge hat 1950 tatkräftig damit begonnen, ein kleines Dorf in Südfrankreich zu reanimie- ren, über das selbst der damalige Bürgermeister schon das Kreuz ge schlagen hatte. Eine kleine, europäische Geschichte von Wirt- schaftsmigration, Vertreibung, Flucht und Neuanfang.
Im Jahr 1950 war das kleine Dorf La Roque-sur-Pernes, wenn schon nicht tot, so doch todgeweiht. Gerade noch 17 Alte lebten in dem Dorf mit der mächtigen romanischen Kirche. Von den mehr als 1000 Hektar, die einst unter der sanften provencalischen Sonne bewirtschaftet worden waren, waren noch 50 im Kultur- betrieb. Der Bürgermeister – Édouard Delebecque hieß er – schrieb gerade an einem Buch, das 1951 unter dem Titel Un village qui s’ éteint erschien. Ein Dorf, das verlischt.
Um zu erzählen, warum es dann doch nicht so weit gekommen ist, muss man weit ausholen. Bis tief ins 18. Jahrhundert, als nach der Zweiten Türkenbelagerung 1683 ganz Ungarn und der Nord- bal kan unter habsburgisches Zepter kam. 1718 wurden im Frie- den von Passarowitz die habsburgisch – osmanischen Interessen- gebiete für die nächsten 200 Jahre abgesteckt.
Habsburg regierte damit über ein weites, aber weitgehend auch unkultiviertes, sumpfiges Land. In drei großen Migrationsbewe- gun gen holte man deshalb zwischen 1722 und 1787 Zigtausende Menschen, die sich später dann einmal als Donauschwaben eine Art Stammesnamen gegeben haben. Irrtümlicherweise wurde dieser Name aber stets eher auf „ Schwaben” betont als auf „ Donau”. Denn keineswegs zogen nur Schwaben nach Ungarn, in das Banat, in die Batschka. Aus aller Herren Länder taten sie das, aber alle eben über die Donau. Die meisten vom Donauhafen Ulm weg in den berühmten Ulmer Schachteln.
Viele dieser „ Schwaben” stammten – nicht zufällig – aus Loth- rin gen. Sie folgten dem Ruf ihres angestammten Herzogs( zu er- zählen, warum dieser Franz Stephan das nicht geblieben ist, würde zu weit führen, nämlich mitten hinein in den polnischen Erb- folgekrieg), der als Gatte von Maria Theresia das Ansied lungs- projekt in die Hand genommen hat. Dies erwies sich dabei als ein so goldenes, dass die habsburgisch – lothringische Privat scha tulle reichlich gefüllt wurde. Unterstützt wurde Franz Step han da bei vom Pressburger Wolfgang von Kempelen( ungarisch Kem pelen Farkas), dessen berühmter mechanischer „ Schach türke” nicht nur
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