Sonntagsblatt 5/2014 | Page 9

benötigt man die Stimme des Volkes. Und wenn das Volk wieder stumm bleiben wird? Wachet auf! Ja, die Wahlen im Frühjahr haben es deutlich gezeigt: Unser deut- sches Volk in Ungarn schlummert – wissend/wollend oder unwis- send –, es müsste eben gerüttelt werden, um aufzuwachen, um den Ruf der Zeit zu hören. Das Volk hat Jahrzehnte hindurch immer nur zu hören bekommen, dass wir Rechte haben und es doch Schwierigkeiten gibt, weshalb der Fortbestand der Volksgruppe gefährdet ist. Es hat auch erfahren, dass es entgegen aller schönen Worte, nicht vorwärts geht. Man hat es mit dem Spruch getröstet: Totgesagte leben länger. Doch was ist das für ein (in Koma liegen- des) Leben? Wo fehlt es also? Es fehlt an Aufrichtigkeit. Es fehlt an aktiver Arbeit. Es fehlt an mutigen Menschen. Es fehlt an deutschen Führungskräften. Aufrichtig müsste man unsere Lage erkennen und darstellen. Sie unseren Landsleuten so erklären, wie sie wirklich ist. Wir sind am Ende; die Volksgruppe wird sterben, wenn es kein Erwecken, kein Erwachen gibt! Auf der Bühne deutsch singen und tanzen, – das genügt nicht! Denn wie sieht denn unsere Wirklichkeit, unser Alltag aus? Was unterscheidet einen „Ungarndeutschen” vom Staats volk, von anderen Völkerschaften des Landes? Womit/wo - durch kann man uns als Deutsche erkennen? Unsere Kleidung? Unser Schaffen? Die Gastronomie? Unsere Bräuche? Unser kulturelles Leben? Im Laufe der – besonders der letzten – Jahrzehnte haben sich die Menschen im Lande so vermischt, sich einander so angepasst, dass man auf die gestellten Fragen sagen kann: Wir sind eigentlich alle gleich. Wir sind alle (und das sind wir wirklich als Bürger) Ungarn, – gemeint damit aber ist fälschlicherweise, dass wir alle Madjaren sind (was wir dennoch nicht sind). Bezüglich Kleidung, Arbeit, Kochen u.a. gibt es wirklich keinen Unterschied. Bräuche hat man von uns, wir von anderen über- nommen. Auf der Bühne werden deutsche Lieder gesungen und deutsche Tänze vorgetragen, – wobei die Mitwirkenden nicht nur (Ungarn)Deutsche sind. Unsere deutsche Musik wird auch von Nichtdeutschen gespielt. Schwabenbälle werden auch schon in ungarischen Ortschaften veranstaltet – in ungarndeutschen Ge - meinschaften überwiegend mit ungarischer Sprache. Usw. Eigentlich ist das alles noch nicht so schlimm. In vielen Fällen sogar angenehm, nützlich. Was ist dann schlimm? Schlimm ist, dass man uns auch an der Sprache nicht mehr er - kennen, unterscheiden kann! Die Ungarndeutschen reden unga- risch! Am Arbeitsplatz, in der Schule, in der Familie, ja auch auf dem Schwabenball, im deutschen Kulturverein, in der Deutschen Selbstverwaltung. Warum? Weil sie ihre Muttersprache vergessen (?), abgelegt haben – wie einst die Volkstracht. Man sagt, man hat sie uns genommen, – doch häufig ist die Wahrheit: Wir haben sie aufgegeben. „Weil es halt heute so ist…”. Gewohnheit. Vielleicht auch Scham. Doch eher Bequemlichkeit. Der Vorgang des Sprachverlustes ist freilich kein Zufall. Was der ungarische Staat einst (auch mit Zwang) erreichen wollte, was die geschichtliche/ po litische Entwicklung begünstigte, das hat unsere menschliche Schwäche ermöglicht: Wir haben unsere deutsche Muttersprache verloren! Im Leben ist es aber doch so, dass man auch Gestohlenes, Verlorenes wieder finden und zurückgewinnen, Vergessenes neu- beleben kann. Schließlich ist es ja immer noch (eingebüßtes) Eigentum, man muss es nur erneut in Besitz nehmen. Damit will ich sagen, auch wenn heute das Kind von der Mutter zuerst Unga - risch lernt (weil auch die Mutter schon mit dem Ungarischen auf- gewachsen ist), die Großeltern/Urgroßeltern aber noch Deutsch zur Muttersprache hatten, dann kann dieses heutige Kind, wenn es will, doch deutscher Muttersprache sein bzw. werden (auch in der Statistik). Dazu ist freilich das Erlernen der Sprache Voraussetzung. Dafür braucht man wieder den Willen! Und man braucht den richtigen Kindergarten und die richtige Schule dazu. Um diese zu bekommen braucht man Menschen, die sich dafür einsetzen. Mit Mut, Ausdauer, Kampf und Opfer be reitschaft. Doch wo sind diese Menschen? Im Kulturverein? In der Deutschen Selbstverwaltung? Leider – da finden wir sie nicht. Warum nicht? Weil wir (ja wir!) die falschen Leute in die Körper - schaften gewählt haben. Und in den nächsten Tagen dürfen wir wieder wählen. Werden wir es jetzt richtig machen, die richtigen Leute als unsere Vertreter im Ort, Komitat und auf Landesebene beauftragen den Karren in Bewegung zu bringen? Ich befürchte, es wird uns nicht gelingen. Wir sind es seit vielen Jahrzehnten gewohnt, dass wir uns mit Versprechungen zufrieden geben. Wir sprachen schon immer – und in den letzten zwanzig Jahren mit besonders scharfer Betonung – darüber, dass wir die Muttersprache zurückgewinnen und pflegen wollen und werden. Und was ist geschehen? Das Gegenteil! Unsere jetzigen Vertreter und auch die, die es in Zukunft werden wollen, sprechen uns in einer fremden Sprache an! Wohl steht es im Wahlgesetz geschrie- ben, dass „der Kandidat für die (Nationalitäten)Selbstverwaltung die Sprache der (betreffenden) Nationalität können (nicht ken- nen!) muss”, – doch in der Praxis kommt dies nicht zur Geltung. Aber warum nicht? Ganz einfach: Weil wir, die Wähler, es hinneh- men und nichts dagegen unternehmen. Überhaupt: Werden wir wirklich wählen? Oder werden wir wie- der nur unsere Kreuze auf die Liste machen, wie man sie uns vor die Nase legt? Dass wir dies überhaupt tun dürfen, dafür mussten wir vorerst mal registrieren. Gut, das haben viele von uns getan, - nicht alle. Ich hörte dazu Begründungen wie „den Zirkus mache ich nicht mit” oder „ ich habe noch kein Programm gesehen, wofür ich meine Stimme geben soll”. Ach ja. Wo gibt es ein klares, verständliches Programm? Es wer- den (auf Papier) Begriffe hingeschmissen wie „Leitbild” oder „Trägerschaft” oder „Lehrmaterial” u.a. – aber wie/was/wann und wer? Und Erklärungen dazu? – nicht von den Kandidaten! Wir wissen – bereits sechs Wochen vor der Wahl –, wer gewählt werden wird. Wie ist das möglich? Nun, unsere jetzigen Selbstverwaltun - gen sind seit Monaten (nur) damit beschäftigt, die „Sieger” der kommenden Wahl, d.h. die zukünftigen Selbstverwaltungen (ins- besondere Komitats- und Landesselbstverwaltung) festzulegen. Eine merkwürdige Merkwürdigkeit! Wieso? Laut Gesetz dürfen Selbstverwaltungen keine Kandidaten stellen. Doch in Ungarn ist man juristisch immer schon „oben” gewesen. Also haben sich die örtlichen Selbstverwaltungen des Komitates zu einem VEREIN zusammengeschlossen, denn Vereine dürfen/sollen (wenn sie ge - nügend Kraft und Saft – wie im Gesetz vorgeschrieben – haben) Kandidaten nominieren. Schließlich sind es nun (beinah) nur diese Selbstverwaltungsvereine, die dem Gesetz entsprechend dies tun können. Und um ganz sicher gehen zu können – d.h. um uner- wünschte Personen, die bekannterweise mit dem Tun und Treiben der Selbstverwaltungen unzufrieden sind, aus der Kandidatenliste auszuschließen – hat man noch einen Trick erfunden. Wer im Frühjahr bei den Parlamentswahlen sich nicht registrierte, kann jetzt bei den Kommunalwahlen nicht als Kandidat auftreten. Bravo! Ist es unter solchen Umständen verwunderlich, wenn bei der letzten Volkszählung nur 38 248 Menschen deutsche Mutterspra - che angegeben haben? Wie kann man sich damit zufrieden geben? (Fortsetzung auf Seite 10) 9