benötigt man die Stimme des Volkes. Und wenn das Volk wieder
stumm bleiben wird?
Wachet auf!
Ja, die Wahlen im Frühjahr haben es deutlich gezeigt: Unser deut-
sches Volk in Ungarn schlummert – wissend/wollend oder unwis-
send –, es müsste eben gerüttelt werden, um aufzuwachen, um den
Ruf der Zeit zu hören. Das Volk hat Jahrzehnte hindurch immer
nur zu hören bekommen, dass wir Rechte haben und es doch
Schwierigkeiten gibt, weshalb der Fortbestand der Volksgruppe
gefährdet ist. Es hat auch erfahren, dass es entgegen aller schönen
Worte, nicht vorwärts geht. Man hat es mit dem Spruch getröstet:
Totgesagte leben länger. Doch was ist das für ein (in Koma liegen-
des) Leben?
Wo fehlt es also?
Es fehlt an Aufrichtigkeit. Es fehlt an aktiver Arbeit. Es fehlt an
mutigen Menschen. Es fehlt an deutschen Führungskräften.
Aufrichtig müsste man unsere Lage erkennen und darstellen.
Sie unseren Landsleuten so erklären, wie sie wirklich ist. Wir sind
am Ende; die Volksgruppe wird sterben, wenn es kein Erwecken,
kein Erwachen gibt! Auf der Bühne deutsch singen und tanzen, –
das genügt nicht! Denn wie sieht denn unsere Wirklichkeit, unser
Alltag aus? Was unterscheidet einen „Ungarndeutschen” vom
Staats volk, von anderen Völkerschaften des Landes? Womit/wo -
durch kann man uns als Deutsche erkennen?
Unsere Kleidung? Unser Schaffen? Die Gastronomie? Unsere
Bräuche? Unser kulturelles Leben?
Im Laufe der – besonders der letzten – Jahrzehnte haben sich
die Menschen im Lande so vermischt, sich einander so angepasst,
dass man auf die gestellten Fragen sagen kann: Wir sind eigentlich
alle gleich. Wir sind alle (und das sind wir wirklich als Bürger)
Ungarn, – gemeint damit aber ist fälschlicherweise, dass wir alle
Madjaren sind (was wir dennoch nicht sind).
Bezüglich Kleidung, Arbeit, Kochen u.a. gibt es wirklich keinen
Unterschied. Bräuche hat man von uns, wir von anderen über-
nommen. Auf der Bühne werden deutsche Lieder gesungen und
deutsche Tänze vorgetragen, – wobei die Mitwirkenden nicht nur
(Ungarn)Deutsche sind. Unsere deutsche Musik wird auch von
Nichtdeutschen gespielt. Schwabenbälle werden auch schon in
ungarischen Ortschaften veranstaltet – in ungarndeutschen Ge -
meinschaften überwiegend mit ungarischer Sprache. Usw.
Eigentlich ist das alles noch nicht so schlimm. In vielen Fällen
sogar angenehm, nützlich.
Was ist dann schlimm?
Schlimm ist, dass man uns auch an der Sprache nicht mehr er -
kennen, unterscheiden kann! Die Ungarndeutschen reden unga-
risch! Am Arbeitsplatz, in der Schule, in der Familie, ja auch auf
dem Schwabenball, im deutschen Kulturverein, in der Deutschen
Selbstverwaltung. Warum? Weil sie ihre Muttersprache vergessen
(?), abgelegt haben – wie einst die Volkstracht. Man sagt, man hat
sie uns genommen, – doch häufig ist die Wahrheit: Wir haben sie
aufgegeben. „Weil es halt heute so ist…”. Gewohnheit. Vielleicht
auch Scham. Doch eher Bequemlichkeit. Der Vorgang des
Sprachverlustes ist freilich kein Zufall. Was der ungarische Staat
einst (auch mit Zwang) erreichen wollte, was die geschichtliche/
po litische Entwicklung begünstigte, das hat unsere menschliche
Schwäche ermöglicht: Wir haben unsere deutsche Muttersprache
verloren!
Im Leben ist es aber doch so, dass man auch Gestohlenes,
Verlorenes wieder finden und zurückgewinnen, Vergessenes neu-
beleben kann. Schließlich ist es ja immer noch (eingebüßtes)
Eigentum, man muss es nur erneut in Besitz nehmen. Damit will
ich sagen, auch wenn heute das Kind von der Mutter zuerst Unga -
risch lernt (weil auch die Mutter schon mit dem Ungarischen auf-
gewachsen ist), die Großeltern/Urgroßeltern aber noch Deutsch
zur Muttersprache hatten, dann kann dieses heutige Kind, wenn es
will, doch deutscher Muttersprache sein bzw. werden (auch in der
Statistik). Dazu ist freilich das Erlernen der Sprache
Voraussetzung. Dafür braucht man wieder den Willen! Und man
braucht den richtigen Kindergarten und die richtige Schule dazu.
Um diese zu bekommen braucht man Menschen, die sich dafür
einsetzen. Mit Mut, Ausdauer, Kampf und Opfer be reitschaft.
Doch wo sind diese Menschen? Im Kulturverein? In der
Deutschen Selbstverwaltung? Leider – da finden wir sie nicht.
Warum nicht? Weil wir (ja wir!) die falschen Leute in die Körper -
schaften gewählt haben. Und in den nächsten Tagen dürfen wir
wieder wählen. Werden wir es jetzt richtig machen, die richtigen
Leute als unsere Vertreter im Ort, Komitat und auf Landesebene
beauftragen den Karren in Bewegung zu bringen?
Ich befürchte, es wird uns nicht gelingen. Wir sind es seit vielen
Jahrzehnten gewohnt, dass wir uns mit Versprechungen zufrieden
geben. Wir sprachen schon immer – und in den letzten zwanzig
Jahren mit besonders scharfer Betonung – darüber, dass wir die
Muttersprache zurückgewinnen und pflegen wollen und werden.
Und was ist geschehen? Das Gegenteil! Unsere jetzigen Vertreter
und auch die, die es in Zukunft werden wollen, sprechen uns in
einer fremden Sprache an! Wohl steht es im Wahlgesetz geschrie-
ben, dass „der Kandidat für die (Nationalitäten)Selbstverwaltung
die Sprache der (betreffenden) Nationalität können (nicht ken-
nen!) muss”, – doch in der Praxis kommt dies nicht zur Geltung.
Aber warum nicht? Ganz einfach: Weil wir, die Wähler, es hinneh-
men und nichts dagegen unternehmen.
Überhaupt: Werden wir wirklich wählen? Oder werden wir wie-
der nur unsere Kreuze auf die Liste machen, wie man sie uns vor
die Nase legt? Dass wir dies überhaupt tun dürfen, dafür mussten
wir vorerst mal registrieren. Gut, das haben viele von uns getan, -
nicht alle. Ich hörte dazu Begründungen wie „den Zirkus mache
ich nicht mit” oder „ ich habe noch kein Programm gesehen, wofür
ich meine Stimme geben soll”.
Ach ja. Wo gibt es ein klares, verständliches Programm? Es wer-
den (auf Papier) Begriffe hingeschmissen wie „Leitbild” oder
„Trägerschaft” oder „Lehrmaterial” u.a. – aber wie/was/wann und
wer? Und Erklärungen dazu? – nicht von den Kandidaten! Wir
wissen – bereits sechs Wochen vor der Wahl –, wer gewählt werden
wird. Wie ist das möglich? Nun, unsere jetzigen Selbstverwaltun -
gen sind seit Monaten (nur) damit beschäftigt, die „Sieger” der
kommenden Wahl, d.h. die zukünftigen Selbstverwaltungen (ins-
besondere Komitats- und Landesselbstverwaltung) festzulegen.
Eine merkwürdige Merkwürdigkeit! Wieso? Laut Gesetz dürfen
Selbstverwaltungen keine Kandidaten stellen. Doch in Ungarn ist
man juristisch immer schon „oben” gewesen. Also haben sich die
örtlichen Selbstverwaltungen des Komitates zu einem VEREIN
zusammengeschlossen, denn Vereine dürfen/sollen (wenn sie ge -
nügend Kraft und Saft – wie im Gesetz vorgeschrieben – haben)
Kandidaten nominieren. Schließlich sind es nun (beinah) nur
diese Selbstverwaltungsvereine, die dem Gesetz entsprechend dies
tun können. Und um ganz sicher gehen zu können – d.h. um uner-
wünschte Personen, die bekannterweise mit dem Tun und Treiben
der Selbstverwaltungen unzufrieden sind, aus der Kandidatenliste
auszuschließen – hat man noch einen Trick erfunden. Wer im
Frühjahr bei den Parlamentswahlen sich nicht registrierte, kann
jetzt bei den Kommunalwahlen nicht als Kandidat auftreten.
Bravo!
Ist es unter solchen Umständen verwunderlich, wenn bei der
letzten Volkszählung nur 38 248 Menschen deutsche Mutterspra -
che angegeben haben? Wie kann man sich damit zufrieden geben?
(Fortsetzung auf Seite 10)
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