Sonntagsblatt 5/2014 | Page 8

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MERKWÜRDIGkeiten
Neben der vergleichenden Untersuchung der Zweisprachigkeit in den sechs ausgewählten Minderheitengemeinschaften Ungarns widmet sich Anna Borbély zwei rumänischen Gemeinden in Ungarn, wo die Zweisprachigkeit unterschiedlichen Stel lenwert besitzt. Die „ rumänischste” Gemeinde Ungarns, Miche rechi / Méhkerék, stünde am Beginn eines Prozesses, an dessen Ende möglicherweise der Sprachwechsel stehen könnte( hierbei drückt die Autorin ihre Hoffnung aus, dass die Gemeinschaft entsprechende Gegenstrategien entwickelt). Micherechi galt nicht zuletzt aufgrund der Homogenität der Bevölkerung, der verkehrstechnisch ungünstigen Lage, der Nähe zum Mutterland und der geschlossenen Dorfgemeinschaft lange als ein rumänischer Ort, wo die Sprache eine dominante Stellung besitzt. Anna Borbély besucht nach eigenem Bekunden seit den 1980er Jahren regelmäßig den Ort und zeichnet so den Weg von einer einsprachigen Gemeinde zu einer zweisprachigen, wo die rumänische Sprache allmählich verdrängt werde. Dies scheint oft eine Generati ons- frage zu sein: Durch das eindrucksvolle Beispiel der Konver- sationssprache zwischen Mutter und Kind zeigt sie, wie die ungarische Sprache allmählich die rumänische Muttersprache verdrängt. Bereits bei einem Fünftel der Kleinkinder würde ausschließlich das Ungarische als Konversations- und somit Mutter- sprache dienen – für uns Ungarndeutsche immer noch ein Traum- wert. Dennoch zeigt diese Zahl den Beginn eines Prozesses des Sprachverlustes. Auch die Einflüsse der Außenwelt seien stärker geworden: Während früher eingeheiratete Nichtrumänen sprachlich, religiös und kulturell sich angepasst hätten, würde dies heute nicht mehr so stattfinden. Die zweisprachige Schule und die orthodoxe Gemeinde, zu der 74 % der Micherechier gehörten, sorgten für den Fortbestand der Sprache in der Öffentlichkeit. Dennoch markieren das „ Eindringen” der ungarischen Sprache in die Familien und die Tatsache, dass die Konversation zwischen Jugendlichen und Älteren nunmehr oft auf Ungarisch geführt würde, eine neue Situation, was Borbély zurecht als solche definiert. Sie meint, dass die Verlagerung des Schwerpunkts des Muttersprachgebrauchs auf die ältere Generation das typische Indiz für den Sprachwechsel ist. Ein Muster, was uns wohlbekannt ist.
Interessant in diesem Zusammenhang ist der Vergleich mit einer anderen rumänischen Gemeinde im Komitat Bekesch, Chitighaz / Kétegyháza. Chitghaz befinde sich auf dem halben Weg, hin zur Dominanz des Ungarischen. Borbély untersuchte dabei differenziert den Sprachgebrauch nach Lebensbereichen. Auch wenn in einigen Lebensbereichen in den vergangenen Jahren das Rumänische an Bedeutung gewonnen hätte, würde das Gesamtbild die Erfahrungen, die man in Micherechi und bei anderen Nationalitäten gemacht hat: Ungarisch würde immer mehr das Rumänische verdrängen. Dies zeige sich insbesondere beim Generationenvergleich.
Die Monografie ist eine Bestandsaufnahme: eine besorgniserregende. Sie fokussiert zwar auf die ungarländischen Rumänen, bietet aber viele Anhaltspunkte für das Verständnis der Schwie- rigkeiten der Bilingualität an sich, insbesondere im Kontext der ungarischen Minderheitenpolitik.
* Anna Borbély: Kétnyelvûség – Budapest 2014( Verlag L’ Harmattan)
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MERKWÜRDIGkeiten

„ Andere”( Ungarn) Deutsche

Es ist kein neuer Begriff, auch wenn er( manchen) unverständlich erscheint. Schon in den 30er – 40er Jahren( also während des Krieges) gab es( auch) „ andere” Deutsche in Ungarn. Als(„ solche”, gemeint richtige) Deutsche galten damals die Volksbund- Leute, jene aber, die( aus irgendeinem Grunde) abseits standen, waren die „ Anderen”, die „ AA( auch) Deutschen”. Diese Letz te- ren leugneten nicht ihr abstammungsmäßiges Deutschtum, waren jedoch nicht bereit sich als Deutsche zu bekennen / deklarieren, weshalb sie eben bei der Volkszählung 1941 bereits „ ungarische Nationalität”( magyar nemzetiség) angaben, vielmals sogar auch „ ungarische Muttersprache”( magyar anyanyelv), wobei manche gar kein Ungarisch sprachen. Warum wohl? Oftmals aus Unwissenheit oder Missverständnis, meistens durch Einfluss mad- jarisch – nationalistischer Propaganda. Meistens, weil die „ Dorf ob- rigkeit”, der Herr Pfarrer, der Lehrer, der Herr Notar und … es gesagt haben, dass wir z. B. doch ungarisches Brot essen …
Nach dem Krieg kam dann die Bescherung. Der neugegründete ungarische Staat hat mit Gesetzen und Verordnungen eine Scheindifferenzierung zwischen solchen und anderen Ungarn- deutschen vorgegaukelt, doch in der Praxis wurde Gleichschaltung geübt. Nur unsere lieben Landsleute wollten das böse Spiel noch immer nicht merken. Immer noch haben sich die zwei Lager gegenseitig beschuldigt – so die Vertriebenen drüben wie die Heimatverbliebenen herüben.
Im Laufe der( Nachkriegs) Jahrzehnte ist dann auch der Begriff „ Deutsche in Ungarn” langsam aus dem( ungarn) deutschen Wörterbuch verschwunden. Der vor 20 Jahren eingegangene Deut sche Verband wurde noch als „… Verband der Deutschen in Un garn”( bei Auslassen der Adjektiven „ demokratisch” und „ werk tätig”) tituliert, doch seither ist alles nur noch „ ungarndeutsch”. Warum wohl? Ein neuzeitlicher Würdenträger gab mir unlängst Aufklärung zur
Frage: „ Weil wir andere Deutsche sind, als die dort drüben.” Hm. Andere? Schon wieder! Was für welche? Schönere? Klüge- re? Bessere? Mutigere? Aufrichtigere? Nein! Aufrichtigere bestimmt nicht. Denn bei einer anonymen Volkszählung haben noch viele( bei weitem nicht alle) den Mut sich „ irgendwie” als Deutsche zu bekennen, aber wenn man registrieren, sich beim Namen nennen soll, dann sind viele eben noch ANDERE – andere Deutsche. Eine ungesunde Entwicklung? Ja! Diese Entwicklung hat eben schlimme Folgen.

Es ruft( wieder) die Zeit.

Man kann schon die Tage zählen bis zum nächsten Urnengang. Diesmal sollen wir( auch) unsere „ deutschen Vertreter” wählen. Man sagt, die Wahlkampagne läuft bereits auf Hochtouren. Wirk- lich? Ja, was die Parteien anbelangt, da ist Jubel und Trubel, Ver- sprechen, Lob, Hass und Kampf merkbar. Nicht so bei den Natio- nalitäten, richtiger, nicht bei den Ungarndeutschen.
Bei den unlängst stattgefundenen Parlamentswahlen haben wir versagt, so wird es auch Oben, bei unserer Landesselbstverwal- tung, zugegeben. Aber warum?
Anscheinend hat man daraus nicht gelernt. Denn von einer wirklichen Wahlkampagne, einem – wie im Volksmund allgemein genannt – echten „ Wahlkampf” ist nichts zu merken. Wozu aber auch kämpfen? Denn zum Kampf müsste man eben auch gute Waffen haben. Es ist doch viel einfacher ohne Waffen( vielleicht mit Schlichen und Tricks) den Sieg zu erringen. Zum Sieg aber
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