Erfüllung dieser Voraussetzungen besonders. Eine Nationalität
kämpft stets um ihren Fortbestand gegen eine Mehrheit, die sie
mit „spontanem” oder bewusstem „Einverleiben” bedroht. In
einer solchen Situation gewinnt die Einheit innerhalb der Gruppe
(was das auch zu bedeuten mag) an Gewicht, und das passiert
natürlich auf Kosten der inneren Pluralität, also es gefährdet die
demokratische Funktionsweise. Das Ganze wird gravierender,
wenn ein Staat auch selbst an der Homogenisierung der
Minderheitengemeinschaft interessiert ist, wie das auch in Ungarn
von statten geht. Das bei uns erfundene Selbstverwaltungssystem
weist neben einigen positiven Aspekten den großen Nachteil auf,
dass es die Zivilgesellschaft entleerte.
Besonders scharf zeigt sich das bei den Wahlen. Im Normalfall
sind die demokratischen Wahlen eine Angelegenheit der Zivil -
gesellschaft, wobei die miteinander konkurrierenden Organi -
sationen, Parteien das Endergebnis entscheiden, wozu der Staat
(die Verwaltung) ein neutrales Verhältnis pflegen soll. Im
Vergleich dazu sorgen bei uns die Nationalitätenselbst verwal tun -
gen, also die „Nationalitätenverwaltung” selbst, um die Nach -
folge. Im Zeichen der großen Einheit entscheiden gewisse Natio -
nalitätenselbstverwaltungen im Alleingang, wer Kandidat sein
kann und wer eine Chance auf die Mehrheit hat. Das geht soweit,
dass die Selbstverwaltungen zivile Pseudoorganisationen zu dem
Zweck gründen, dass sie bei den Wahlen als eine Organisation
antreten können, die Kandidaten nominieren können. Nehmen
wir ein konkretes Beispiel.
Bei den Ungarndeutschen herrscht seit mehreren Wahlperio -
den die Praxis, dass der amtierende Vorsitzende die Komitats -
vasallen einberuft und sich bei Berücksichtigung bestimmter
Proporzen über die Verteilung der Mandate verständigt. Über die
Kandidaten der so entstandenen „Einheitsliste” entscheidet dann
der Verband der Deutschen Nationalitätenselbstverwaltungen in
Nordungarn (praktisch der Vorsitzende) als „zivile” Organisation.
In Ungarn hat man ja die „zivile” Organisation erfunden, die kein
einziges ziviles Mitglied hat, da jedes Mitglied eine Selbstver -
waltung ist. Danach soll sich der ungarndeutsche Wähler nicht
den Kopf darüber zerbrechen, wen er wählt, denn es gibt keine
Alternativen, auch nicht beim Wettstreit der Programme, denn es
gibt keine Programme. Diese Funktionsweise liefert gleich die
Antwort auf die Frage, wie die beeindruckende personelle
Stabilität der Nationalitätenvertretung zu erklären ist. Die
Mehrheit der Vorsitzenden und die Führungsriege sind praktisch
von Anfang an, also seit beinahe zwanzig Jahren, im Amt.
Zu welchen Absurditäten dieses System noch führen kann, dazu
ein weiteres Beispiel. Wie wir wissen konnte man heuer zum ers-
ten Mal für einen Nationalitätenkandidaten bei den Parlaments -
wahlen stimmen. Die Bedingung war ja, wer darauf Anspruch
erhebt, der schließt sich von der Wahl von Parteilisten aus. Die
Nationalitätenführer murrten zwar ein wenig, aber Widerstand
gab es natürlich keinen. Dass sie bezüglich dieser entscheidenden
Frage eventuell ihre Wähler befragen schien ihnen wahrscheinlich
als zu umständlich, die Macht ließ ihnen ohnehin keine Zeit
(jedenfalls lautete so ihre Erklärung). Es wäre aber nicht umsonst
gewesen, denn es stellte sich heraus, dass ein Großteil der Natio -
nalitätenwähler diesen Wahlmodus abgelehnt hat.
Bei den Deutschen stimmte weniger als 20% für die eigene
Liste. Man würde denken, dass die Führungspersönlichkeiten
danach Selbstkritik üben, aber es passierte das Gegenteil. Zwecks
der Vorbereitung der Herbstwahlen gab es eine erneute Abstim -
mung der Führungsriege, wo man nicht nur über die üblichen
Dinge (Liste, Verteilung usw.) entschied, sondern auch darüber,
wer sich für die Parlamentswahlen nicht registriert hat, kein
Kandidat bei den Selbstverwaltungswahlen sein darf. Bravo! Die
Machthaber kommen zusammen und schließen 80% der Ge -
meinschaft aus beziehungsweise entziehen ihnen das passive
Wahlrecht. Danach stellt sich zurecht die Frage, wen diese neue
deutsche Landesselbstverwaltung vertreten wird außer sich selbst,
denn die Gemeinschaft mit Sicherheit nicht. In jedem Rechtsstaat
wäre sowas unvorstellbar, aber vor einigen Wochen wurde jedem
klar, dass bei uns von so etwas keine Rede sein kann.
Man könnte das gerichtlich angehen, denn die Sache, daneben,
dass sie himmelschreiend antidemokratisch ist, ein staatsrechtli-
ches Nonsens ist, aber nach all dem ist es überhaupt nicht sicher,
dass gegenüber dem NER (System der Nationalen Zusammen -
arbeit) die Rechtsprechung immun bleiben kann, besonders wenn
man bedenkt, dass es sich hier um Peanuts, aber dennoch um eine
„sensible” Nationalitätenangelegenheit geht.
Unter solchen Umständen ist es kein Wunder, wenn der Nationa -
litätenwähler immer mehr sein Interesse verliert und so erreicht das
System mit dem Argument seiner Schaffung gerade das Gegenteil. Es
trägt nicht der Bewahrung der Identität bei, sondern ihrem Sterben.
Kann es sein, dass das kein Zufall ist?
O
Sprachwechsel statt
Zweisprachigkeit
Neue Monografie über den Stand
der Zweisprachigkeit in Ungarn
Von Richard Guth
Beim Studium der Monografie „Kétnyelvûség” (dt. Bilingualität)*
war ich zwangsläufig an eine Konversation erinnert, die ich vor
kurzem in einem Günser Dienstleistungsbetrieb mit einer Bur -
genländer Kroatin aus Dürnbach/Vincjet (Landkreis Oberwart)
geführt habe. Es ging neben Orts- und Kirchengeschichte, Fragen
rund um Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft der Burgen -
landkroaten auch um gelebte Bilingualität der Gemeinschaft.
Schule und Kirche komme tatsächlich eine wichtige Rolle zu, aber
wenn man in den Familien nicht mehr kroatisch spreche, dann
würde das alles nichts nutzen, betonte die pensionierte Lehrerin,
und berichtete über den S prachverlust bei den Enkelkindern, die
die dörfliche Gemeinschaft verlassen haben und im deutschspra-
chigen Wien aufwachsen. Die Kinder der Lehrerin sind noch
bewusst zweisprachig erzogen worden: Sie selbst sprach nach eige-
nen Angaben deutsch mit den Kindern, der Vater, ebenfalls Aka -
demiker, kroatisch.
Diese skizzenhafte Lebensgeschichte beschreibt eindringlich
die Problematik der Zweisprachigkeit nicht nur in unserer Region,
sondern auch allgemein. Dies betrifft nicht nur die uns Ungarn -
deutsche, sondern auch die madjarischen Gemeinschaften außer-
halb der Landesgrenzen wie andere Nationalitäten innerhalb der
Grenzen. Dabei beträfe der Übergang, wie die Sprach wissen -
schaftlerin betont, von der Einsprachigkeit zur – bestenfalls –
Zweisprachigkeit (oder in vielen Fällen zum Sprachverlust) nicht
alle Nationalitäten und nicht alle Lebensbereiche gleichermaßen,
am längsten halte sich die Sprache in der Familien. Aber selbst
hier – dabei bezieht sich die Wissenschaftlerin auf eine Unter -
suchung von Maria Erb aus dem Jahre 2004, die im Kreise der
Tarianer Deutschen durchgeführt wurde – hätte die ungarische
Sprache die Oberhand gewonnen, gerade bei den Ungarn -
deutschen. Der Sprachverlust wäre bei anderen Nationalitäten,
beispielsweise bei den Roma und Serben, weniger stark ausge-
prägt. Gerade bei den Serben komme der eigenen orthodoxen
Landeskirche eine besondere Rolle zu.
(Fortsetzung auf Seite 8)
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