tigen, und Paul Mesli vergewisserte sich selbst an Ort und Stelle von der Richtigkeit der Angaben. Damit dürfte feststehen, dass ein Rest von sechs Mann zunächst am Leben gelassen wurde, da- mit man jemanden hatte, der die Leichen des zweiten Massen gra- bes mit Erde bedeckte. Einer von den sechs bedauernswerten ge- zwungenen Totengräbern war mit großer Wahrscheinlichkeit der lungenkranke Stefan Haas. Der schon genannte Knecht von Gre- gor Eichinger berichtete, dass als letzter dieser Nacht der Schrek- ken einer der Söhne eben von Gregor Eichinger nach seinem erzwungenen „ Werk der Barmherzigkeit” erschossen worden sei.
Tote begraben galt in der christlichen Tradition stets als „ Werk der Barmherzigkeit” – grausame Ironie für die letzten Sechs. Pater Friedrich Gillich, der bekanntlich durch glückliche Um- stände am 25. November den Kirchhof wieder verlassen durfte, übte noch längere Zeit seinen seelsorglichen Dienst in Sombor aus. Er berichtet, dass in den folgenden Monaten und Jahren immer wieder einmal Bunjewatzen zu ihm gekommen seien, Aus- sprache suchend, um von den schrecklichen Bildern jener Nacht irgendwie frei zu werden … „ Wir kommen von dieser Nacht nicht los, obwohl wir unschuldig sind.”
Bei dem Massaker auf der Hodschager Heuwiese in der Nähe des Rothsalasch sind allein 35 Jugendliche im Alter von 16 – 19 Jah ren, unter ihnendrei Priesterstudenten, und 52 Männer im Alter von 50 – 60 Jahren ums Leben gekommen. Die restlichen 125 standen im Alter zwischen 20 und 50 Jahren. Unter ihnen befanden sich auch ein Theologiestudent und eine Reihe von Fami- lienvätern mit zehn und mehr Kindern. Von keinem einzigen der 212 Männer und Burschen kann gesagt werden, dass er sich auch nur in der geringsten Weise etwas gegen den jugoslawischen Staat oder einen seiner Bürger hätte zuschulden kommen lassen.
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Banater Schwaben in Frankreich
Auf der Suche nach Heimat
Kleine Leute erzählen große Geschichten Die Banater in Südfrankreich ein halbes Jahrhundert nach ihrer Ansiedlung( 4)
Die Familie Stracky aus Molidorf gehörte zu den ersten Siedlern in La Roque sur Pernes. Sie hat es zu Wohlstand gebracht. Anni Straky, die Tochter des Siedlers Anton Stracky, ist mit einem Siebenbürger Sachsen aus Schässburg namens Enzinger verheiratet. Wir sitzen im langen offenen Gang ihres Hauses und hören uns ihre Lebensgeschichte an. Schwerer Anfang, hoher Arbeits- einsatz, hartnäckiges Sparen. Die Geschichten wiederholen sich und sind trotzdem verschieden. Interessant ist, was hervorgehoben, aufschlussreich, was nicht erwähnt wird: „ Zwischen 1962 und 1968 waren wir jedes zweite Jahr in Rumänien zu Besuch, bei den Eltern meines Mannes”, sagt Frau Enzinger. In Molidorf ist sie nie mehr gewesen. „ Hier war das Lager” sagte sie, schluckt, und fügt hinzu: „ Alles ist ausgelöscht worden, wegen Krankheiten, die im Lager ausgebrochen waren, sagt man, nie mehr waren wird dort.” Die Enzingers haben zwei Kinder. Beide, Sohn und Tochter, haben studiert, sind verheiratet und wohnen in der Nähe. Im Ort selbst haben sie noch mehrere Häuser.
Und immer wieder Fragen zur Identität „ Die Leute waren am Anfang uns gegenüber gehässig“ erzählt sie offen. „ So zwei bis drei Jahre ging das so, dann haben sie aber ge- sehen, dass wir gut sind.” Ich frage, als was sie sich denn verstehe nach diesem bewegten Lebensweg. „ Ich fühle mich heute als Fran zösin, und wenn heute einer von den Franzosen schimpft, dann sage ich: Wenn ein jeder so viel für Frankreich getan hätte wie wir, ginge es dem Land heute besser. Aber diejenigen, die schimpfen, die wissen nicht, wo Jugoslawien liegt.” Das sagt eine Französin, aber wohl doch eine etwas andere Französin. Staats- bürgerin ja, doch mit welcher Identität? Mit dem Mann wird Deutsch oder Französisch gesprochen, mit den Kindern meistens Französisch. Meistens, also nicht immer – verstehen sie also doch Deutsch? „ Die Tochter hat Deutsch studiert und als Deutsch- lehrerin gearbeitet”, erfahren wir. Zufall oder mehr? Wir sollten auf ähnliche Fälle stoßen in diesen Tagen, wo die ganz besondere Familiengeschichte der Eltern die Lebensent- würfe der zweiten und dritten Generation mitbestimmt hat. So als wollte man die Brücke zur Vergangenheit, zur einstigen Gemein- schaft nicht ganz einstürzen lassen, so als sollten die Kinder und Enkelkinder doch noch etwas fort- und mittragen, was einem selbst nicht mehr vergönnt war. Bei Treffen der Molidorfer oder Donauschwaben in Deutsch- land sind die Strakys nie gewesen. „ Weil dann gerade die Kir- schen ernte war, dann konnten wir ja nicht weg. Irgendwie haben wir mit dem Thema auch abgeschlossen”, meint Frau Enzinger- Straky. Nikolaus Benz war im Banat auch Bauer. Er hätte den väterlichen Hof erben und bewirtschaften sollen. Er musste aber zum deutschen Heer einrücken und ist nach dem Krieg in Österreich geblieben. Dass er sich der Frankreich-Aktion von Jean Lamesfeld angeschlossen hat, hat er nicht bereut. „ Ich bin ein Bauer, hier konnte ich es bleiben”, sagt er. Im Banat war er Ackerbauer, mit Weinbau hatte er nie etwas zu tun, Weinreben hatte er nur um sein Haus gepflanzt. Auch hier wachse „ allweil” auch alles, was im Banat wachse, aber für den Getreideanbau sind die Flächen zu klein, sagt Bauer Benz. Hier haben wir wieder die Bezugsgröße Banat, wir sollten noch oft auf sie stoßen in diesen Tagen. Bei unseren Gesprächspartnern und bei uns selbst. Die Kameradschaft unter den Landsleuten sei anfänglich da gewesen, sagt Nikolaus Benz, aber den Alten falle es jetzt schon schwer, den Kontakt aufrechtzuerhalten und die Jungen gingen ihre Wege.
„ Am Anfang war es uns schon schwer, zu wissen, dass wir Fran- zosen werden. Aber dann dachte ich mir, diejenigen, die in den zwanziger Jahren nach Amerika gegangen sind, sind ja auch Ame- rikaner geworden”, stellt Nikolaus Benz fest. Und da sei ja auch noch das Elsaß und Lothringen, das Herkunftsgebiet vieler Banater, das jetzt auch zu Frankreich gehöre. Die seien jetzt auch wieder Franzosen, und somit habe sich auch hier ein Kreis ge- schlossen.
( Fortsetzung auf Seite 20)
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