die Hand und gab an, er hätte daheim ein Par Lederstiefel. Ein
Partisan begleitete ihn zu seiner Wohnung, wo er demselben die
Stiefel übergab. Dieser verließ das Haus, und Karl Mattes konnte
zurückbleiben. Die Lederstiefel retteten ihm an diesem verhäng-
nisvollen Tag das Leben.
…Als Dolmetscher hatten sich die drei serbischen Schreiber
den Medizinstudenten Valentin Eichinger, nachmals praktischer
Arzt in Graz, ausgesucht. Als Paul Wildmann an der Reihe war,
benutzte Eichinger die Gelegenheit, sich eine Zigarette zu dre-
hen. Er wusste, dass Wildmann als Travniker Student ein wenig
Serbisch verstand. Ohne sich umzusehen, fragte einer der
Schreiber nach Name und Vorname. Als Wildmann antwortete,
merkte der Serbe, dass es nicht die gewohnte Stimme war. Er
drehte sich um, sah den kleingewachsenen Paul Wildmann vor
sich und sagte: „Warte ein bisschen!” und begann auf seiner Liste
zu zählen, einmal 198 und einmal 202, worauf er bemerkte: „Wir
brauchen nicht mehr viele”. Er stand auf, kam zu Paul Wildmann
und fragte ihn, wie alt er sei. Als dieser antwortete, er sei 16, frag-
te der Schreiber, ob das stimme. Als Wildmann dies bejahte, sagte
der andere: „Du bist noch jung, du sollst nach Hause zu Mutter
gehen”, nahm ihn und führte ihn in jene Kirchhofecke, die unter
dem Fenster der Pfarrkanzlei lag, kam zurück und stieß die sehr
jungen Kameraden von Wildmann ebenfalls in jene Richtung.
Nun standen auch die beiden anderen Schreiber von ihren Ti -
schen auf, riefen einige Partisanen zu sich und sagten ihnen, sie
sollten den Rest der noch nicht Aufgeschriebenen ebenfalls in
jenes Eck treiben, wo Wildmann und seine Kameraden standen.
Das geschah dann auch.
Dieses ganze Vorgehen lässt darauf schließen, dass man die
Absicht gehabt oder sich mit der Gemeindeleitung geeinigt hatte,
200 Männer zu liquidieren.
Damit aber war das grausame Spiel der Auswahl noch nicht zu
Ende. Es kamen nämlich Partisanen und Partisaninnen in die
Ecke der noch nicht Registrierten, fassten den einen oder ande-
ren, führten ihn zu den Tischen und ließen ihn aufschreiben, um
ihn dann zu der großen Gruppe an der Kirchenmauer zu stellen.
Djoko, der Polizeikommandant von Filipowa, war offenbar mit
dem ganzen Geschehen nicht einverstanden. Er ging zu der Grup -
pe bei der Kirche, rief mehrere heraus und brachte sie zurück zur
Gruppe beim Pfarrhaus, so auch den Vater von Wildmann. Die
Partisanen jedoch nahmen immer wieder einige und brachten sie
zur Gruppe bei der Kirche zurück.
Das ging so einige Male hin und her. Paul Wildmann berichtet,
sein Vater und sein Bruder hätten zweimal die Gruppe wechseln
müssen, bis sie dann doch bei den Todgeweihten bleiben mussten.
Schließlich machten die Partisanen dem Wechselspiel ein Ende:
Der Polizeikommandant musste den Kirchhof verlassen, obwohl
er nicht wollte. Es scheint aber, dass durch seinen Einsatz mehr
Filipowaer gerettet wurden, als es anfangs den Überlebenden er -
scheinen mochte. Die Zurückbleibenden schätzten nämlich, dass
die Partisanen 242 Mann mitgenommen hätten. In Wirklichkeit
waren es 212.
Das Mordgeschehen auf der „Heuwiese”
Als die Partisanen ihre Zahl voll hatten, mussten sich die Männer
und Burschen, die entlang der Kirchenmauer standen, in
Viererreihen aufstellen. Zwischen ihren Reihen nahmen Parti -
sanen und Partisaninnen Aufstellung, so dass sich acht Reihen
ergaben. An die Spitze stellten sich etwa acht Mann Partisanen,
andere postierten sich an die flanken, der Rest montierte das
Maschinengewehr ab, nahm die Tragbahre und die Spaten und
stellte sich am Ende des Zuges auf. Dann kam vom Gemein -
dehaus ein Partisan auf dem Pferd herbeigeritten, stellte sich an
die Spitze der acht Reihen, gab Kommando, und so ging es dann
den Kirchhof und die Kirchengasse gegen Hodschag die herbstlich
kotige Straße hinaus.
„Es war ein trauriger Zug, und noch trauriger waren die ver-
stohlenen Blicke der Angehörigen hinter den verhängten Fenstern
und den spaltenweit geöffneten Türen.” Paul Wildmann berichtet
noch, wie sie als Zurückbleibende gesehen hätten, dass die Parti -
sanen einem verkrüppelten Mann, der nicht schnell genug gehen
konnte, Fußtritte gaben. Dann kam die Ortspolizei und trieb die
restlichen beiden Gruppen in die Kirche. Vom Kirchturm schlug
es drei Uhr.
Auf der Gasse durfte sich niemand blicken lassen, denn sofort
ratterten Maschinenpistolen ungezielt in seine Richtung. An der
unteren Kreuzgasse scheute infolge der immer wieder unverse-
hens einsetzenden Schießerei das Pferd des Kommandanten. Es
stieg hoch, während der Mann gerade eine Salve aus seiner
Maschinenpistole abgab, und er verletzte sich selbst schwer. Er
stürzte vom Pferd und erlag am nächsten Tag seiner Verwundung.
Der Zug setzte aber seinen Weg auf der kotigen Straße in Rich -
tung Hodschag fort und entschwand im düsteren Herbstnachmit -
tag langsam den Blicken, die ihm durch Türspalten oder hinter
Fenstervorhängen verstohlen folgten. Alle, die die stumm und
ernst dahingehenden Männer gesehen hatten, dachten unwillkür-
lich an einen Todesmarsch. Sie sollten recht behalten. Die 212
Männer und Burschen wurden auf einen Salasch (Meierhof) nahe
der Hodschager Heuwiese, der einem gewissen Roth gehörte, ge -
trieben. Die Kunde von den Dingen, die sich beim Rothsalasch
abspielten, gelangte trotz des strengen Schweigegebots der Mit -
beteiligten im Laufe der nächsten Jahre an die Öffentlichkeit.
Es gibt einige sehr glaubhafte Aussagen vornehmlich von
Partisanen aus der Wojwodina, die dabei waren, Filipowaern und
anderen Donauschwaben gegenüber; Aussagen, die sich wie Mo -
saik steine zusammenfügen und ein ungefähres Bild der schreckli-
chen Ereignisse jener Nacht des 25. November 1944 liefern.
Auf dem Rothsalasch wurden die Männer offenbar zuerst auf-
gefordert, einander zu verraten: Wer angebe, welcher seiner Mit -
gefangenen ein eifriger Anhänger des „Kulturbundes” oder akti-
ves Mitglied der „Deutschen Mannschaft” gewesen sei, der werde
freigelassen. Die Gegner der Kulturbund- und späteren Volks -
bund politik sollten also deren aktive Befürworter verraten. Man
muss bedenken, dass in Filipowa religiöse und weltanschauliche
Überzeugungen radikaler als anderswo gelebt und während des
Krieges auch handgreiflich ausgestritten wurden. Es wäre nicht
ver wunderlich, wenn in dem einen oder anderen Mann ein Re -
vanchegelüst vorhanden gewesen wäre.
Keiner der Männer verriet einen anderen, obwohl sie schon ge -
wusst haben dürften, dass ihnen der Tod bevorstand. Man kann
sich nur mit Respekt vor Männern solcher Charakterstärke ver-
neigen. Es gab unter ihnen keinen Denunzianten. Als keiner eine
Aussage machte, wurden sie schwerstens gefoltert. Von diesen
Folterungen mag das Blut stammen, das an den Kleidern klebte,
welche zwei slowakische Kutscher noch in der Nacht wegführen
mussten. Anderntags bekam auch Georg Piller, Pferdehändler in
Filipowa, der mit seinem Pferdegespann die Ordonanz für die
neu en Gemeindegrößen versah, denselben Auftrag (Siehe
Schieder-Dok., 5. 269). Piller erkannte unter den Kleidern auf sei-
nem Wagen den Mantel des Gastwirts Johann Grauganz, der
einen auffallenden Pelzkragen besaß. Somit war er einer der Ers -
ten, die um die Dinge Bescheid wussten. Er dürfte aber aus
Vorsicht kaum jemand davon Mitteilung gemacht haben. Erst all-
mählich sickerte im Dorf die vage Nachricht durch, dass 212
Männer und Burschen auf der „Heuwiese” niedergemetzelt und
verscharrt worden seien.
Das Liquidationskommando musste bei den Ermordungen der
(Fortsetzung auf Seite 18)
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