Das ist bei uns nicht bloß Frage des „ Nationalstolzes”. Wir können zurecht behaupten, dass das auch Nationalismus ist. Wir könnten ihn auch verurteilen, aber damit erreichen wir nichts, wir kommen kein Stück näher zur Autonomie der madjarischen Volksgruppen. Es ist ein besorgniserregendes Phänomen, es schürt lediglich Unfrieden zwischen den beiden Ländern und tut nichts Gutes, schadet gar der madjarischen Minderheiten ge- meinschaft, wenn zwei Dutzend wild gewordene Madjaren, auf ihren dreifarbigen Fahnen mit der Karte von Großungarn, für ein Eklat in einem slowakischen Dorf sorgen. Stellen wir uns vor, was passieren würde, wenn ein Bus voller Rumänen ihre rumänische Fahne und die Karte von Großrumänien schwenkend in Jula für Unruhe sorgen würde. Brüssel, die UN und die halbe Welt könnten sich unsere Unrechtsklagen anhören. Es kein großes Risiko zu prophezeien: Solange wird es keine territoriale Autonomie geben, bis die Mehrheitsbevölkerung nicht das Gefühl hat, dass sie sich eine solche Geste erlauben kann. Bei uns sagen viele, dass sie nur dann das Gefühl haben wird, wenn sie uns endlich glaubt, dass wir die madjarisch bewohnten Gebiete nicht zurücknehmen wollen. Das ist auf kurze Sicht eine Illusion. Die Mehrheitsbevölkerung wird je weniger das Gefühl haben, desto lauter wir es von ihr fordern. Ich glaube nicht, dass es in Rumänien jemand, ein solider Mensch als eine realistische Gefahr betrachtet, dass das in der südöstlichen Ecke des Karpatenbeckens isolierte Seklerland jemals Ungarn angeschlossen werden könnte. Sie dürfen es wahrscheinlich auch nicht ernsthaft glauben, dass unsererseits als Mitglied der Europäischen Union derartige Ansprüche erhoben werden könnten. Insbesondere im Falle des ethnisch isolierten Seklerlandes. Nicht darum geht es ja. Hinter ihrem Widerstand steht mittlerweile vielmehr, dass niemand dem äußeren Druck nachgibt, eine Einmischung in innere Angelegenheiten zulässt. Erlauben Sie mir, Kopátsy zu zitieren: „ Wir müssen Rücksicht nehmen auf ihre Befindlichkeiten”. Anders wird es nicht funktionieren.
Irgendwann in den 60er Jahren des vergangenen Jahrhunderts verbreitete sich in Budapest ein Spruch von János Kádár. Er charakterisiert ihn und seine Zeit sehr treffend. Als Zeichen dafür, dass es uns schwer fällt, die Realität zu akzeptieren, gab es ja auch damals vorlaute „ Nationale” in Ungarn, die missbilligten, dass Ká- dár bereit war, mit der rumänischen Führungsfigur Nicolae Ceauçescu Gespräche zu führen. Kádárs Worte von vor vierzig Jahren sind auch heute noch gültig: „ Wenn das ZK so entscheidet, dann kann ich mich in zehn Minuten mit Ceauçescu so sehr überwerfen, dass es dreißig – vierzig Jahre dauern kann, bis unsere Nachfahren die Wogen wieder glätten.” Es führt auch heute kein Weg an den Verhandlungen vorbei. Westlich von uns, in dem glücklicheren Teil Europas, bekriegten sich Franzosen und Deutsche Jahrhunderte lang, bis sie endlich darauf gekommen sind, dass das keinen Sinn macht. Seitdem streiten sie sich nicht um ein Stück Erde, um Elsass-Lothringen, sondern haben sich anstelle dessen für eine Zusammenarbeit entschieden. Beide Völker haben dadurch gewonnen.
Unwahr ist die Behauptung der Studie, wonach „ das im historischen Oberungarn über Jahrhunderte fleißig arbeitende Volk mindestens so ungarischsprachig war wie slawisch”. Die statistischen Daten untermauern das nicht. Dies gilt lediglich für manche Teile der Großen Schüttinsel, für das ganze( ehemalige) Ober- ungarn mit Sicherheit nicht. Laut der ungarischen Volkszählung von 1910 – nach mehreren Jahrzehnten gewaltsamer Madjarisierungsbe- strebungen – sah in acht oberungarischen Komitaten der Anteil der slowakischen und der madjarischen Bevölkerung so aus: Trentschin: 92 % Slowaken, 4 % Madjaren, Liptau 90 zu 5 %, Altsohl 85 zu 12 %, Arwa 75 zu 3 %, Neutra 71 zu 22 %, Turiec 69 zu 10 %, Scharosch 58 zu 10 % und Zips 56 zu 11 %. Harter Tobak, man kann bei statistischen Angaben nicht danebenreden: 1910 betrug in drei Komitaten der Anteil der Madjaren zwischen 3 und 5 %, in vier zwischen 10 und 12 % und nur in einem betrug der Anteil mehr als 22 %. Bei solchen Zahlen sollte man nicht schreiben, „ dass sie mindestens so ungarischsprachig waren wie slawisch”. Im Nachhinein kam es heraus, dass der Autor an die Große Schüttinsel dachte, aber dann sollte er nicht „ Oberungarn” schreiben, denn das führt irre. Nur um die geografischen Begriffe zu klären möge es zur Kenntnis genommen werden, dass in den vergangenen 100 – 150 Jahren auch die nördlichen Komitaten zu „ Ober- ungarn” gehörten. Wo das Madjarentum nur punktuell anzutreffen war. Es ist auch nicht glücklich, dass die Studie von einer madjarischen Minderheit der zahlenmäßigen Stärke von 500 000 – 600 000 spricht, wenn die offiziellen slowakischen Statistiken von 512 000 sprechen. Wenn wir bei den Slowaken etwas erreichen wollen, dann sollen wir ihre Daten verwenden. Wir haben damals im Landesamt für Statistik die 512 nicht auf 600 gerundet.
Weitergehend: Lasst uns diesen Seitenhieb „ slawisch”, was die Slowaken verletzt, weg. Insbesondere nachdem sich der Artikel richtigerweise für gegenseitiges Verständnis ausspricht. Mit solchen Methoden wird es mit Sicherheit kein gegenseitiges Ver- ständ nis geben. In Oberungarn lebte in den vergangenen 150 Jahren ein „ slowakisches” Volk, das bereits 1842 in Wien um die Anerkennung der Slowakischsprachigkeit bat. Es ist gleichgültig, was wir hier über sie sagen, ihre Sprache nannten sie slowakisch. Bei der Konfliktlösung beider Völker hilft es nicht weiter, wenn wir uns stets auf vergangene Jahrhunderte berufen, unsere glorreiche Vergangenheit hochhalten. Das interessiert keinen führenden europäischen Politiker.
Es wäre sinnvoll, die Meinung des slowakischen Volkes kennen zu lernen und eingehend zu studieren, was sie über die madjarische Minderheit denken. Allen Anzeichen nach ist ihre Meinung nicht gerade günstig, sonst hätte man die antimadjarische Partei Slotas nicht ins Parlament und in die Regierung gewählt. In diesem Zusammenhang muss man auch darüber ein Wort verlieren, ob die madjarische Volksgruppe alles getan hat für ein friedliches Zusammenleben. Wir mögen es nicht, unsere eigene Verant wor- tung zu klären und das ist auch heute nicht anders.
Lasst uns einen ersten Schritt wagen und eine Meinung, die aus dem Kreise des slowakischen Volkes stammt, kennen lernen. Zwei Mädchen – eines aus Budapest, eines aus Pressburg –, die kurz vor dem Abitur stehen, melden sich zu einem Sprachkurs im Ausland an. Was das Leben so bringt, sie werden nach einigen gemeinsam verbrachten Wochen Freunde. In der zweiten – dritten Woche, als der Kontakt schon vertrauter war, kam das Gespräch auf die mad- jarische Minderheit in der Slowakei. Das slowakische Mäd chen erzählte, besser gesagt beklagte sich, dass es so schwer sei, die Madjaren zu akzeptieren. Vor kurzem, als sie sich zwecks Ver- wand tenbesuch in einem mehrheitlich madjarischen Dorf auf der Großen Schüttinsel verweilte, fühlte sie sich sehr unwohl. Sie hatte das Gefühl, dass die Madjaren die Slowaken geringschätzen. Ein Zeichen dafür wäre, dass sie nicht bereit wären, slowakisch zu sprechen. Sie begegnete nur ungarischen Aufschriften.( Warum muss man die slowakische Mehrheitsbevölkerung provozieren?, A. Cs.) Davor vertrat das slowakische Mädchen aus Pressburg einen neutralen Standpunkt. Seit den unangenehmen Erfahrung des Besuchs begegnet sie den Slowakeimadjaren mit Widerwillen. Es ist nicht auszuschließen, dass sie nächstes Mal für Slotas Partei stimmen wird – aber das füge nur ich zu.
– Habe ich deiner Meinung nach nicht Recht? Wir leben ja in der Slowakei, die Minderheit sollte die slowakische Sprache erlernen und nicht wir die ungarische, fragte das slowakische Mäd- chen. Das ungarische Mädchen stimmte ihr zu. Auch ich bin mit beiden einer Meinung. Auf Einladung ihrer ungarischen Freundin
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