Sonntagsblatt 5/2014 | Page 13

renden Schriften zahlen die in Rumänien, der Slowakei und Serbien lebenden madjarischen Minderheitengemeinschaften die Rechnung. Jegliches Wort, das zur Rechenschaft zieht und for- dert, stellt eine Nagel im Sarg der Autonomie der madjarischen Volksgruppen dar. Es kann uns schmerzen, aber es ist Fakt: Auf den heutigen Landkarten stehen anstelle Komárom (Komorn) Komárno, anstelle Kassa (Kaschau) Košice, anstelle Kolozsvár (Klausenburg) Cluj-Napoca, anstelle Újvidék (Neusatz) Novi Sad. Zu diesen Realitäten unserer Zeit müsste man eine etwas logi- schere, glaubwürdigere ungarische Geschichte erfinden und diese lehren. Man erreicht nichts damit, wenn wir uns selbst und unse- re Landsleute mit der „Niederträchtigkeit” der Habsburger, mit der „Kabale” der Engländer und Franzosen, dem Nationalismus der „Vlachen”, „Slowaken” oder „Raitzen” bekümmern/pro vo zie - ren. Und nach einem halben Liter Wein die Seklerhymne anstim- men. (Keine isolierte Erscheinung.) Ganz zu schweigen davon, wie sich daraus eine europäische Zusammenarbeit entstehen kann. Das wäre doch wichtiger, als sich darüber zu klagen, was vor 90 oder 100 Jahren passierte. Für einen Zeitraum von zwei-drei Jahren nach der Trianon-Entscheidung war eine überhitzte Gemütslage akzeptabel. In Ordnung, angesichts der Umstände auch verständlich. Vier–fünf Jahre? Geht. Aber zwanzig, vierzig, neunzig Jahre lang das zu beklagen weist auf eine krankhafte Psyche hin. Es tut mir Leid, dass ich das so sagen muss. Ein Teil der ungarischen Öffentlichkeit ist selbst nach dem EU- Beitritt Rumäniens und der Slowakei nicht bereit, die durch Trianon geschaffene Lage zur Kenntnis zu nehmen. Es ist noch das Geringste, dass sie Ratschläge erteilen, aber von Zeit zu Zeit stellen sie Forderungen an die Regierungen der Nachbarländer, was diese für die Versöhnung tun sollten, welche Rechte sie den madjarischen Volksgruppen geben sollten. In der Wirtschafts- und Politzeitschrift „Heti Világgazdaság” ist eine Studie erschienen, wonach „es in Ungarn ein seltener Konsens zu entstehen scheint, dass der in der Slowakei verbliebenen madjarischen Minderheit, die mit ihrer Größe von 500 000–600 000 Mitgliedern 10% der Gesamtbevölkerung stellt, alle, in Europa gängigen kollektiven Min derheitenrechte zuteil werden sollen. (Stadler, 2008) Der Titel der Studie (Slowakisch–madjarischer Konflikt: Lösung in Sicht) lässt vermuten, dass ihr Verfasser für das Bei - legen des Streits beider Länder, beider Völker eine Lösung gefun- den hat. Ich fing an, mich zu freuen, aber beim Studium des Aufsatzes ist mir deutlich geworden, dass der skizzierte Lösungs - vorschlag ein madjarischer ist. Man soll der madjarischen Volks - gruppe kollektive Minderheitenrechte geben und es wäre dann alles in Ordnung. So einfach ist diese Nationalitätenfrage, genau- so wie das Ei von Columbus. Und wir sind stolz darauf, dass bei uns darüber wie selten Konsens herrscht. Ein idealer, auf heimi- schen Gefilden leichter Sieg. Das Schriftstück vergisst aber zwei Dinge. Erstens: Die Nationalitätenautonomie ist keine Neuer - findung, auch als Experiment nicht. Zweitens: Keiner schert sich darum, was die Slowaken dazu sagen, die ja von dieser Ange - legenheit betroffen sind. Und die – trotz dem bockigen madjari- schen „Es steht ihnen zu” – der madjarischen Minderheiten - gemeinschaft keine kollektiven Rechte geben wollen. So ist dann alles vergebens. Ich habe Zweifel. Ich glaube nicht, dass anhand in Europa hie und da existierender Minderheitenrechte irgendetwas der madja- rischen Minderheit zustehen würde. Die Slowaken haben ihre Komitate umgestaltet, damit in keinem die Madjaren die Mehr - heit stellen können. Damit wollten sie signalisieren, dass der madjarischen Volksgruppe nichts zustehen würde. Was sollen wir nun tun? Ich befürchte, dass die Situation beileibe nicht so einfach ist, wie es diese Studie darzustellen versucht. Wenn es diesbezüg- lich eine europäische Regelung gäbe, dann würden die kollektiven Minderheitenrechte in der Tat der madjarischen Volksgruppe „zu - stehen”. Das ist noch bei weitem keine Garantie, aber man könn- te sich wenigstens auf etwas beziehen. Wenn es eine Regelung gäbe, dann hätte die Europäische Union der slowakischen Regie - rung wenigstens auf der Ebene eines Tadels mitgeteilt, dass sie, falls möglich, nicht so sehr aus der Reihe tanzen sollten. Das Schwei gen von Brüssel mahnt uns, man reagierte nicht einmal auf die Regierungsbeteiligung der stark und aggressiv antimadjari- schen und chauvinistischen Slota-Partei. Die kollektiven Minder - heitenrechte sind innere Angelegenheiten der Mitgliedsstaaten, die Union mischt sich nicht in die inneren Angelegenheiten der Mitgliedsstaaten ein (ausgenommen die Finanzen, denn sie wacht und verlangt Rechenschaft über die Erfüllung ihrer von Fall zu Fall nicht ausgesprochen unlo gischen Anforderungen). Ich befürchte, dass wir – ähnlich wie beim nicht wirklich erfolgreichen Auftritt von Albert Apponyi in Versailles – wieder daheim derart „mutige” und „kluge” Meinungen gegenseitig äußern, die nörd- lich der Donau nichts wert sind. Für die außerhalb unserer Landesgrenzen keine Empfangsbereitschaft besteht. Man kann sich daran erinnern, dass es in Europa Beispiele, Länder gibt, wo solche Rechte den Minderheiten zuteil wurde. Aber wir berufen uns vergeblich darauf, dass es der madjarischen Volksgruppe die kollektiven Rechte zustehen, wenn die rumänische und slowaki- sche Regierung das Recht und die Möglichkeit besitzt zu sagen, dass sie ihr nicht zustünden. Letztens (Anfang 2009) hat sich der rumänische Staatspräsident Traian Basescu gesagt, dass es „keine territoriale Autonomie ge - ben darf. Dementsprechend wird das Seklertum in der nahen Zukunft keine Autonomie haben. Was sollen wir jetzt tun? Die Tatsache, dass unser „hyperaktiver” Präsident regelmäßig unsere „abgetrennten Blutsbrüder” besucht, ist vielmehr ein kindisches Trotzverhalten als ein Verhalten, das einem wohlüberlegten Politiker geziemt. Die madjarischen rechtsextremen, nationalisti- schen Medien halten selbst dies für zu wenig. Nach ihrer Meinung ist der Präsident zu schwach. Nun, was sollte der Präsident für die Autonomie unternehmen? Bis jetzt bin ich nicht einem einzigen sinnvollen, brauchbaren Vorschlag begegnet. Damit es keine Missverständnisse gibt: Ich bin damit einverstan- den und halte es für richtig, dass solche, mehrheitlich von Madjaren bewohnte Gebiete wie das Seklerland und die Große Schüttinsel Autonomie erhalten. Dies würde wahrscheinlich we - der Rumäniens innere Sicherheit noch die der Slowakei erschüt- tern. Aber wir müssen es einsehen: Je mehr wir auf die Ge - währung der territorialen Minderheitenrechte drängen, desto grö- ßer wird der Widerstand der rumänischen und slowakischen Mehrheit. Es ist ein Irrtum zu glauben, dass Staatspräsident Traian Basescu und Ministerpräsident Robert Fico ausschließlich ihre Privatmeinung formulieren und vertreten. Der Nationalstolz der rumänischen und slowakischen Öffentlichkeit lässt es nicht zu, dass ihre Heimat, Rumänien oder die Slowakei, innerem, äuße- rem Druck nachgibt. Basescu und Fico verhalten sich nur logisch: Sie orientieren sich nach der Mehrheitsmeinung der rumänischen und slowakischen Wähler. Nach der Stimmung in der Bevöl - kerung. Solange ein Teil der madjarischen Minderheit und die ungarländischen Nationalisten die territoriale Autonomie forcie- ren, solange besteht keine Chance auf Erfolg. Ganz im Gegenteil: Sie bringen selbst diejenigen rumänischen und slowakischen Politiker gegen sich auf, die sonst keine Gefahr sähen in der Autonomie der madjarischen bewohnten Gebiete des Sekler - landes und der Großen Schüttinsel. Aber es gibt keine Regierung weder in Rumänien noch in der Slowakei, die es heute überleben würde, einen Gesetzesvorschlag über das territoriale Selbstbe - stim mungsrecht der madjarischen Volksgruppe im Parlament ein- zubringen. (Fortsetzung auf Seite 14) 13