Wald sowie von Ähren und Kartoffeln auf abgeernteten Feldern , trugen zu unserem Lebensunterhalt bei .
Wirtschaftlich besser ging es uns erst , nachdem unser Vater nach seiner Entlassung aus russischer Kriegsgefangenschaft und seiner Flucht aus Ungarn im Oktober 1948 zu uns gelangt war . Er hatte bald in Wiesbaden eine Arbeitsstelle als Bauhilfsarbeiter gefunden und hörte dort von einem anderen Ungarndeutschen , dass in Darmstadt eine Siedlung für evangelische Ungarndeutsche gebaut werden sollte . Meine Eltern fuhren nur wenige Tage später nach Darmstadt , um sich genauer über das Vorhaben zu informieren . Sie erfuhren dort , dass am 4 . April 1949 in den Baracken des Evangelischen Hilfswerkes in der Rheinstraße 124 eine Gründungsversammlung mit interessierten Bewerbern stattfinden sollte . Sie entschlossen sich spontan , sich als Siedler zu bewerben und Vater machte sich sogleich auf die Suche nach einem Arbeitsplatz in Darmstadt . Er fand auch sehr schnell eine Stelle als Hilfsarbeiter bei einer Baufirma , wo er am 9 . April die Arbeit aufnahm , nachdem er eine Schlafstelle in den Baracken des Evangelischen Hilfswerkes erhalten hatte . Mutter folgte ihm 14 Tage später und Großmutter und Urgroßvater blieben mit uns Kindern bis zum Schuljahresende im April in Strinz-Margarethä . Anfang Mai zogen wir dann mit unseren wenigen Habseligkeiten auf einem offenen Holzvergaser-Lastwagen in das Barackenlager nach Darmstadt um . Dort mussten wir uns mit einer weiteren Familie ein Zimmer teilen , bevor wir in einer anderen Baracke ein in der Größe einigermaßen angemessenes Zimmer und eine kleine Kammer zugewiesen bekamen .
Mit den Problemen - vor allem der Wohnungsnot und der Arbeitslosigkeit der großen Zahl der Vertriebenen und Flüchtlinge - befassten sich nicht nur Regierungsund Verwaltungsstellen , sondern auch Hilfsorganisationen wie z . B . das Evangelische Hilfswerk . Es gründete das „ Hilfskomitee der evangelischen Deutschen aus Ungarn “, das sich zum Ziel gesetzt hatte , für die in den verschiedenen Regionen der amerikanischen Besatzungszone zerstreuten evangelischen Ungarndeutschen - durch die Gründung landsmannschaftlich orientierter Siedlungen - eine neue Heimat zu schaffen . Die Leitung des Hilfskomitees in Hessen hatte Frau Dr . Irma Steinsch inne , die nach Abschluss ihres Studiums als Universitätsassistentin in Budapest gearbeitet und dort im Jahr 1942 ihre Doktorarbeit mit dem Titel „ Die Ansiedlungen der privaten Grundherrschaften in der „ Schwäbischen Türkei “ in Ungarn im 18 . Jahrhundert “ verfasst hatte . Im Jahr 1948 fing sie an , die ungarndeutschen Vertriebenen durch Aufrufe , Bekanntmachungen und Treffen auf die geplante Unternehmung aufmerksam zu machen .
Die entscheidende Hilfe für die Realisierung des Projektes zur Errichtung einer Siedlung für Ungarndeutsche kam von dem damaligen Oberbürgermeister der Stadt Darmstadt Ludwig Metzger . Dieser hatte als einer der ersten erkannt , dass die Vertriebenen auch wesentlich zum Wiederaufbau der zerstörten Stadt beitragen könnten , wenn sie Arbeitsplätze fänden und ihnen die Schaffung eigenen Wohnraumes ermöglicht würde . Er sorgte dafür , dass das notwendige Bauland zur Verfügung gestellt wurde und mit Hilfe des Lutherischen Weltbundes eine finanzielle Starthilfe zur Beschaffung des ersten Baumaterials erfolgte . Die Erwartung von städtischer Seite , dass sich die neuen Siedler auch am Wiederaufbau der weitgehend zerstörten Stadt beteiligen , wurde in einem Vertrag zwischen der Stadt Darm-
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stadt und der Siedlungsgenossenschaft durch folgenden Satz fixiert : „ Die Genossenschaft ist verpflichtet und die Stadt berechtigt , ihre Siedler , soweit sie nicht durch den Aufbau der Siedlung beansprucht werden , für den Wiederaufbau der Stadt – selbstverständlich im freien Arbeitsverhältnis – einzusetzen “.
Am 19 . April 1949 wurde in einer Versammlung im Gemeinschaftsraum des Barackenlagers des Evangelischen Hilfswerkes die „ Ungarische Bau- und Siedlungsgenossenschaft eGmbH Darmstadt “ gegründet . Bevor die Bauarbeiten begonnen werden konnten , musste erst der Wald von den Siedlern gerodet werden . Die Baumstämme gehörten der Stadt und nur die Äste und Baumstümpfe durften die Siedler behalten . Als die Rodungsarbeit erledigt war , erfolgte am 25 . April 1949 der erste Spatenstich . Und sofort danach wurden in gemeinschaftlicher reiner Handarbeit , ohne maschinelle Unterstützung , die ersten Baugruben ausgehoben . Die Bautätigkeit erfolgte abschnittweise . Zunächst wurden gemeinsam vier Baugruben ausgehoben . Während dann einige Bauarbeiter mit der Errichtung der Keller und der Obergeschosse begannen , wurden von den anderen Siedlern gleichzeitig vier weitere Gruben ausgehoben und so weiter . So wurden laufend Werte erstellt , die zur Finanzierung durch Kredite wieder beliehen werden konnten . Die Finanzierung des ersten Bauabschnittes mit 38 Wohneinheiten in 19 Doppelhäusern erfolgte durch die Bau- und Bodenbank . Bei den späteren Bauabschnitten kamen noch viele andere Geldinstitute dazu . Das Kapital der Siedler war ihre Arbeitskraft . Alle Rohbau- und Innenarbeiten , mit Ausnahme der Schreiner- und Elektroarbeiten , wurden in hervorragend organisierter Selbsthilfe von den Siedlern geleistet , so dass die Arbeitskosten sehr gering gehalten werden konnten .
Mit der Einweihung und Verlosung der 19 Doppelhäuser des ersten Bauabschnittes im Oktober 1950 erhielt die Siedlung auch ihren Namen Donausiedlung . Beim Festakt der Übergabe der Häuser sagte OB Metzger u . a .: „ Das Fest in der Donausiedlung ist auch für ganz Darmstadt ein Tag Freude . Sie sind nicht hergekommen als Bettler , sondern sie haben zugegriffen und sie dürfen stolz darauf sein , dass sie Darmstadt aufbauen halfen .“ Bis in die 1960er Jahre folgten weitere Bauabschnitte unterschiedlicher Größe .
Mit dem Einzug in die neuen Häuser war zwar für die damaligen Verhältnisse eine komfortable Wohnsituation entstanden , aber es war offensichtlich ein Bedürfnis vorhanden , möglichst rasch eine Dorfgemeinschaft zu entwickeln . Dazu bedurfte es aber einer Möglichkeit , sich zu treffen . Dies ermöglichten meine Eltern , indem sie ein Zimmer im Erdgeschoss unseres Hauses zu einem Gastraum umfunktionierten , in dem meine Mutter den Getränkeverkauf weiterführte , den sie schon in der Notunterkunft des Evangelischen Hilfswerkes begonnen hatte . Nach der offiziellen Genehmigung des Ausschankbetriebes durch die städtischen Behörden , die mit der Errichtung einer separaten Toilettenanlage im Hof verbunden war , bestand also faktisch die erste Gastwirtschaft in der Siedlung , die zwar sehr bescheiden , aber die erste wichtige Infrastruktur-Einrichtung war .
Unter den Siedlern , die in ihrer neuen Heimat wieder eigene Häuser besaßen , war offensichtlich das Bedürfnis vorhanden , hier möglichst rasch wieder eine Dorfgemeinschaft zu entwickeln . So wurde bereits 1951 , am ersten Sonntag im September , das erste Kirchweih-
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