Sonntagsblatt 4/2023 | Page 31

land Temesch zurückkehrte , stellte mich der liebe Gott auf die Probe . Mein letzter Besuch bei einem Verwandten war in Bad Tölz in Bayern , einer kleinen Stadt weniger als 50 km von München entfernt .
Das war noch im Jahre 1972 . Daraus kann der Leser erahnen , was es für einen jungen Mann , der Sport liebte und gut Fußball spielen konnte , bedeutete , die Olympischen Spiele buchstäblich live vor Ort verfolgen zu können . Ich wurde ein integraler Bestandteil des olympischen Dorfes . Ich hatte eine Freikarte , die mir von Verwandten geschenkt worden war , und ich nutzte diese einmalige Gelegenheit . Meine Leidenschaft für den Sport ging so weit , dass ich ein Training von Bayern München besuchte und am Zaun vom ungarischstämmigen Assistenztrainer der damaligen großen Mannschaft angesprochen wurde , der mich zu einer Trainingseinheit einlud . Ich kann stolz erzählen , dass ich bei dem Training eine so gute Leistung gebracht habe , dass im Nachhinein Bayern München mich zum Bleiben überzeugen wollte ! Sie hätten mir geholfen , mein Studium zu beenden . Eines hätte ich aber tun sollen : ganz in die BRD zu flüchten . Es war keine leichte Entscheidung für einen jungen Mann von 20 Jahren , aber ich stieg schließlich in den Zug nach Prag . Von dort kam ich über Pressburg und Budapest nach Großwardein . Von dort war es nur ein Katzensprung nach Arad und Lowrin / Lovrin im Kreis Temesch , wo ich aus dem Zug stieg . Es war schon spät am Abend , als ich durch das Tor unseres Gartens in Bogarosch trat . Da es kein Handy gab ( eigentlich gab es kaum ein Telefon ), war es eine große Überraschung , als ich nach meiner Reise durch halb Europa und nach so vielen Abenteuern zu Hause ankam .
Nach einer Woche zu Hause begann das Studium in Bukarest im Herbst 1972 . Das Datum ist wichtig , weil es damals noch freier war , von Rumänien in die Nachbarländer zu reisen . Man könnte auch sagen , dass wir die letzte freiere Hälfte der kommunistisch-sozialistischen Welt erlebten , in der Rumänien damals lebte und existierte , bevor die Grenzen geschlossen wurden . Ceauşescus „ Erfahrung “ von seinem Besuch in Peking verschloss schließlich all denjenigen , die versuchten , Rumänien zu verlassen , alle Türen . Ich erhielt ein Stipendium aus Ungarn und wurde in der Internationalen Vorbereitungsschule an der Wuderscher Straße in Budapest untergebracht , wo ich mit bulgarischen , estnischen , jugoslawischen und sowjetischen Schülern studierte .
Wenige Wochen nach meiner Ankunft in Budapest fand ich mich an der geisteswissenschaftlichen Fakultät der ELTE wieder , wo ich Ungarisch , Finno- Ugristik und Allgemeine Germanistik ( Skandinavistik ) studierte . Ich lernte ein wunderbares Mädchen aus Wieselburg-Ungarisch Altenburg kennen , das ich schließlich heiratete , aber ich hatte damals keine Ahnung , wie holprig der Weg dank Ceauşescus Regime sein würde !
Als ich mein Studium in Ungarn fortsetzte , lief mein Visum aus , aber ich wollte aus den bereits erwähnten persönlichen und öffentlichen Gründen nicht nach Hause zurückkehren . Im Jahr 1976 konnte ich nicht einmal zur rumänischen Botschaft gehen , denn dann wäre ich offiziell repatriiert worden .
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Dennoch wurde ich 1977 an der Eötvös-Hochschule von den ungarischen Verteidigungskräften gebeten , bei einem Treffen mit dem finnischen Verteidigungsminister zu dolmetschen . Eine Woche lang trug ich sogar die Uniform eines Leutnants der ungarischen Verteidigungsstreitkräfte und reiste zu Militärflughäfen in Ungarn . Ich war kein ungarischer Staatsbürger , aber ich galt als staatenloser Dissident . Bis heute frage ich mich , wie all diese Fäden zusammenhingen . Als tiefgläubiger Katholik habe ich festgestellt , dass der Humor Gottes oft im Alltag zu spüren ist .
1979 war meine Aufenthaltsgenehmigung in Ungarn abgelaufen . Obwohl ich als Lehrassistent am Spracheninstitut angenommen worden war , Deutsch , Finnisch und Schwedisch unterrichten konnte , hatte die rumänische Verwaltung angedeutet , dass man mich mitnehmen werde , wenn ich nicht nach Hause ginge – die Endstation wäre wohl das Donaudelta gewesen . Ein Lehrerkollege vom berühmten Eötvös-Gymnasium in Großkarol / Carei / Nagykároly versprach sogar , mich vor den rumänischen Behörden zu verstecken . Aber das wäre weder ein Leben noch eine Lösung auf Dauer gewesen . Außerdem wollte ich endlich das Mädchen heiraten , das ich mir ausgesucht hatte . Schließlich heirateten wir 1979 in Raab im Beisein des Herrn , nur in einer kirchlichen Zeremonie . Aber die vertraute mitteleuropäische sozialistische Blässe hing über meinem Kopf .
Im Jahr 1979 stand ich mit verschiedener Hilfe endlich kurz davor , die ungarische Staatsbürgerschaft erlangen . Wir fühlten , dass die Zeit für eine staatliche Trauung gekommen war . Wir standen schon vor dem Standesbeamten . Alle dachten , dass mein vorübergehender Zustand endlich zu Ende sei , als der Standesbeamte verkündete , dass das Innenministerium die Genehmigung zurückgezogen habe , so dass wir die Hochzeit nicht abhalten könnten .
Und wie hat das Leben - oder besser gesagt : Wie hat Gott es wiedergutgemacht ? Ein Jahr später , am 15 . März 1980 , gelang es uns , in Ungarn zu heiraten , so dass wir am Abend , nach der kleinen Zeremonie , „ Bánk Bán “ in der Oper sehen konnten . Rückblickend muss ich meinem Schwiegervater Recht geben : Ich wurde in einem Kokon geboren .
Von da an war mein Leben relativ einfach und reibungslos . In den 1980er Jahren forschte und lehrte ich in Nürnberg , München , später Lyon , Salzburg , Klagenfurt , Wien , Bern , Tübingen und Uppsala . Im Jahr 1984 wurde ich Kandidat der Ungarischen Akademie der Wissenschaften . In der ersten Hälfte der 2000er Jahre kam ich an das Institut für Sprachen der damaligen Budapester Universität für Wirtschaftswissenschaften und Öffentliche Verwaltung und 2005 an den Lehrstuhl für Internationale Studien , wo ich Studenten , die sich für diese Themen interessieren , Grundkenntnisse über die Europäische Union sowie Studien über Mitteleuropa und Minderheitenpolitik vermittelte .
Am Ende bleibt nur noch eine Frage des lieben Lesers offen , wenn Sie uns schon die Ehre erwiesen haben , die Lebensgeschichte eines Schülers aus einem Temescher Dorf zu lesen . Wann war ich wieder zu Hause in Bogarosch ?
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