Sonntagsblatt 4/2023 | Page 27

Grabmälern finde ich mir bekannte Familiennamen , allen voran „ Mánhercz “ – was mich an Werischwar erinnert , denn eine meiner Omas hieß „ Manhertz “.
Zurück an der Kirche erblicke ich eine alte Frau , sicher jenseits von 90 , die die Kirche betritt . Ich spreche sie auf Deutsch an , sie sagt , dass sie nur gebrochen Deutsch spreche , genauso zwei Frauen um 60 , die auf die Heiligenverehrung warten . Auch sie spreche ich auf Deutsch an , das löst bei ihnen Zeichen von Verlegenheit aus . Dennoch antworten sie auf Deutsch , zeigen sich aber erlöst , als ich zu Ungarisch wechsele . Die Heiligenverehrung findet wie alle anderen liturgischen Handlungen auf Ungarisch statt . Eine deutsche Messe habe es früher einmal im Monat gegeben , aber die Leute hätten die Sprache der Liturgie nicht beherrscht und das Ganze sei eingeschlafen , so eine der Frauen . Irgendwie kommt das mir bekannt vor . Das Dorf verändere sich ohnehin stark : Um das Revolutionsjahr herum seien viele nach Deutschland ausgewandert , was auch die Frau mit den Gladiolen bestätigt , und durch das Wegsterben der Alten sei die Sprache , „ das Schwäbische ”, noch mehr aus dem Alltag verschwunden .
Auch in der Schule habe man früher ( auf ) Deutsch unterrichtet - wie intensiv , das kann mir keiner genau sagen . Die Schule leide ohnehin an Mangel an Nachwuchs , und noch ein anderes Phänomen beobachten die Frauen , was auch in Ungarn wohlbekannt ist : Durch die immer größere Zahl von ungarischsprachigen Romakindern sehen sich Nichtromaeltern veranlasst , ihre Kinder in Kindergärten und Schulen unterzubringen , die einen deutlich geringeren Romaanteil aufweisen - im nahe gelegenen Großkarol / Carol beispielsweise ,. Schulische Segregation pur !
Die Roma seien diejenigen , die die sathmarschwäbischen und partiummadjarischen Arbeitskräfte auf dem grenznahen ungarischen Arbeitsmarkt ersetzt hätten . Das sagt ein junges Paar , das ich vor der Kirche anspreche . Die anderen würden in Westeuropa arbeiten , allen voran in Deutschland . Auch das Paar würde gerne „ abhauen ”, wenn es bloß
SoNNTAGSBLATT nicht so schwierig wäre mit den Fremdsprachen , so auch mit dem Deutschen , das das Paar trotz schwäbischer Herkunft nicht spreche . So bleibt die Arbeit in einem nahe gelegenen Ort .
Ich breche auf , in Richtung Großkarol , mache aber einen Abstecher ins Land berühmter madjarisierter sathmarschwäbischer Geistlicher : nach Fienen / Foieni / Mezőfény und Schinal / Urziceni / Csanálos . Das Ortsbild des einen Ortes gleicht dem des anderen : Es dominieren Sechzigerjahrebauten ( wie bei uns die Kádár-Würfel ) mit einem ausgetüftelten Regenwasserleitungssystem Richtung Straßengraben , Marke Eigenbau . Es wechseln sich bewohnte und unbewohnte Höfe ab , die Straßen sind an diesem Sonntagabend so gut wie menschenleer . Am Ortseingang von Schinal ( oder Schönthal ) treffe ich eine Frau Anfang 60 , die ich wie gewohnt auf Deutsch anspreche . Sie schaut verdutzt , ich versuche es auf Ungarisch . Sie berichtet , dass ein Großteil der Bevölkerung deutscher Herkunft sei , worauf man stolz sei und deswegen die Arbeit des Forums unterstütze . Sie bestätigt den Befund : Die deutsche Sprache sei so gut wie verloren , selbst die Oma habe gebrochen Schwäbisch gesprochen . Eins muss man aber sagen : Alle Gesprächspartner sprechen ein „ reines ”, akzent- und sprachfärbungsfreies Hochungarisch , eigentlich in dieser Form sehr selten im Kreise von Ungarischsprachigen in den Nachbarländern . Kazinczys Széphalom ist doch nicht so weit entfernt . Die Frau steht vor ihrem schönen Gemüsegarten , so drängt sich die Frage auf , was man hier neben Landwirtschaft noch machen könnte . Sie erzählt von den Fabriken , an denen wir vorbeigefahren sind . Aber dennoch sei die Abwanderung ( bei moderater Zuwanderung ) auch für Schinal charakteristisch , was auch die Zahl der Schulkinder beeinflusse . „ Wir kommen nur noch auf 10-15 Kinder pro Jahrgang , manche Jahrgänge müssen auch doppelt gesteckt werden ”, das erzählt bereits eine andere Frau um 60 , die ihr Enkelkind aus Ungarn vor sich herschiebt – es ist die Zeit der großen Verwandtschaftsbesuche . Sie kenne sich als Lehrerin der Josef-Tempfli-Grundschule aus - wie die Bildungseinrichtung heißt , benannt nach dem Sohn der Gemeinde , Altbischof Josef Tempfli . Es gebe nur noch den ungarischen Zweig ,
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