Sonntagsblatt 4/2019 | Page 6

Lehrerin, Lektorin, Übersetzerin und Chefredakteurin empfängt uns in einem traditionellen sächsischen Haus in der Altstadt, das als Redaktionssitz der Hermannstädter Zeitung dient, einer un- abhängigen Zeitung, die es seit 1861 gibt. In der kommunisti- schen Zeit erschien diese als Parteizeitung und trug zeitweise den Namen „Die Woche”, bis diese durch eine mutige Aktion am 26. Dezember 1989 wieder in „Hermannstädter Zeitung” umbe- nannt wurde. „Trotz allem hatte man als deutsche Zeitung mehr Spielraum ge- habt als rumänische Zeitungen”, so Ungar. Seit 1995 wird die unabhängige Wochenzeitschrift, die in 2000 Exemplaren, im Sommer mehr, verkauft wird, von einer Stiftung herausgegeben. „Zu 50 % wird die Zeitung vom Forum finanziert”, was auch den günstigen Preis von 1 Lei (70 Forint, 22 Cent) erklärt. Auch on- line ist die Hermannstädter Zeitung aktiv - mit 10.000 Lesern. Vor 1989 hatte die Zeitschrift nach Angaben von Beatrice Ungar 20 Mitarbeiter, heute hingegen nur noch vier. „Und einen 84-jährigen Fotografen, denn wir machen alles selber, so auch die Fotos”, er- klärte die Schriftleiterin. Unter den vier findet man auch junge Leute, Sachsen und Rumänen gleichermaßen. Denn, wie ich eingangs beschrieben habe, scheint Deutschspra- chigkeit eine Selbstverständlichkeit zu sein, wie auch unser Be- such im nahe gelegenen Bergdorf Michelsberg - bis 1989 mit sächsischer Bevölkerungsmehrheit - zeigt: Am Eingang zum Bergpfad, der zur Bergkirche - der ältesten sächsischen Kirche in Siebenbürgen - führt, sitzt eine Kartenverkäuferin - deutschspra- chig. Wie ich erfahre, besuchte die Mittvierzigerin die deutsche Schule in Michelsberg, die es lange nicht mehr gibt, mit säch- sischen Grundschullehrerinnen. Aber auch heute noch bestehe die Möglichkeit eine deutsche bzw. deutschsprachige Schule in Heltau oder Hermannstadt zu besuchen, was viele in Anspruch nähmen, aber nunmehr meist Rumänen. Es war eine Besitzung des ungarischen Adelsgeschlechts Apafi, danach der Grafen von Bethlen, woran das vom Mihai-Emine- scu-Trust aufwendig restaurierte Schloss erinnert, das heute als Gästehaus dient. Die ältere Dame, die wir im Dorf treffen, hat viel zu erzählen, insbesondere was die Vergangenheit anbelangt: So ist ihr die Nachkriegszeit mit Evakuierung, Kriegsdienst und Verschlep- pung nach Russland noch in heller Erinnerung, zumal auch ihr Vater unter den Verschleppten war. „Das Dorf war damals nach dem Krieg ohne Männer. Sie wurden erst vier-fünf Jahre später entlassen, aber eben nicht nach Hause, sondern nach Deutsch- land. Mein Vater kam nach Oschersleben bei Magdeburg – er schaffte die Heimkehr, aber viele nicht, so bestand bereits da- mals der Wunsch nach Familienwiedervereinigung”, erzählt die 79-Jährige. Auch die Zwangskollektivierung habe viel Unheil an- gerichtet, auch wenn sich ab den Sechzigern die Lage allmählich gebessert habe. Die Wendezeit bedeutete die Abwanderung der meisten Sachsen, dennoch gibt es sie noch: 130 Seelen zählt die Evangelische Kirchengemeinde, die jede Woche Gottesdienst feiert. Auch Konfirmanden gebe es noch, denn rund 30 Jugend- liche habe die Gemeinde. Die Schule nebenan (allerdings ohne deutschsprachige Beschilderung) hat nach Angaben der sächsi- schen Dame in der Primarstufe noch eine deutsche Abteilung mit insgesamt 13 Kindern in den vier Jahrgängen, unterrichtet von einer sächsischen Grundschullehrerin, was auch vom Diakon der Gemeinde, Joachim Lorenz, selber Familienvater von drei Kindern, bestätigt wird. Tag 2 Der Ausflugstag - auch dieser Tag verspricht vieles. Unser Weg führt im Dreieck Hermannstadt-Mediasch-Kronstadt über sie- benbürgisch-sächsische Dörfer. Die Bezeichnung siebenbür- gisch-sächsisch ist eigentlich nicht präzise genug, denn es geht dabei um Dörfer siebenbürgisch-sächsischen Ursprungs. Unter ihnen sind sogar welche, die bereits 1850 über einen multieth- nischen Charakter verfügten wie zum Beispiel Reichesdorf, das vor 170 Jahren zu je 40 % von Sachsen und Rumänen und zu 20 % von Roma bewohnt war. Aber zweifelsohne dominieren die sächsischen Höfe das Ortsbild der Gemeinden, die sich in verhältnismäßig gutem Zustand befinden, was aber von Ort zu Ort variiert. Dennoch ist der Jagdinstinkt der Reisegruppe da und als wir durch ein Dorf fahren und eine alte Dame erblicken, springen einige regelrecht aus dem Bus auf der Suche nach der sächsischen „Oma” - aber in diesen Dörfern Fehlanzeige, denn alle ältere Damen, die vor ihren Höfen den Vorbeifahrenden zu- schauen, sind Rumäninnen. Die sächsische „Oma” werden wir noch finden, aber dazu später mehr. Selbst im einstigen Bischofssitz Birthälm/Biertan blieben von einst 2000 Sachsen nur noch 80, so die sächsische Dame in der Buchhandlung und Kartenverkaufsstelle in der Kirchenburg - Unesco-Weltkulturerbe, was sich am regen Betrieb an diesem Oktobersamstag zeigt -. Die Kirche gehört zu Recht zu den be- kanntesten, allein aufgrund ihrer Größe und historischen Bedeu- tung. Die vorhin erwähnte Oma finden wir doch, nebst Jugendlicher und junger Erwachsener, was eigentlich – gerade in den ehe- mals sächsischen Dörfern – eine Ausnahme darstellt. Wir sind in Malmkrog/Mălâncrav, einer 1000-Seelen-Gemeinde südwest- lich von Schässburg, das ja bereits zum Landkreis Mieresch ge- hört. Malmkrog war nie Teil des sächsischen Autonomiegebiets: 6 Zu Besuch in Birthälm Der Geistliche stammt übrigens aus Thüringen und ließ sich 1992 im Dorf nieder, „gerade in einer Umbruchszeit, wo aufgrund der Auswanderung der Sachsen vieles weggebrochen war”. Er habe schnell Anschluss gefunden, auch wenn gerade die Älte- ren gewisse Vorbehalte gegenüber Neuerungen gehabt hätten. „Es gibt im Dorf immer noch fünf Nachbarschaften”, auch wenn es zunehmend schwieriger sei, die Aufgaben zu stemmen - auf- grund der doch geringen Zahl der Sachsen. Diakon Lorenz, den ich vor Jahren virtuell kennen gelernt habe, als ich eine DVD mit alten Kirchenliedern bestellt habe, betreut noch zahlreiche ande- re Gemeinden der Umgebung, die aber wesentlich weniger See- len hätten als Malmkrog. „Die Gottesdienste würden von 100 – 120 % der Gemeindemitglieder besucht”, schmunzelt er: 100 %, wo es vier Gemeindemitglieder gibt, und 120 %, wo auch noch Ortsfremde den Gottesdienst besuchten. „Heute braucht man in der Regel keinen Kleinbus mehr, der die Menschen zu den Got- tesdiensten transportiert, sondern es reicht ein Pkw”, erzählt er. Beide Gesprächspartner berichten von den bescheidenen Mög- lichkeiten des Geldverdienens, was viele dazu bewege, ihr Glück im Ausland zu suchen. Aber dass das keine einseitige Migration bedeutet, zeigt das Bei- spiel zweier Damen aus Deutschland, die sich mit ihren Familien im Unesco-Welterbendorf Deutsch-Weißkirch/Viscri niedergelas- sen haben: die eine Dame namens Annette Schorb, die sogar SoNNTAGSBLATT