ein Buch über ihre Erfahrungen verfasst hat, vor 22 Jahren, die
andere, die uns in der Kirchenburg empfängt, erst im Sommer,
angesichts der kurz bevorstehenden Pensionierung ihres Man-
nes. Ihr folgten gleich zwei ihrer Töchter. Beide Frauen berichten
von der Faszination, die dieser Landstrich ausübe – was ange-
sichts der Naturnähe und des fast vollständig erhaltenen sächsi-
schen Dorfes kein Wunder ist. Annette Schorb, die in München
als Zahnärztin arbeitete, wollte einen Neuanfang wagen, was
aber, wie sie berichtet, ein finanziell bescheideneres Lebens als
zu Hause bedeutete. „Ich wollte nicht in der Praxis alt werden”,
erzählt sie. Die Motivation der anderen Frau liegt nach eigenen
Angaben woanders: Ihre Schwiegereltern hätten im Dorf gelebt,
was sie schon früh fasziniert hätte. Deutsch-Weißkirch hatte lan-
ge eine deutsche Bevölkerungsmehrheit, heute betrage die Zahl
der gebliebenen Sachsen etwa zehn, so Schorb. In der gleichen
Zeit habe dank der Bemühungen des Eminescu Trusts, der 17
Dörfer betreut, dem Weltkulturerbetitel und der Anwesenheit des
britischen Thronfolgers Charles der Tourismus an Bedeutung
gewonnen, was dazu führte, dass immer mehr Unterkünfte ent-
standen seien – heute besuchen nach den Worten von Schorb
40.000 Menschen das kleine Dorf zwischen Schässburg und
Kronstadt und zeigt nach oben in Richtung Kirchenburg, wo Ge-
lächter zu hören sind: „Das sind die Touristen.”
meint damit den Handschlag, der früher unvorstellbar gewesen
sei. Er eilt weiter, denn um 11:30 hält er einen rumänischspra-
chigen evangelischen Gottesdienst. Noch ein paar Worte mit
Frank-Thomas Ziegler, mit dem wir vor zwei Jahren anlässlich
des 500. Jubiläums der Reformation ein Interview geführt haben
– Ziegler gewährte damals einen gründlichen Einblick in den All-
tag der evangelischen Honterus-Gemeinde (Wo noch evangeli-
sche Obstbäume wachsen, SB 04-2017), denn Honterus wartet
schon auf uns. Die Statue steht direkt neben der Schwarzen Kir-
che; der gebürtige Kronstädter war ein Ausnahmetalent, denn es
gab kaum etwas, womit er sich in seinem Leben nicht beschäftigt
hätte: Von religiösen und philosophischen über juristische bis hin
zu schulpolitischen Fragen reichte die Palette; es ist kein Zufall,
dass das altehrwürdige deutsche Lyzeum direkt gegenüber von
Kirche, Pfarrhaus und Statue seinen Namen trägt. Nach dem
Gedenken lädt uns die Stadt an der Zinne zum weiteren Verwei-
len ein: Die Altstadt wird größtenteils von sächsischen Häusern
bestimmt, dennoch merkt man, dass die Modernisierung bereits
früh Einzug gehalten hat.
Bürgerhaus bei der Schwarzen Kirche
Annette Schorb im Gespräch
Tag 3
Menschenleer empfängt uns die Hauptstadt des Burzenlandes
– es ist Sonntagvormittag, ein Großteil der Bewohner wacht ge-
rade auf, einige sind aber auf dem Weg in die Kirche oder ins
Café. Der evangelische Stadtpfarrer und die Lektorin empfangen
uns an der Pforte der Schwarzen Kirche, des gotischen Hallen-
kirchenwahrzeichens der Stadt. Vorbei die Zeiten, als vor dem
Zweiten Weltkrieg beispielsweise ein Stadtpfarrer Konrad Mö-
ckel anlässlich seiner Amtseinführung von Massen empfangen
wurde, während uniformierte Jugendliche Spalier standen. Etwa
30 Gemeindemitglieder von den 1100 Deutschen kommen heute
zum Gottesdienst und mindestens genauso viele Gäste, die wo-
möglich keine richtigen Gäste sind, wie das kurze Gespräch mit
einem Ehepaar Mitte 60 zeigt – beide wohnen in Hannover, aber
der Ehemann ist gebürtiger Kronstädter. Genauso Gäste mit sie-
benbürgischem Hintergrund dürfte eine Familie mit zwei Kindern
sein – der Sohn trägt einen Trainingsanzug mit der Aufschrift „Das
Württembergische”. Traditionelle Kirchenlieder erklingen, das
Herzstück bildet dennoch die Predigt von Stadtpfarrer Christian
Plajer, der uns soeben freundlich empfangen hat. Das Gesang-
buch stammt aus Zeiten, als noch zehnmal so viele Deutsche in
Kronstadt lebten: Evangelische Kirche Augsburger Bekenntnis in
der Sozialistischen Republik in Rumänien, gedruckt in Sibiu. Wir
erinnern uns: Eine Zeit lang war der Gebrauch nichtrumänischer
Ortsnamen unter Androhung von Strafe untersagt.
Man gedenkt in der Messe eines emeritierten Bischofs, der 1944
seine Heimat verlassen musste und in Österreich Kirchenkar-
riere gemacht hat. Die Kirche leert sich, ein letztes Gespräch
mit Stadtpfarrer Pleyer, der von veränderten Zeiten spricht und
SoNNTAGSBLATT
Nach einem kleinen Abstecher nach Tartlau/Prejmer, wo wir eine
der interessantesten Kirchenburgen Siebenbürgens besichti-
gen, steuern wir wieder Hermannstadt an. Auch eine nächtliche
Stadt hat ihren Reiz – so mache ich mich auf den Weg um die
Stadt ein zweites Mal zu erkunden. Es ist nicht viel los an diesem
Sonntagabend, dennoch reicht es wieder für unerwartete Begeg-
nung. Vor dem Schülerwohnheim des Landeskonsistoriums der
Evangelischen Landeskirche A. B. steht ein Junge und wartet
auf seine Kumpels. Ich kann es mir nicht verkneifen, wegen des
Schildes, ihn anzusprechen. Und welch ein Wunder, sage ich
als Deutscher aus Ungarn, der Abiturient antwortet auf Deutsch,
als wäre es die natürlichste Sache der Welt. Er bereite sich am
„Ghibu” gerade auf das Deutsche Sprachdiplom vor. Das „Ghibu”
ist ein 1994 gegründetes Theoretisches Lyzeum (benannt nach
dem rumänischen Pädagogen Onisifor Ghibu) mit rumänischer
und deutscher Abteilung – er besucht logischerweise die deut-
sche Abteilung. Der rumänische Jugendliche stammt aus Agne-
teln/Agnita und besuchte zuvor die „Deutsche” Schule des Ortes.
Ein blonder Junge gesellt sich dazu, er hat noch zwei Jahre bis
zum Abitur. Hoffentlich erinnern Sie sich noch an die rumäni-
schen „Omas”, die wir in Alzen getroffen haben – aus diesem
Ort stammt er, fließend deutschsprechend, sein Vater Rumäne,
seine Mutter Sächsin. Es würden nur noch wenige Sachsen im
Ort leben, aber eine Grundschule mit deutscher Abteilung, die
er besucht hat, gebe es noch. Seit der 5. Klasse wohnt er unter
der Woche in Hermannstadt. Interessant ist der Sprachgebrauch
in der Familie: Obwohl sich seine Mutter bemühe, mit ihm säch-
sisch zu sprechen, antworte er nach eigenem Bekunden rumä-
nisch, was er mit der Schwierigkeit der Sprache begründet.
Tag 4
Aus Erkundungstoursicht nur noch ein kurzer Tag! Heimfahrt
durch die Dörfer des Unterwaldes: Großau, Großpold und Reuß-
markt! Großau unter ihnen, das mir seit 23 Jahren als Reiseziel
(Fortsetzung auf Seite 8)
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