Blütezeit“ erlebe. Sie räumt ein, dass das sicherlich nicht auf alle
ungarndeutschen Ortschaften zutreffe, aber auf ihren Heimatort
ganz sicher. Susanne, die seit zehn Jahren in Deutschland lebt,
verfügt über wenig persönliche Erfahrungen, betont aber, dass
die größte Herausforderung generell darin liege, sich als Zuge-
höriger einer Gemeinschaft nicht im Gegensatz zu anderen zu
behaupten beziehungsweise sich nicht ab- bzw. auszugrenzen.
„Die Alten werden immer weniger, viele Jugendliche interessie-
ren sich dafür nicht mehr oder haben gar keinen Bezug dazu.
Die Globalisierung tut ihr Übriges. Der Dialekt wird wenig bis
gar nicht gesprochen. Es kommen zu viele Einflüsse von außer-
halb“, meint Peter, der aber auch von positiven Entwicklungen
zu berichten weiß, insbesondere im kulturellen Bereich. Es sei
daher eine Kraftakt aller, die Traditionen, Werte und Sprache auf-
rechtzuerhalten. Auch Sebastian bemüht sich darum die Lage
der Deutschen in Ungarn differenziert zu betrachten: „Es bedarf
mehr kompetenter Sprachträger in der Öffentlichkeit und einer
effizienteren Ausschöpfung der seitens der Regierung bereitge-
stellten Möglichkeiten. Es kann ja nicht sein, dass jemand, der
vier oder mehr Jahre in einem Nationalitätengymnasium der
deutschen Minderheit verbracht hat, nicht fähig ist, fünf Sätze für
die deutsche Sendung des ungarischen Fernsehens zusammen-
zukriegen. Das geht nicht. Hier können wir wirklich was von den
Rumänen lernen, wo der deutsche Sprachunterricht glänzend
funktioniert. Auf der anderen Seite bekannten sich seit langem
nicht so viele Leute in Ungarn zu ihrem Deutschtum wie in den
letzten Jahren. Das gibt Grund zum Optimismus. Bei kompeten-
ter Vertretung unserer Interessen sehe ich gute Chancen, dass
es in der nächsten Generation noch 50 bis 100.000 Ungarndeut-
sche geben wird. Die Sprache (sei es die Mundart oder Hoch-
deutsch) darf aber im Alltag nicht auf der Strecke bleiben. Ich
kann damit leben, dass bei den meisten Veranstaltungen (der
deutschen Minderheit) nicht jeder Deutsch kann, aber warum
sollen sich sprachlich die anpassen, die noch Deutsch können?
Wohin führt uns diese Praxis? Auch im Kreise der ungarischen
Minderheit in den Nachbarländern gibt es einen Punkt, wo man
sagt, sprachlich ist man kein (Auslands-) Ungar mehr. Warum
sollte das bei den Deutschen anders sein? Diese Fragen sollte
man sich stellen können.“
Viele meinen, bei den Auswanderern (oder generell Menschen,
die im Ausland eine Arbeit gefunden haben) handele sich um
Menschen, die für das Land verlorengegangen seien. Die Rück-
meldungen zeigen auch hier ein komplexeres Bild. Susanne
möchte sich gerne den Fragen der Gegenwart widmen, aber
generell möchte sie ihr jetztiges Leben weiterführen. Kerstin
möchte nicht mehr zurückkehren, sondern im deutschsprachigen
Raum bleiben und dort ihre Kinder großziehen. „Aber natürlich
werde ich einen Teil von unserer Kultur und Identität und auch
die ungarische Sprache weitergeben“, so die Neuwienerin. Pe-
ter hingegen kann sich durchaus vorstellen irgendwann in seine
Heimatstadt nahe Budapest zurückzukehren, und bringt es ge-
mäß der Redensart in seiner neuen Heimat so auf den Punkt:
„Schaun mer mal, dann sehn mer scho.“ Katharina wünscht sich
wieder dort zu leben, wo ihre Familie und Freunde sind. Das sei
aber nicht einfach: „Jetzt habe ich ein Dahaam und ein Dahoam.
Beide sind sehr wichtig für mich.“ Am rückkehrwilligsten zeigt
sich der aus Budapest stammende Weltbürger Sebastian: „Ich
arbeite, solange es mir Spaß macht, in Österreich, Deutschland
oder wo auch immer weiter und kehre nach einigen Jahren nach
Ungarn zurück. Budapest ist eine pulsierende, großartige Stadt!“
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Kunterbunt
Kindergärten in der Trägerschaft örtlicher deutscher Selbstver-
waltungen – Teil 3: Kindergärten im Porträt: 3. Der Deutschstäd-
tische Kindergarten
Von Richard Guth
„Der 29. September letzten Jahres ist mir gut in Erinnerung ge-
blieben: Wir waren zu Besuch am Österreichisch-Ungarischen
Kindergarten in Budapest. Ein Kind ungarischer Muttersprache,
dem zuvor gesagt wurde, wir würden nur Deutsch sprechen, kam
auf uns zu und sprach uns auf Deutsch an. Dies nach vier Wo-
chen im deutschsprachigen Kindergarten. Ein anderes Erlebnis
war der Besuch der stellvertretenden Beauftragten für die Min-
derheiten, die die Kinder auf Deutsch angesprochen hat. In ihrer
Verlegenheit konnten sie nicht antworten. Da ist es mir klar ge-
worden, dass wir mit unseren Kindern mehr deutsch sprechen
müssen, wozu auch die Nationalitätenexperten, die den Kinder-
garten öfters besuchen, ermuntern”, erzählt Maria Solymosi-Szi-
lágyi, Leiterin des Deutschstädtischen Kindergartens während
meines Besuchs in Deutsch-Jula.
Erkenntnisse einer Kindergartenpädagogin, die den wohl ältes-
ten ungarndeutschen Kindergarten leitet: „Die Einrichtung wurde
1883 gegründet, in einer bis 1857 eigenständigen Stadt, deren
deutsche Bewohner schnell den Weg der Bürgerwerdung be-
schritten haben. Der deutsche Kindergarten in der jetzigen Form
gibt es seit 1956, Stück für Stück wurde die Zahl der Kindergarten-
gruppen auf fünf erhöht. Gegenwärtig besuchen die Einrichtung
110 Kinder, die von elf gut ausgebildeten Nationalitätenkinder-
gärtnerinnen betreut werden.” Auch auf die Begabtenförderung
legt der Kindergarten nach Worten von Maria Solymosi-Szilágyi
großen Wert, und diese durchaus in Verbindung mit der deut-
schen Sprache: „Unser neuestes Projekt sind Beschäftigungen
in AG-Form von der Länge von 20-25 Minuten, in den die Kinder
mit für sie nicht so vertrauten Kindergärtnerinnen zusammen sind
und nur deutsch sprechen.” Denn sprachlich werden die Kinder –
wie anderswo – weitgehend ungarisch sozialisiert, eine Ausnah-
me bilden nur die wenigen Kinder, bei den in der Familie deutsch
gesprochen würde, so wie in der Familie der Vorsitzenden der
Deutschen Selbstverwaltung Deutsch-Jula, Monika Mittag, deren
Mann aus Österreich stammt und der sich selber für die Belange
der deutschen Minderheit in der Erkel-Stadt bemühe. Es gäbe
aber mittlerweile Eltern Anfang, Mitte 30, die versuchen würden
mit ihren Kindern deutsch zu sprechen. Ziel für die erfahrene
Kindergartenleiterin sei ohnehin, die deutsche Sprache in den
Familien wieder zu etablieren, denn selbst in der Generation der
Eltern der Leiterin wäre das nicht mehr selbstverständlich ge-
wesen. Maria Solymosi ist alteingesessene Deutschjulaerin, ihre
Familie trug früher den Namen Steigerwald. Ein besonderes An-
liegen von ihr ist darüber hinaus, dass die Wegweiser zweispra-
chig ausgeschildert sind und andere Materialien wie die Arbeits-
pläne auch diesem Prinzip folgen.
Ein weiteres Anliegen des Kindergartens scheint auch die Pflege
der Traditionen zu sein, die auch nicht selbstverständlich sei, da
kaum noch Traditionen vorhanden wären. „Seit 36 Jahren findet
die Abschlussfeier des Kindergartenjahres in deutscher Sprache
statt. Leidiglich die Ansprache ist zweisprachig und ein ungari-
sches Gedicht am Ende. Die Kinder haben in den vergangenen
Jahren Märchen und Tänze vorgetragen. Im Juni haben die Kin-
der den Bandl-Tanz vorgeführt.” Weitere Höhepunkte stellen der
Martinstag mit mehreren tausend Umzüglern, die Rosmareinzu-
cher und verschiedene Aktionen rund ums Kochen und Backen,
zusammen mit den Eltern, dar.
Der Kindergarten hat stark mit der demografischen Entwicklung
und dem Vordringen des Englischen zu kämpfen: „1990 gab es
etwa 2000 Kinder im Alter von 3 bis 6 Jahren, heute nur noch
gut 1200. Dafür gibt es 11 Kindergärten in der Stadt, davon gut
drei Viertel in staatlicher Trägerschaft, der Rest in kirchlicher und
in der von Nationalitäten.” Mittlerweile müsse man aktiv um die
Kinder (und deren Eltern) werben. Die Abnahme der Zahl der
Kinder ist nicht nur auf die gesunkenen Geburtzahlen seit der
Wendezeit zurückzuführen: Viele verlassen auch nach Erkennt-
nissen der Leiterin die Region und suchen ihr Glück in West-
(Fortsetzung auf Seite 8)
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