weggründe vielfältig: „Der primäre Faktor ist natürlich das höhere
Gehalt, aber auch die kulturelle Bindung zum deutschsprachigen
Ausland, wenn man sich schon selber dieser Kultur zugehörig
fühlt. Es ist auch erwähnenswert, dass man mit dem Zug (Railjet)
aus Budapest genauso schnell nach Wien wie nach Fünfkirchen
fahren kann. Die geographische Nähe ist im Fall von Österreich
also ein Vorteil. Ich bin der Auffassung, dass man die Chance,
Arbeit im Ausland nachzugehen, wahrnehmen muss, solange
man noch mobil ist. Später kann man zu Hause sein. Unter 30
Jahren geht das auch relativ einfach.“
Auch hinsichtlich der gesammelten Erfahrungen zieht Sebastian
eine positive Bilanz: „Drüben lebt es sich tatsächlich einfacher.
Durch den Lohnniveauunterschied sind die Leute wesentlich
entspannter und ihre Alltagsprobleme sind einfacher zu lösen.
Wenn man das Glück hat, eine entsprechende Qualifikation und
einen deutschen Vor- und Nachnamen zu besitzen, fällt man
im Gastland auch nicht besonders auf. Man wird schneller auf-
genommen. Das Gefühl, zu Hause zu sein kann jedoch nichts
ersetzen. Als gebürtiger Budapester freue ich mich immer, in
meiner Heimatstadt zu sein, wenn auch ich nicht mit jeder ge-
sellschaftlichen Tendenz der letzten Jahre zufrieden bin.“ Katha-
rinas Integration war auch erfolgreich: Sie berichtet davon, dass
sie binnen eines Monats ein Vorstellungsgespräch gehabt hätte
und bereits zum Beginn des nächsten Erziehungsjahres dort ein-
gestiegen sei: „Hier ist es ganz normal, Ausländer/in sein. Es ist
nichts Besonderes. Auch die Vorschule, wo ich arbeite, ist sehr
bunt. Wir haben indische, bulgarische, russische, vietnamesi-
sche, polnische Kinder und auch Kinder aus gemischten Ehen
wie deutsch-französisch, deutsch-amerikanisch, deutsch-öster-
reichisch. Also meine Erfahrungen als „Ausländerin“ sind sehr
gut. Ich fühle mich nicht anders wie in Ungarn. Vielleicht wenn,
dann noch besser. Die Kollegen sind gegenüber jüngeren Fach-
kräften auch viel offener und unterstützen sie viel mehr.“ Für Pe-
ter gab es, da er zuvor öfters in Deutschland war, wenig Über-
raschendes: Die größte Umstellung für ihn war, sich selbst zu
versorgen. Kerstin weist auf die Mentalitätsunterschiede, die sich
auch im Berufsleben niederschlagen würden, hin: „Fachlich sehe
ich nicht zu viele Unterschiede, obwohl unsere Ausbildung nicht
anerkannt wird. Unterschiede gibt es, wie man mit den Dingen
umgeht. Wir ticken einfach anders, weil wir in anderen Verhält-
nissen aufgewachsen sind. Wir sind viel erfinderischer.“ Bei Su-
sanne überwogen am Anfang die Zweifel: „Ich habe am Anfang
nicht in meinem Beruf arbeiten wollen. Einerseits wegen meiner
Entscheidung für einen Neuanfang, andererseits weil ich dachte,
dass die muttersprachliche Konkurrenz zu hoch war. Ich habe
die ersten zwei Jahre allerlei Jobs gemacht und bin letztendlich
doch beim Deutschunterricht gelandet und mache das gern.“
Mittlerweile hat sie sich gut integriert: “Ich lebe zwar in Deutsch-
land, aber Berlin ist noch mal eine andere Welt. Mit Deutschen
habe ich hauptsächlich beruflich, amtlich u. Ä. zu tun. Ich habe
Freunde und Bekannte aus vielen verschiedenen Ländern und
auch einige aus Deutschland.“
Zweifelsohne ist es eine interessante Frage, inwiefern das Le-
ben im deutschsprachigen Ausland die eigene (ungarndeutsche)
Identität beeinflusst. Katharina hat hierzu eine ganz klare Mei-
nung: „Meine Identität ist meine Identität. Die kann man nicht ver-
ändern oder beeinflussen.“ Susanne hat diese Frage eingehend
reflektiert: „Das Leben in Deutschland hat die Frage meiner na-
tionalen Identität in den Vordergrund gerückt. Ich habe viel da-
rüber nachgedacht, was es bedeutet, Ausländerin, Europäerin,
Ungarin und teils deutscher Herkunft zu sein. Ich habe vieles
in der deutschen Kultur, Haltung und den deutschen Wertvor-
stellungen entdeckt, mit denen ich mich identifizieren - und viel-
leicht mehr identifizieren - kann als mit den ungarischen. Dazu
gehören unter anderen die Rücksichtsnahme und Wahrung der
Privatsphäre - die ich jedoch manchmal auch übertrieben finde -,
die Ehrlichkeit - nicht um den heißen Brei herumreden, wie das
in Ungarn oft der Fall ist -, die Diskussionskultur, die in Ungarn
typischerweise kompetitiv und weniger konstruktiv abläuft, eine
bewusste und „erwachsene” bürgerliche Haltung, die auf der
Überzeugung basiert, etwas auch selbst bewirken zu können,
was in Ungarn so noch nicht existiert. Andererseits gibt es auch
Bereiche, wo ich im Vergleich dazu, was ich oft in Deutschland,
genauer gesagt in Berlin, erlebe, die „ungarische Art” bevorzuge.
Diese ungarisch-deutsche Gegenüberstellung kommt aus mei-
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nem individuellen Kontext. Ich möchte damit nicht sagen, dass
man eine „deutsche bzw. ungarische Art” so abgrenzen oder
definieren kann.“ Peter, der aus einer „rein“ ungarndeutschen
Ehe stammt, meint, dass das Leben in Bayern seine (ungarn)
deutsche Identität gestärkt hätte: „Es ist nicht einfach unsere
Situation den „richtigen“ Deutschen zu erklären. Ich glaube, sie
kapieren das erstmal gar nicht. Man wird doch eher als Ungar
angesehen als Deutscher. Wobei es auch Gegenbeispiele gibt,
wo Leute relativ schnell verstanden haben, wie es ist.“ Sebas-
tian hat auch ähnliche Erfahrungen gesammelt: „Es hat mich in
meiner deutschen Identität gestärkt, wenn es auch gleichzeitig
die Unterschiede offengelegt hat, die es zwischen bundes- und
auslandsdeutschen Gemeinschaften gibt. Es sind verschiede-
ne Gemeinschaften mit unterschiedlicher Sozialdynamik. Mein
Deutschtum hat nichts mit der Bundesrepublik oder sonst wel-
chen Staaten zu tun, sondern mit meiner Sprache, Alltagskultur
und dem kulturellen Erbe. Ähnlich hat das auch der rumänische
Präsident Klaus Johannis, selber Siebenbürger Sachse, formu-
liert. Die deutsche Kultur bestimmt zu einem entscheidenden Teil
meine Denkweise und meinen Blick auf die Welt. Ähnlich zu vie-
len ungarndeutschen Bekannten von mir bin ich ein Kulturdeut-
scher, geopolitisch gesehen ungarischer Patriot und überzeugter
Europäer.“
Die Zeit verändert einen, aber auch das Verhältnis zum eigenen
Heimatland. Kerstin betrachtet Ungarn weiterhin als ihr Heimat-
land, wo ihre Wurzeln lägen, ihre Freunde, Familie und Vergan-
genheit. Aber nun finde ihr Leben nicht mehr dort statt, was nach
eigenem Empfinden auch ihre Mentalität verändert hätte. Peter
empfindet mehr Distanz zu Ungarn, obwohl er immer noch ger-
ne seine Heimatstadt besucht: „Aber Ungarn an sich lässt mich
kalt. Mit Landnahme, Stefan usw. kann ich wenig anfangen. Ich
habe bereits die Erfahrung gemacht, dass ich mich in bestimm-
ten Regionen in Ungarn fremder gefühlt habe als irgendwo in
Deutschland oder Österreich, wo ich noch nie zuvor war.“ Ka-
tharina spürt eine enge emotionale Bindung zu Ungarn, bei ihr
spielt aber auch die Frage eine Rolle, wie sich ihr Freund bei
einer Übersiedlung integrieren könnte: „Mein Freund, den ich so
lieb habe, stammt von hier, er redet nur Deutsch/Bayrisch und
Englisch, für ihn wäre es in Ungarn recht schwierig. Auch die
Lebensqualität ist anders. Für mich ist es einfacher mich an ein
Leben in Bayern zu gewöhnen als es für ihn in Ungarn wäre.
Als Deutscher sich an einen ungarndeutschen Lebensstil zu ge-
wöhnen ist auch nicht immer so einfach. Es gibt Beispiele dafür,
dass es gut klappen kann, aber auf diesen Moment muss ich
noch warten.“ Bei Susanne und Sebastian spielen bei der Fra-
ge nach dem Verhältnis zu Ungarn auch aktuelle Entwicklungen
eine Rolle. Susanne sagt, dass Ungarn ein anderes Land, sei
es Deutschland, nie ersetzen könnte. „Allerdings lebe ich schon
lange genug in Deutschland, um eine gewisse Distanz und ein
gewisses Fremdgefühl zu Ungarn zu entwickeln. Damit sind Ge-
fühle der Erleichterung und auch der Traurigkeit verbunden. Ich
denke nicht daran, je wieder in Ungarn leben zu wollen. Das hat
nicht nur politische Gründe, aber diese spielen dabei eine im-
mer größere Rolle“, so die Deutschlehrerin. Sebastian beschreibt
seine Gefühle zu Ungarn folgendermaßen: „Auch wenn Ungarn
das langweiligste und intoleranteste Land wäre, bliebe es meine
Heimat, und die Sonne würde jeden Morgen genauso aufgehen.
Zum Glück ist es ein spannendes und zum Teil weiterhin offenes
Land. Dies sollte allerdings nicht heißen, dass sich in Ungarn
aus meiner Sicht alles positiv entwickeln würde. Mit dem Mig-
rationsthema zum Beispiel sollte es irgendwann endlich einfach
gut sein. Manchmal kommt es einem vor, als gäbe es hier keine
anderen, wichtigeren Themen wie die Korruption oder die Dauer-
krise im Gesundheitswesen.“
Hinsichtlich der Beurteilung der Lage der deutschen Nationalität
in Ungarn zeigt sich ein gemischtes Bild. Am positivsten sieht
die Lage Kerstin, die die wenigsten Verbindungen zum Ungarn-
deutschtum besitzt: „Die deutsche Minderheit in Ungarn ist ein
Teil von Ungarn und assimiliert, aber jeder kann und darf seine
Identität behalten, was Zweisprachigkeit und Kultur betrifft. In
meinem Komitat Branau kann man vom Kindergarten bis zum
Abitur alles zweisprachig machen. Ungarndeutsche haben viele
Vereine und Möglichkeiten ihre Identität frei zu pflegen.“ Auch
Katharina gehört zu den Personen, die die Lage positiv beurtei-
len: Sie spricht sogar davon, dass das Ungarndeutschtum „eine
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