Ende Oktober versammelten sich ungarndeutsche Jugendliche
aus dem ganzen Land, vor allem aus Budapest und seiner Um-
gebung, in Fünfkirchen/Pécs um an der von der LdU organisier-
ten Jugendkonferenz teilzunehmen. Dieses Jahr war das vierte
Mal, dass diese Veranstaltung stattfand. Jede Konferenz hatte
ein bestimmtes Thema wie zum Beispiel die Vorbereitung auf
die Parlamentswahlen oder die Jugendstrategie der LdU. Heuer
stand die Frage der Motivierung der jüngeren Generation für
eine Kandidatur bei den kommenden Nationalitätenselbstverwal-
tungswahlen im Mittelpunkt.
Am anspruchvollen dreitägigen Programm nahmen zirka 20
Leute teil, mit den verschiedensten Positionen zum Thema. Es
kam schnell heraus, dass sich jedes Dorf, jede Stadt in einer
ganz anderen Situation befindet, deswegen ist es unmöglich den
Stein der Weisen zur Verfügung zu stellen. Ein reales Ziel war
aber durch Rollenspiel und Simulationen den Teilnehmern mehr
Erfahrung bei der Überzeugung der Wähler zu vermitteln. Und
dieser Teil des Programms war sehr erfolgreich.
Was ein herausfordernderes Thema war, war die Darstellung der
Kandidierungsmöglichkeiten. Es wurde schnell klar, dass es in
jedem Komitat ein anderes, oft schwer überschaubares System
gibt. Deshalb war es unmöglich einen klaren Überblick zu geben.
(Mit der ganzen Vorbereitungsphase der Listenstellung werden
wir uns in weiteren Artikeln beschäftigen, wegen der Komplexität
des Themas).
Zurückblickend kann man sagen, dass diese Konferenz erfolg-
reich war, aber es muss noch viel getan werden, um die Jugend-
lichen zu einer Beteiligung an der politischen Arbeit des Ungarn-
deutschtums zu bewegen.
Die JBG war durch Patrik Schwarcz-Kiefer vertreten.
Zwischen zwei Welten
Sonntagsblatt-Umfrage über das Lebensgefühl ungarndeutscher
Auswanderer und EU-Arbeitnehmer
Von Richard Guth
Die Zahlen reichen von 300.000 bis auf über eine Millionen – ge-
meint sind ungarische Staatsbürger, die im Ausland ihr persön-
liches und berufliches Glück suchen. Vorübergehend oder für im-
mer. Statistiken zufolge sind die Auswanderer in der Regel jung
und gut ausgebildet. Hauptziele der EU-Binnenmigranten sind
Deutschland, Großbritanien und Österreich. Unter ihnen finden
sich auch zahlreiche Ungarndeutsche. Fünf von ihnen hat das
Sonntagsblatt bezüglich ihrer Motivation, ihren Erfahrungen, ih-
res ungarndeutschen Hintergrunds und der Lage der deutschen
Minderheit in Ungarn befragt. Die Namen wurden auf Wunsch
der Interviewpartner von der Redaktion geändert.
Susanne stammt aus dem Süden von Ungarn und lebt seit
10 Jahren in Deutschland. Sie arbeitet seit einigen Jahren im
DaF-Bereich und kümmert sich um die sprachliche Integration
von syrischen Bürgerkriegsflüchtlingen. Für sie ist Ungarn-
deutschtum „eine bewusst gewählte Zugehörigkeit zu einer na-
tional, politisch und kulturell geprägten Gemeinschaft oder es ist
etwas, wo man durch die Einflüsse der Umgebung hineinwächst
– vielleicht genetisch bedingt?” Eine Frage, die nach eigenem
Bekunden ihr nie zuvor gestellt worden sei. Ihr Kontakt zum Un-
garndeutschtum bestehe durch ihre Familie väterlicherseits: „Die
„ungarndeutschen” Elemente in meiner Kindheit habe ich nie als
solche aufgefasst, sondern eher als Eigenart meiner Familie. Die
deutsche Sprache war für mich eine komisch klingende, geheime
Sprache, die meine Großeltern und andere Verwandte zu Hau-
se benutzt haben – besonders, wo sie nicht wollten, dass wir
Kinder was davon verstehen. Ich habe Deutsch erst mit 13 in
Bayern gelernt, als ich mit meiner Familie dort ein halbes Jahr
verbracht habe. Erst Jahre später, während meines Germanistik-
studiums, habe ich mein Interesse für die Sprache entdeckt. Die
SoNNTAGSBLATT
Geschichte der Ungarndeutschen ist für mich hauptsächlich eine
Sammlung aus privaten Geschichten, die in meiner Familie über
Familienangehörige erzählt wurden, welche ich als Teil meiner
Geschichte und darüber hinaus als Teil eines größeren histori-
schen Kontextes zu verstehen gelernt habe.” Mit der Frage der
nationalen Identität hätte sie sich erst in Deutschland auseinan-
dergesetzt und für sich folgende Antwort gefunden: „Mir ist meine
ungarische und deutsche – weniger ungarndeutsche – Identität
wichtig.”
Kerstin stammt aus Südtransdanubien und ist ebenfalls väter-
licherseits deutscher Abstammung. Sie lebt gegenwärtig in Wien
und arbeitet im Gesundheitswesen. Ihre Urgroßeltern stammten
aus Freiburg im Breisgau, kamen damals als deutsche Siedler
nach Ungarn und hätten dort „ein neues Leben und eine neue
Existenz aufgebaut.” Kerstin ist ein Trennungskind und ist mit
ihrer madjarischen Mutter aufgewachsen, die die Aneignung der
deutschen Sprache nicht gefördert hätte. „Erst, als ich mich et-
was später wieder mit meinem Papa getroffen habe und wieder
Kontakt aufgenommen habe, dann bin ich mit meinem Ungarn-
deutschtum konfrontiert worden. Dann habe ich angefangen
Deutsch zu lernen, damals war ich schon über 30.”
Bei Peter ist die Beziehung zur deutschen Herkunft viel enger
und intensiver, „mein Ungarndeutschtum prägt mich sehr”, wie er
sagt, stammt er doch sowohl mütterlicher- als auch väterlicher-
seits aus einer ungarndeutschen Familie. Er ist in der Nähe von
Budapest aufgewachsen, ging später nach München und arbei-
tet dort im Marketingbereich.
Sebastian ist in Ungarn aufgewachsen und erst „das Studium
hat” ihn „nach Deutschland gebracht”. Nach seinem Abschluss
habe er wieder etwas Zeit in seinem Heimatland Ungarn gelebt,
ehe er dann nach Österreich ging, um dort „einem meiner Aus-
bildung einschlägigen Beruf” nachzugehen, wie er sagt.
Katharina stammt aus der Nähe von Budapest und ist in einer
ungarndeutschen Familie aufgewachsen. Nach eigenem Bekun-
den ist ihr „der ungarndeutsche Kulturkreis” sehr wichtig, was
ihre aktive Mitgliedschaft in ungarndeutschen Kulturgruppen, die
auch heute noch währt, zeigt. Die im Bildungs- und Erziehungs-
bereich tätige Katharina lebt seit einigen Jahren in Bayern und
auch dort ist sie nach eigenen Angaben im lokalen Kulturleben
aktiv.
Wie die Identitätsmuster, so sind auch die Motivationshintergrün-
de, ins Ausland aufzubrechen, sehr vielfältig. Susanne ist wegen
der Arbeit nach Deutschland gegangen. Sie wollte nach eigenem
Bekunden eine Änderung in ihrem Leben und hätte sich aus prak-
tischen Gründen für Deutschland entschieden. Bei Peter mach-
te das „Zurück zu den Wurzeln” den Ausschlag: „Ich habe mich
schon immer mit Deutschland und Österreich beschäftigt. Da war
es nur eine Frage der Zeit, wann ich den Schritt wage. Natürlich
spielten die besseren Verdienstmöglichkeiten auch eine Rolle -
aber sie waren nicht ausschlaggebend.” Auch die halbungarn-
deutsche Kerstin beschäftigten ähnliche Gedanken: „Ich wollte
immer mal nach Deutschland gehen, die Fragen waren innerlich
immer da: Woher kommen meine Verwandten, meine Urgroßel-
tern? Wie ist es dort, wie sind die Leute?” Über einen deutschen
Freund kam sie dann endlich ins Land der Urahnen, konnte aber
nur ein Jahr bleiben, weil ihre Arbeitserlaubnis abgelaufen sei,
die nicht verlängert worden sei, obwohl sie gerne bleiben woll-
te. Österreich soll eher ein Zufall gewesen sein: Durch ihre Ehe
mit einem Österreicher sei die Alpenrepublik nun zu ihrem Le-
bensmittelpunkt geworden. Auch Katharina gelangte über per-
sönliche Kontakte nach Deutschland: Das Volkstanzensemble
ihres Heimatortes pflegt enge Kontakte zum Trachtenverein der
Partnergemeinde – im Rahmen dieses kulturellen Austausches
habe Katharina ihren Freund kennen gelernt. Auf Empfehlung
ihres Freundes habe sie Kontakt zur Gemeindeverwaltung auf-
genommen, was zur Folge hatte, dass sie nun eine Anstellung
hat. Eine Entscheidung mit Fragezeichen: „Ich bin immer noch
sehr unsicher, aber letztendlich bin ich auf die Entscheidung ge-
kommen, dass eine Berufserfahrung in Deutschland nichts scha-
den kann, und wenn es mir nicht mehr gefällt, kann ich immer
noch in meinen Heimatort ziehen.” Für Sebastian waren die Be-
(Fortsetzung auf Seite 6)
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