SB: Kübeckhausen empfängt seine Besucher mit zwei-
(oder gar drei-) sprachigen Orts- und Straßenschildern so-
wie Informationstafeln, das Dorfzentrum sieht aus wie ein
Musterdorf irgendwo in Westeuropa oder selbst in Deutsch-
land – inwiefern spiegelt es die Realität im Dorf, das ja über
deutsche Wurzeln verfügt, wider?
RM: Das Dorf könnte – selbst dann, wenn er wöllte – nicht leug-
nen, dass es ein deutsches Kolonistendorf ist. Und ich – der sich
ebenso zum Deutschtum bekennt als zum Ungarn- bzw. Madja-
rentum – will es auch nicht tun, ganz im Gegenteil, ich halte es
für wichtig, sich auf die Schätze der Vergangenheit zu stützen. In
den letzten 16 Jahren – seitdem ich Bürgermeister bin – haben
wir zusammen mit unseren Gemeinderäten daran gearbeitet,
das einzigartige, deutsche Gesicht des Dorfes zurückzuholen.
Wir haben alles umgebaut beziehungsweise umgestaltet. Auf
unserem Hauptplatz gibt es ein wunderbares, aber herunterge-
kommenes schwäbisches Haus, das unsere Gemeindeverwal-
tung erst jetzt, nach schwierigen Verhandlungen, erworben hat.
Es ist eine Ruine, aber auch in diesem Zustand wunderschön.
Wir planen die Errichtung eines SchwabenHauses, d. h. eines
Kultur- und Dorftourismuszentrums für Veranstaltungen. Für die
Instandsetzungen haben wir keinen müden Heller, aber ich ver-
traue mich auf die göttliche Fürsorge, so dass von irgendwoher
diese Summe zur Verfügung gestellt wird. Vor einem Jahr ha-
ben wir eine deutsch-ungarische gemeinnützige GmbH mit der
Bezeichnung „Kübecker Manufaktur” ins Leben gerufen, in der
wir die lokale schwäbische Küche pflegen: Wir bieten Speisen,
Süßigkeiten, Musik- und sonstige Veranstaltungen an. Wir ha-
ben jedes Wochenende „Straßenfeste”, die nicht nur von unse-
ren Bürgerinnen und Bürgern, sondern auch von Menschen aus
dem In- und Ausland aufgesucht werden. Es ist sehr wichtig,
dass dort, wo wir sind, Werte retten. Es ist für uns im Dorf sehr
wichtig, dass wir auch im Weiteren auf diese Werte bauen, da wir
noch längst nicht fertig sind.
Foto: Richard Guth
SB: Wie ist es um die verbliebene deutsche Minderheit in
Kübeckhausen sprachlich (Sprachkenntnisse, Möglich-
keiten des Sprachgebrauchs in der Öffentlichkeit, Schule,
Stadtverwaltung und Kirche) und kulturell bestellt?
RM: Praktisch wurden die Schwaben, die den Großteil der Dorf-
bevölkerung bildeten, vertrieben, und wer nicht bereit war, den
hat man zwangsdeportiert. Wie ich bereits erwähnt habe, hat das
kommunistische Regime dafür gesorgt, dass es nicht „in” war,
sich zum Deutschtum zu bekennen, so wurden die Schwaben
vor Ort langsam, aber sicher assimiliert. 2002 haben wir dann
deutschsprachige Schilder an allen kommunalen Einrichtungen
angebracht, aber in den 16 Jahren meines Amtes ist es mir noch
nicht gelungen beispielsweise, dass Deutschunterricht oder Tanz-
und Musikausbildung in der Schule eingeführt wird. Nun besteht
Hoffnung für den Tanzunterricht. Hinsichtlich der Stärkung unse-
rer kulturellen Identität war die Gründung der Kübecker Manu-
faktur (siehe Facebook oder die Internetseite www.kubecker.hu)
von entscheidender Bedeutung. Auch durch den Gastronomie-
betrieb und die Musikveranstaltungen, die dort stattfinden, hat
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sich das einzigartige kulturelle Milieu des Dorfes entscheidend
entwickelt. Viele Besucher sagen, dass sie das Gefühl hätten,
nach Deutschland gekommen zu sein. Ein junger Dorfbewohner,
der vor kurzem zugezogen ist, sagt, Kübeckhausen sei wie ein
Stück Deutschland. Viele sagen, dass der Ort eine Austrahlung,
eine Seele hätte. Es freut mich, wenn sie das so sehen.
Foto: Richard Guth
SB: Wenn man das schmucke Dorfzentrum verlässt und sich
in die Seitenstraßen begibt, so ähnelt Kübeckhausen doch
eher einem ungarischen Dorf auf dem Lande. Kämpft Kü-
beckhausen mit ähnlichen Problemen bzw. wird es mit ähnli-
chen Herausforderungen konfrontiert wie die Ortschaften in
der Umgebung oder im ländlichen Ungarn wie zum Beispiel
der Abwanderung, der ungünstigen demografischen Situa-
tion oder auch mit eingeschränkten Arbeitsmöglichkeiten?
RM: Wenn ich in Deutschland oder Österreich bin und mich in
die Seitengasse eines kleinen Dorfes verirre, dann sieht es dort
auch nicht so aus wie auf dem Hauptplatz. Auch hier bei uns
gibt es wohlhabendere Menschen, deren Haus und Hof sich im
tadellosen Zustand befindet, und es gibt auch welche, die in
bescheideneren Verhältnissen leben. Beide Gruppen von Men-
schen sind für uns gleichermaßen wichtig. Was die Gemeinde-
verwaltung von den Menschen erwartet, ist die Akzeptanz der
Ordnung. Den Platz vor dem Haus muss jeder in Ordnung hal-
ten, ansonstens gibt es Ärger mit dem Ordnungsamt. Wir haben
diesbezüglich keine wirklich schlechten Erfahrungen gesammelt,
im vergangenen Jahrzehnt sind wenige Bußgeldbescheide er-
gangen. Ziel ist nicht die Bestrafung, sondern das Anlernen des
Bestrebens danach anspruchsvoll zu sein. Das Durchschnitts-
alter der Bewohner beträgt 38 Jahre, was wesentlich niedriger
ist als in anderen, ähnlich großen Orten. Wir hielten es wichtig,
neben der Bautätigkeit auch Dorfmarketing zu betreiben. Viele
sind zugezogen, sogar welche aus Budapest. Wir sind ein Dorf
der Vielfalt geworden, über besondere Programme, was dazu
geführt hat, dass viele Jugendliche auf uns aufmerksam wur-
den, das Dorf liebgewonnen haben und zu uns gezogen sind.
Auf persönliche Kontakte legen wir besonderen Wert, denn dank
der Verbreitung der sozialen Medien leidet dieser Bereich nicht
nur woanders in der Welt, sondern auch bei uns in Ungarn. Es
mangelt an qualitativ hochwertiger Freitzeitbeschäftigung, der
gegenseitigen Beachtung. Wir haben eine ganze Reihe ziviler
Organisationen im Ort, deren Aufgabe es ist, die Leute wachzu-
rütteln. Arbeitslosigkeit existiert praktisch kaum, oder lediglich in
latenter Form, denn Ungarn hat sich entleert. 600.000 – 700.000
Landsleute sind in den Westen geflohen vor den hiesigen ge-
sellschaftlichen Problemen, oder wie ich glaube, vielmehr vor
der Aussichtslosigkeit. Segedin, die nächstgelegene Großstadt,
saugt die verfügbaren Arbeitskräfte auf. Unser Problem besteht
eher darin, dass es, wenn es so weitergeht, keinen geben wird,
der als ABMler (ung. közfoglalkoztatott, R. G.) den Rasen mäht,
weil die Menschen wegen den besseren Verdienstmöglichkeiten
in die freie Wirtschaft wechseln.
(Fortsetzung auf Seite 20)
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