Sonntagsblatt 4/2018 | Page 19

SB: Kübeckhausen empfängt seine Besucher mit zwei- (oder gar drei-) sprachigen Orts- und Straßenschildern so- wie Informationstafeln, das Dorfzentrum sieht aus wie ein Musterdorf irgendwo in Westeuropa oder selbst in Deutsch- land – inwiefern spiegelt es die Realität im Dorf, das ja über deutsche Wurzeln verfügt, wider? RM: Das Dorf könnte – selbst dann, wenn er wöllte – nicht leug- nen, dass es ein deutsches Kolonistendorf ist. Und ich – der sich ebenso zum Deutschtum bekennt als zum Ungarn- bzw. Madja- rentum – will es auch nicht tun, ganz im Gegenteil, ich halte es für wichtig, sich auf die Schätze der Vergangenheit zu stützen. In den letzten 16 Jahren – seitdem ich Bürgermeister bin – haben wir zusammen mit unseren Gemeinderäten daran gearbeitet, das einzigartige, deutsche Gesicht des Dorfes zurückzuholen. Wir haben alles umgebaut beziehungsweise umgestaltet. Auf unserem Hauptplatz gibt es ein wunderbares, aber herunterge- kommenes schwäbisches Haus, das unsere Gemeindeverwal- tung erst jetzt, nach schwierigen Verhandlungen, erworben hat. Es ist eine Ruine, aber auch in diesem Zustand wunderschön. Wir planen die Errichtung eines SchwabenHauses, d. h. eines Kultur- und Dorftourismuszentrums für Veranstaltungen. Für die Instandsetzungen haben wir keinen müden Heller, aber ich ver- traue mich auf die göttliche Fürsorge, so dass von irgendwoher diese Summe zur Verfügung gestellt wird. Vor einem Jahr ha- ben wir eine deutsch-ungarische gemeinnützige GmbH mit der Bezeichnung „Kübecker Manufaktur” ins Leben gerufen, in der wir die lokale schwäbische Küche pflegen: Wir bieten Speisen, Süßigkeiten, Musik- und sonstige Veranstaltungen an. Wir ha- ben jedes Wochenende „Straßenfeste”, die nicht nur von unse- ren Bürgerinnen und Bürgern, sondern auch von Menschen aus dem In- und Ausland aufgesucht werden. Es ist sehr wichtig, dass dort, wo wir sind, Werte retten. Es ist für uns im Dorf sehr wichtig, dass wir auch im Weiteren auf diese Werte bauen, da wir noch längst nicht fertig sind. Foto: Richard Guth SB: Wie ist es um die verbliebene deutsche Minderheit in Kübeckhausen sprachlich (Sprachkenntnisse, Möglich- keiten des Sprachgebrauchs in der Öffentlichkeit, Schule, Stadtverwaltung und Kirche) und kulturell bestellt? RM: Praktisch wurden die Schwaben, die den Großteil der Dorf- bevölkerung bildeten, vertrieben, und wer nicht bereit war, den hat man zwangsdeportiert. Wie ich bereits erwähnt habe, hat das kommunistische Regime dafür gesorgt, dass es nicht „in” war, sich zum Deutschtum zu bekennen, so wurden die Schwaben vor Ort langsam, aber sicher assimiliert. 2002 haben wir dann deutschsprachige Schilder an allen kommunalen Einrichtungen angebracht, aber in den 16 Jahren meines Amtes ist es mir noch nicht gelungen beispielsweise, dass Deutschunterricht oder Tanz- und Musikausbildung in der Schule eingeführt wird. Nun besteht Hoffnung für den Tanzunterricht. Hinsichtlich der Stärkung unse- rer kulturellen Identität war die Gründung der Kübecker Manu- faktur (siehe Facebook oder die Internetseite www.kubecker.hu) von entscheidender Bedeutung. Auch durch den Gastronomie- betrieb und die Musikveranstaltungen, die dort stattfinden, hat SoNNTAGSBLATT sich das einzigartige kulturelle Milieu des Dorfes entscheidend entwickelt. Viele Besucher sagen, dass sie das Gefühl hätten, nach Deutschland gekommen zu sein. Ein junger Dorfbewohner, der vor kurzem zugezogen ist, sagt, Kübeckhausen sei wie ein Stück Deutschland. Viele sagen, dass der Ort eine Austrahlung, eine Seele hätte. Es freut mich, wenn sie das so sehen. Foto: Richard Guth SB: Wenn man das schmucke Dorfzentrum verlässt und sich in die Seitenstraßen begibt, so ähnelt Kübeckhausen doch eher einem ungarischen Dorf auf dem Lande. Kämpft Kü- beckhausen mit ähnlichen Problemen bzw. wird es mit ähnli- chen Herausforderungen konfrontiert wie die Ortschaften in der Umgebung oder im ländlichen Ungarn wie zum Beispiel der Abwanderung, der ungünstigen demografischen Situa- tion oder auch mit eingeschränkten Arbeitsmöglichkeiten? RM: Wenn ich in Deutschland oder Österreich bin und mich in die Seitengasse eines kleinen Dorfes verirre, dann sieht es dort auch nicht so aus wie auf dem Hauptplatz. Auch hier bei uns gibt es wohlhabendere Menschen, deren Haus und Hof sich im tadellosen Zustand befindet, und es gibt auch welche, die in bescheideneren Verhältnissen leben. Beide Gruppen von Men- schen sind für uns gleichermaßen wichtig. Was die Gemeinde- verwaltung von den Menschen erwartet, ist die Akzeptanz der Ordnung. Den Platz vor dem Haus muss jeder in Ordnung hal- ten, ansonstens gibt es Ärger mit dem Ordnungsamt. Wir haben diesbezüglich keine wirklich schlechten Erfahrungen gesammelt, im vergangenen Jahrzehnt sind wenige Bußgeldbescheide er- gangen. Ziel ist nicht die Bestrafung, sondern das Anlernen des Bestrebens danach anspruchsvoll zu sein. Das Durchschnitts- alter der Bewohner beträgt 38 Jahre, was wesentlich niedriger ist als in anderen, ähnlich großen Orten. Wir hielten es wichtig, neben der Bautätigkeit auch Dorfmarketing zu betreiben. Viele sind zugezogen, sogar welche aus Budapest. Wir sind ein Dorf der Vielfalt geworden, über besondere Programme, was dazu geführt hat, dass viele Jugendliche auf uns aufmerksam wur- den, das Dorf liebgewonnen haben und zu uns gezogen sind. Auf persönliche Kontakte legen wir besonderen Wert, denn dank der Verbreitung der sozialen Medien leidet dieser Bereich nicht nur woanders in der Welt, sondern auch bei uns in Ungarn. Es mangelt an qualitativ hochwertiger Freitzeitbeschäftigung, der gegenseitigen Beachtung. Wir haben eine ganze Reihe ziviler Organisationen im Ort, deren Aufgabe es ist, die Leute wachzu- rütteln. Arbeitslosigkeit existiert praktisch kaum, oder lediglich in latenter Form, denn Ungarn hat sich entleert. 600.000 – 700.000 Landsleute sind in den Westen geflohen vor den hiesigen ge- sellschaftlichen Problemen, oder wie ich glaube, vielmehr vor der Aussichtslosigkeit. Segedin, die nächstgelegene Großstadt, saugt die verfügbaren Arbeitskräfte auf. Unser Problem besteht eher darin, dass es, wenn es so weitergeht, keinen geben wird, der als ABMler (ung. közfoglalkoztatott, R. G.) den Rasen mäht, weil die Menschen wegen den besseren Verdienstmöglichkeiten in die freie Wirtschaft wechseln. (Fortsetzung auf Seite 20) 19