SB: Was kann ein Bürgermeister - nicht zuletzt dank der
zentralistischen Ausrichtung der ungarischen Politik ohne
eigene Mittel – für seine Gemeinde tun? Einen Teil Ihrer Be-
mühungen sieht man, aber alles sicherlich nicht.
RM: An den Bestrebungen der Regierung ist es abzulesen, dass
sie alles zentralisieren will, in welchem System der Mensch dann
immer weniger zählt, in dessen Folge die Möglichkeiten, eigen-
ständig zu handeln, immer geringer werden. Ich war 15, als ich
in die Politik eingestiegen bin. In der Wendezeit hatte ich große
Erwartungen. Ich habe mir ein solches Land gewünscht wie Ös-
terreich. Heute entfernen wir uns immer mehr von diesem Ideal.
Ich bin ein felsenfester Anhänger des Selbstverwaltungssys-
tems. Es gab sowohl in der ungarischen als auch der deutschen
Geschichte Phasen, in den andere gesagt haben, wen oder was
das Volk zu lieben oder mögen hat und wen nicht, oder wen es
zu hassen hat. Es wurde deutlich, dass es die falsche Richtung
war, der Menschen, Schicksale zum Opfer fielen. Das Gute an
der Subsidiarität ist – dazu bekenne ich mich -, dass die kleinste
Dorfgemeinschaft oder die autochtonen Basisgemeinschaften
die Freiheit haben, zu planen, zu bauen, ihr Schicksal in ihre
eigene Hand zu nehmen. Die Stimmungslage eines Volkes kann
nicht gut sein, wenn man es im permanenten Angstzustand ver-
harren lässt und wenn es die Atmosphäre des Unfrieden und des
Hasses umhüllt. Ungarn der vielen Hoffnungen und das Land,
das den Eisernen Vorhang abgerissen hat, ist ein solcher Ort
geworden.
SB: Sie pflegen rege Kontakte zu Nachbarortschaften auf
der serbischen und rumänischen Seite – welche Bedeutung
hat diese Kooperation aus Ihrer Sicht?
RM: Aufgrund unserer geopolitischen Lage (am Dreiländereck
gelegen) haben wir zwei Partnergemeinden einige Kilometer von
uns entfernt, Altbeba/Beba Veche in Rumänien und Rabe in Ser-
bien, in der Vojvodina. In Richtung Rabe wird in Kürze ein Grenz-
übergang errichtet, aus EU-Geldern in Höhe von 5 Millionen
Euro, in Richtung Rumänien lässt eine Eröffnung – bereits seit
einiger Zeit geplant – auf sich warten. Seit 1997 veranstalten wir
im Geiste der europäischen Zusammenarbeit jedes Jahr am letz-
ten Maiwochenende ein Dorf- und Grenzeröffnungsfest, dessen
Besonderheit heutzutage ist, dass sich unsere Regierung immer
mehr gegen die Kooperation und die europäische Partnerschaft
sperrt. In gewisser Hinsicht als Anhänger des Atlantischen Bünd-
nisses sehe ich in der deutschen Orientierung die Möglichkeit
der Fortentwicklung, deshalb erlebe ich die Neuorientierung Un-
garns in Richtung autoritärer Regime schmerzhaft.
es wohl, dass ich selbst so nicht imstande bin, vor meinem Herrn
zu stehen, deswegen brauche auch ich die göttliche Gnade, Er-
barmung, für die ich tagtäglich niederknie. Mit dem Gemeinderat
arbeiten wir in diesem Sinne. Wir betrachten unseren Auftrag als
ein Dienst, nicht als irgendwelches unveräußerliches feudales
Privileg. Diese politische „Philosophie” trägt sicherlich fassbare
und sichtbare Früchte im Ort, weswegen auf Kübeckhausen in
der Tat viele als Musterdorf blicken. Für uns ist diese Sichtweise
völlig selbstverständlich, und ich bete dafür, dass auch in Ungarn
die Zeiten hereinbrechen, in den die zentrale Anliegen der Regie-
rung nicht die Aneignung der politischen Macht und die Klientel-
politik sein werden, sondern der Dienst an der Allgemeinheit und
der Gesamtgesellschaft. In einer Gesellschaft, die jegliche Hoff-
nung verloren hat, wird man nur so eine neue Zukunft planen und
bauen können. Meine persönliche Erfahrung ist, dass das, was
im Kleinen funktioniert, auch im Großen funktionieren würde.
SB: Herr Bürgemeister, vielen Dank für das Gespräch!
RM: Ich danke Ihnen für die Möglichkeit, ich habe mich ge-
ehrt gefühlt.
Das Gespräch geht langsam zu Ende, und der Reisende nimmt
Abschied vom südlichsten deutschen Dorf in Ungarn, mit der Er-
kenntnis, dass auch dieser Besuchstag an Erkenntnissen und
Einblicken reich war.
Ansichten - Einsichten
s
Interview mit dem ungarndeutschen
Parlamentsabgeordneten
Emmerich Ritter
Leider ist ein Interviewtermin mit dem deutschen Abgeordneten
Emmerich Ritter in den vergangenen Monaten nicht zustandege-
kommen. Da das SB aber gerne auch Herrn Ritters Standpunkt
bezüglich der Lage der deutschen Minderheit in Ungarn vorstel-
len möchte, übernehmen wir das Interview, das auf zentrum.hu
erschienen ist.
SB: Kann man sagen, dass Kübeckhausen ein Musterdorf
ist?
RM: Als evangelikaler Christ und geistiger Führer lautet mein
biblischer Leitspruch, „alle eure Dinge lasset in der Liebe ge-
schehen”, d. h. all meine Tätigkeit soll erfüllt sein vom liebevollen
Bauen, dem Vor-Auge-Halten der Interessen der Gemeinschaft
und der Liebe ohne Vorurteile, so dass die Motivation, das Herz
und die Hand sauber bleiben, d. h. dass es beispielsweise keine
Korruption gibt. Der Spießrutenlauf einer Gesellschaft, einer Ge-
meinschaft, einer Gruppe beginnt immer dann, wenn das gute
Ansinnen Schaden nimmt, d. h. wenn egoistische Einzelinteres-
sen die erklärten guten Ziele überschreiben. Ich selbst beschäf-
tige mich nicht damit, was mit mir passiert oder was für mich gut
ist, sondern damit, dass ich mich, solange ich hier als Bürger-
meister diene, als Verwalter betätige. Der Verwalter muss wis-
sen, dass ihm nichts gehört, sondern dass er lediglich Verwalter
der ihm anvertrauten Güter ist, nicht für immer, sondern auf Zeit.
Ein solcher Auftrag ist die Kanzlerschaft von Angela Merkel oder
ebenso die Ministerpräsidentschaft von Viktor Orbán. Auch dann,
wenn es ihnen gar nicht bewusst ist. Und ein solcher Auftrag ist
auch mein Dorfbürgermeisteramt, das ich so bekleiden will, so-
lange es möglich ist, dass ich weiß: Eines Tages werde ich vor
dem Herrn auch Rechenschaft ablegen müssen über die mir an-
vertrauten Talente, Menschen und alle anderen Dinge. Ich weiß
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Nach vier Jahren Dienst als Parlamentssprecher setzt sich Em-
merich Ritter seit den Parlamentswahlen 2018 als Abgeordneter
für die Interessen der Ungarndeutschen ein. Sein Mandat erhielt
er als Spitzenkandidat der Landesliste der Landesselbstverwal-
tung der Ungarndeutschen. Wir unterhielten uns mit ihm über
Herkunft, Familie, Hobby und Arbeit.
Über die Kindheit
“Geboren wurde ich in Wudersch, in einer fast rein ungarn-
deutschen Gemeinde, wo viele – so auch zum Beispiel meine
Großeltern – nicht einmal ungarisch konnten, aber dies hatten
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