sprechen können, jedenfalls behaupten sie es als Erwachsene.
Was in dem Kopf des Kindes vorgeht, was seine Muttersprache
blockiert, weiß ich nicht. Genauso wenig verstehe ich es, was
passiert ist, dass die Generation meiner Kinder die slowakische
Sprache in der ungarischen Schule erlernen konnte, die jetzige
angeblich aber nicht mehr (man soll natürlich nicht verallgemei-
nern). Dieses Problem sollte man dennoch in den ungarischen
Schulen lösen. Denn der Verlust/die Leugnung der Mutterspra-
che ist ein zu hoher Preis für Slowakischkenntnisse. Wer wird
sie sprechen, wenn nicht wir?! Ist es um unsere Sprache nicht zu
schade?! Bereichert sie nicht die Multikultipalette?!
Die Großeltern sind traurig, aber weil sie liebende Menschen
sind, bemühen sie sich um Erklärungen, Ablöse für ihre Kinder,
Enkelkinder, und langsam fangen sie an zu glauben, dass es gut
so ist. Und wer bin ich, ihnen deswegen Vorwürfe zu machen?!
Das ist auch nicht meine Aufgabe.
Aber ich bitte sie, mir nichts vorzuwerfen, wenn ich über all das
spreche, denn ich muss es tun, wenn wir verstehen wollen, war-
um wir immer weniger werden. Denn darin sind wir uns vielleicht
einig, dass das eine Tatsache ist.
SB: Herr Bürgermeister, laut Wikipedia sind Sie - mütterli-
cherseits - selbst Ungarndeutscher bzw. ungarndeutscher
Herkunft. Erzählen Sie bitte ein wenig über Ihre Familienge-
schichte!
RM: Meine Urgroßeltern mütterlicherseits kamen um 1850 zu-
sammen mit den anderen angesiedelten Schwaben nach Kü-
beckhausen. Peter Feldhaus und Barbara Grossberger, an die
sich meine 98 Jahre alte Großmutter väterlicherseits noch er-
innern kann, sprachen kein Wort Ungarisch. 1946, infolge der
Vergeltung nach dem Zweiten Weltkrieg, wurden auch sie nach
Deutschland vertrieben, unsere Familie wusste bzw. weiß es bis
heute nicht, was aus ihnen geworden ist, wo sie ruhen. Übrigens
haben unsere Großeltern ihr Leid in sich geschlossen. Meine
Mutter und ihre Geschwister haben wenig von der Familientragö-
die gehört und erfahren. Sohn der genannten Urgroßeltern war
mein Großvater, der nach 1946 unter mysteriösen Umständen zu
seiner Familie, zu seinen zehn Kindern zurückkehren konnte. So
stehe ich jetzt hier, als Vertreter der vierten Generation meiner
Familie.
In unserer nächsten Ausgabe (SB 01-2019) werden Sie ein
längeres Interview mit der Autorin des Kommentars lesen
können.
Reisenotizen spezial (2)
Kübeckhausen
Von Richard Guth
Foto: Richard Guth
SB: Wie sehen Sie die gegenwärtige Situation der deutschen
Minderheit in Ungarn?
Foto: Richard Guth
Der Weg von Segedin ins kleine Dorf am nordwestlichsten Zipfel
des Banats, das kurz vor den Aprilwahlen im ganzen Land Be-
kanntheit erlangte, führt über Vororte der Theißmetropole, den
rasch Wiesen und Felder folgen. „Willkommen in unserem Dorf”
steht am Dorfeingang, überall werden die Straßen von zwei- be-
ziehungsweise stellenweise dreisprachigen Schildern gesäumt.
In der Mitte des Dorfes angekommen hat der Reisende das Ge-
fühl, in einem deutschen Dorf angekommen zu sein: Die zwei-
sprachigen Schilder sind nun weiterhin sichtbar, der Dorfplatz
um den künstlich angelegten Teich mit Musikpavillon wird von
renovierten Gebäuden umgeben, der Rasen ist frisch gemäht,
man denkt auch an die Busreisenden, die man über eine elekt-
ronische Anzeigetafel über Abfahrtszeiten informiert. Das auffäl-
ligste Gebäude auf dem Hauptplatz ist aber eine Gastwirtschaft,
die den Namen Kübecker Manufaktur trägt. Ich kehre ein, denn
ich werde bereits erwartet: vom Bürgermeister des Ortes, dem
ungarndeutschen Dr. jur. Robert Molnár. Beim guten Bier, wie
es sich gehört, und der Spezialität des Hauses, der Gebäckaus-
wahl, kann das Gespräch mit dem Ortsvorsteher beginnen.
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RM: Die ungarländische deutsche Minderheit ist eine von Schick-
sal getroffene Volksgruppe. Das kommunistische/sozialistische
Regime war erfolgreich bestrebt, den Kern der Identität der
hier gebliebenen Restdeutschen auszulöschen. Mein Groß-
vater musste seinen Namen madjarisieren lassen. So wurde er
aus Feldhaus Földházi. Zusammen mit den Kulaken wurden sie
„volksfremd”, „nazistisch” und „Volksbündler” bezeichnet, obwohl
sie nichts damit zu tun hatten. Vor etlichen Jahren habe ich in
Deutschland dort lebende Kübeckhausener aufgesucht. Viele
von ihnen sind bereits tot. Ich habe mich mit einer älteren Dame
über die alten Zeiten unterhalten. Es hat mich erschüttert, was
sie erzählt hat: „Herr Bürgermeister, wir mussten deshalb Kü-
beckhausen verlassen, weil wir Schwaben sind, keine Madjaren.
Als wir mit unserer Bündel des Gewichts von 30 kg in Deutsch-
land ankamen, sagte man zu uns: „Nun, hier sind die ungari-
schen Zigeuner!” Heute ist die Lage der deutschen Minderheit
anders. Sie ist im Parlament vertreten, was ja eher symbolischer
Natur ist, aber es gibt sie. Was aber wichtiger ist, dass wir, so
meine Beobachtungen, 30 Jahre nach der Wende anfangen, un-
sere Identität anzuerkennen. Das trifft auch auf mich zu, ich fühle
mich immer mehr als (Ungarn-) Deutscher. Es gibt immer mehr
deutsche Kulturgruppen, Orchester, Programme. Was ich erfreu-
lich finde, gerade in Zeiten, in den die offizielle Regierungspolitik
oft behauptet(e), dass Ungarn kein multikulturelles Land sei. Es
ist eines, und daran, neben den anderen Nationalitäten, haben
die Ungarndeutschen den größten Anteil.
SoNNTAGSBLATT