schritten. Im schulischen Bereich ist Deutsch als Fremdsprache
nicht die beliebteste, aber viele Sprachschulen in der Erwach-
senenbildung helfen den Menschen, sich Deutsch anzueignen.
In der Ukraine, vor allem in der Ost- und Südukraine, in Kiew so-
wie in Transkarpatien (Karpatoukraine) leben heute noch 33.000
Deutsche, die als nationale Minderheit anerkannt sind. Wie in
Russland gründete ab 1990 die Gesellschaft „Wiedergeburt“
rund 60 deutsche Begegnungszentren, deren Arbeit vom Dach-
verband Rat der Deutschen der Ukraine koordiniert wird. Die
Vermittlung der Muttersprache beschränkt sich auf Sprachkurse,
die die jeweiligen Begegnungszentren der deutschen Minder-
heiten anbieten. An etwa jeder zweiten staatlichen Schule kann
Deutsch als zweite Fremdsprache erlernt werden.
Wie schon erwähnt haben die Angehörigen der deutschen Min-
derheit in Rumänien eine Sonderstellung in Mittel-Ost-Europa
inne, da hier aufgrund der historischen Entwicklung während der
gesamten Periode, wenn auch mit einigen Einschränkungen in
den Zeiten der kommunistischen Diktatur, ein deutschsprachiges
Bildungswesen vorhanden war. Des Weiteren fand in Rumänien
zwar eine sog. Russlanddeportation statt – ca. 70.000 Personen
wurden in die Sowjetunion deportiert, ca. 15 % kehrten nicht wie-
der zurück –, sie wurden aber nach dem Zweiten Weltkrieg nicht
vertrieben. Direkt nach der Wende etablierte sich das Demokra-
tische Forum der Deutschen in Rumänien (DFDR) als Interes-
senvertretung und organisierter Verband der deutschen Minder-
heit. Bei der letzten Volkszählung im Frühjahr 2002 gaben über
60.000 Einwohner Rumäniens an, der deutschen Minderheit an-
zugehören. 1930 waren es noch 600.000. Die meisten siedel-
ten Anfang der 1990er Jahre in die Bundesrepublik Deutschland
aus, so dass nun der zuvor erwähnte durchgehende Unterricht
vom Kindergarten bis zum Lyzeum (Gymnasium) in deutscher
Sprache häufig von Kindern rumänischer oder ungarischer El-
tern wahrgenommen wird. Nichtsdestotrotz ist in Siebenbürgen
und im Banat die früher natürliche Mehrsprachigkeit der Men-
schen z. T. noch vorhanden.
Die zwei größten deutschen Minderheiten in Ost-Mittel-Europa
gibt es in Polen und Ungarn, die Ausgangslage ist aber unter-
schiedlich. In Ungarn begann schon ab den 1980er Jahren und
nach den sog. „schweren Jahrzehnten“ der Vertreibung und Ent-
rechtung ein positiver Trend von zweisprachigen Klassenzügen
in Grundschulen und Gymnasien, in Polen war bis zur politischen
Wende der Deutschunterricht in den von den Deutschen be-
wohnten Regionen jedoch unmöglich. Es ist schwer, eine kon-
krete Mitgliederanzahl der deutschen Minderheit in ganz Polen
anzugeben. In verschiedenen Quellen findet man eine Zahl
von 180.000-400.000 Personen. Die deutsche Minderheit wird
sowohl im polnischen Parlament als auch auf der kommunalen
Ebene vertreten. Am besten gestaltet sich dies in der Wojewod-
schaft Oppeln, wo in vielen Ortschaften die deutsche Minderheit
eigentlich die Mehrheit bildet. Der Verband der Deutschen Sozi-
al-Kulturellen Gesellschaften (VDG) bildet die Dachorganisation
der vielen einzelnen deutschen Bezirksorganisationen, die sich
nach 1990 gebildet haben. Der VDG vertritt die deutsche Minder-
heit in Polen und ihre Belange sowohl vor der deutschen als auch
vor der polnischen Regierung. In den letzten Jahren bemühte
sich der VDG, die Neubelebung der deutschen Sprache im Bil-
dungsbereich zu unterstützen. Laut den Angaben der Schulauf-
sichtsbehörden wird Deutsch als Minderheitensprache aktuell
in der Woiwodschaft Oppeln in 148 Kindergärten, 196 Grund-
schulen und 57 Gymnasien mit insgesamt 27.484 Schülern, in
der Woiwodschaft Schlesien insgesamt in 111 Schuleinrichtun-
gen mit 8.048 Schülern wie auch in der Woiwodschaft Ermland
und Masuren in einem Kindergarten, sieben Grundschulen und
drei Gymnasien unterrichtet. Obwohl dies positive Signale sind,
nimmt die absolute Mehrheit dieser Schüler immer noch nur das
schmalste Angebot des Minderheitenschulwesens in Polen (zu-
sätzlicher Fremdsprachenunterricht) in Anspruch. Nur in einzel-
16
nen Fällen ist der Unterricht zweisprachig. Dieses System reicht
nach Meinung vieler Experten sowie des Europarates nicht aus,
die Folgen des vollkommenen Verbots des Deutschunterrichts
rückgängig zu machen. Die Tatsache, dass der polnische Staat
nur relativ eingeengte Möglichkeiten im Rahmen des Bildungs-
gesetzes zulässt, erschwert diese Arbeit, aber die neuen Impul-
se, z. B. neugeründete deutschsprachige Kindergärten, lassen
auch Hoffnung aufkommen.
In Ungarn führte die Verabschiedung des Minderheitengesetzes
1993 und die darauf folgende neue Struktur der sog. Minderhei-
tenselbstverwaltungen (Körperschaften, die die kulturelle Auto-
nomie durch Wahlen verwirklichen und z. B. Schulträgerinnen
werden können) führten zu einer Neubelebung der Minderheite-
naktivitäten in allen Lebensbereichen. Die Vertreibung von etwa
200.000 Deutschen in den Jahren 1946-48 erfolgte aufgrund
der Daten der amtlichen (und nicht anonymen) Volkszählung
aus dem Jahre 1941. Die Daten der Volkszählungen von 1990,
2001 und 2011 zeigten allerdings im Falle der deutschen Min-
derheit eine steigende Tendenz. Im Vergleich zur Volkzählung
1990 wuchs die Anzahl derer, die im Jahre 2001 als Nationalität
Deutsch angegeben hatten, von ca. 36.000 auf 62.000, und fast
90.000 Personen gaben eine starke Bindung zur Kultur der deut-
schen Minderheit an. Der positive Trend wurde nahtlos fortge-
setzt und nach dem, schon im Jahre 2001 registrierten, kraftvol-
len Plus wuchs die Anzahl derjenigen ungarischen Staatsbürger,
die als Nationalität Deutsch angegeben hatten von 62.000 im
Jahre 2011 auf beachtliche 132.000 Personen an. Die Bildungs-
strategie der Landesselbstverwaltung der Ungarndeutschen
(LdU) zielt darauf, als Verwirklichung der kulturellen Autonomie
in wichtigen regionalen Zentren eigene Bildungsinstitutionen auf-
rechtzuerhalten. Dieser institutionelle Hintergrund ist für die Neu-
belebung der deutschen Sprache und Kultur unentbehrlich. Es
ist interessant, dass die Eltern häufig fordern, dass die Kinder
oder Enkelkinder in der Schule die Standardsprache erlernen
sollen. Vor allem in manchen Intelligenzkreisen der deutschen
Minderheit kann man einen demonstrativen Gebrauch diesbe-
züglich beobachten, meistens verbunden mit minderheitenspe-
zifischen öffentlichen Situationen. Ob dieses neue Vordringen
der deutschen Standardsprache zur Folge hat, dass dieselbe als
eine Art neue Erst- oder Zweitsprache funktionieren kann, bleibt
abzuwarten.
SCHLUSSFOLGERUNGEN
Minderheiten definieren sich auch über ihre Sprache. Bei den
hier dargestellten deutschen Minderheiten wirft die geschilderte
Situation folgende Frage auf: Kann die ehemalige Mutterspra-
che bzw. eine andere Varietät derselben in den Minderheite-
ninstitutionen neu belebt und erlernt werden? Dies funktioniert
laut unterschiedlicher Meinungen bei Einzelpersonen relativ ein-
fach, wenn man aus Nostalgiegründen bezüglich der Vorfahren
und dergleichen dies vorantreibt. Bei ganzen Völkern oder Min-
derheiten ist die Frage allerdings komplizierter. Die deutschen
Minderheiten in Mittel- und Osteuropa sind ja z. T. eine Sprach-
minderheit, z. T. aber auch eher eine Gesinnungsminderheit, so
dass breite Schichten lediglich für die Nachkommen oder für ihre
eigene Person die Kompetenz der deutschen Sprache (wieder-)
herstellen wollen. Falls der Sprachwechsel in der Mehrheitsspra-
che nicht komplett stattfindet - und diese Möglichkeit besteht bei
den Deutschen in Mittel-Ost-Europa ohne Zweifel, wenn die An-
zahl der Sprachkompetenzträger vergrößert werden kann -, ist
die Antwort auf unsere Frage ein eindeutiges „Ja“. Allerdings sind
solche Neubelebungen von Sprachen nur erfolgreich, wenn eine
breite Schicht der Minderheit dahinter steht und sie vorantreibt
und eine gut ausgebildete, zweisprachige, von den öffentlichen,
staatlichen Institutionen unterstützte gesellschaftliche Grup-
pe von Intelligenzlern und „Bürokraten“ im positiven Sinne die
Sache ebenfalls unterstützt. In den meisten sog. Minderheiten-
schulen und -kindergärten in den betroffenen Ländern werden
SoNNTAGSBLATT