Mikrokosmos Ost- und Mitteleuropa
s
Deutsche Volksgruppen
Die deutsche Sprache
im Karpatenbecken
(Geschichte, aktuelle Situation und Entwicklungen)
Von Nelu Bradean-Ebinger
Teil 3
3. AKTUELLE LAGE DER DEUTSCHEN MINDERHEITEN
IM KARPATENBECKEN
Deutsche ethnische Minderheiten – wieso ist dieses Thema
im 21. Jahrhundert noch wichtig? Diese Frage wird in der Öf-
fentlichkeit auch in Deutschland häufig gestellt, da viele Bür-
ger weder im schulischen Unterricht noch in den Medien über
diese Problematik ausreichend und ausgewogen informiert
werden. Wenn man aber bedenkt, dass nach Flucht und Ver-
treibung der Deutschen aus Mittel- und Osteuropa über 10
Millionen Menschen und ihre Nachkommen in Deutschland le-
ben, ist es wichtig, die in ihren Heimatländern gebliebenen An-
gehörigen von deutschen Minderheiten zu unterstützen und
zu fördern und über ihr aktuelles Schicksal mehr zu wissen.
Unter den deutschen Minderheiten gibt es drei unterschiedliche
Gruppen: Die deutschen Minderheiten in Westeuropa, begüns-
tigt von der allgemeinen Entwicklung in einer stabilen Lage, die
deutschen Minderheiten in Ostmitteleuropa, die seit der politi-
schen Wende 1989 versuchen, ihr Schicksal zu verbessern, und
die deutschen Minderheiten in den Nachfolgestaaten der ehe-
maligen Sowjetunion, die sich in unterschiedlichen Phasen des
Demokratieprozesses befinden. Sehr unterschiedlich ist auch
die zahlenmäßige Stärke und regionale Siedlungsstruktur der
jeweiligen deutschen Minderheiten. Während in Polen, Ungarn,
Russland und in Kasachstan noch jeweils weit über 100.000
Deutsche leben, sind es in einigen Nachfolgestaaten der ehema-
ligen Sowjetunion wie Armenien oder Aserbaidschan nur noch ei-
nige Hundert. Insgesamt dürften jedoch allein im Osten Europas
noch über eine Million Deutsche leben. Auch in Mittel-Ost-Eu-
ropa gibt es deutsche Minderheiten, die zahlenmäßig und von
der Organisationsstruktur her relativ stark sind. Hier seien die
Deutschen in Polen und Ungarn bzw. in einer gewissen Sonder-
stellung die in Rumänien erwähnt. In allen anderen Staaten be-
läuft sich die Anzahl nach Vertreibung und Verschleppung nach
dem Zweiten Weltkrieg auf einige Tausend. Diese historischen
Prozesse spiegeln sich auch beim Erhalt der deutschen Spra-
che und Kultur wider. Es ist einleitend wichtig zu erwähnen, dass
die traditionelle Rolle der deutschen Sprache vor allem auf dem
Gebiet der ehemaligen Habsburg-Monarchie (also zuletzt Öster-
reich-Ungarn) bis 1918 einer offiziellen Staatsprache nahestand,
da die Intelligenz und die Eliten in diesen Ländern und Regio-
nen (die heutige Tschechische Republik, Slowakei, Slowenien,
Schlesien, Karpato-Ukraine, Siebenbürgen, Banat bzw. Ungarn)
Deutsch, unabhängig von ihrem ethnischen Hintergrund, meis-
tens auf einem hohen Niveau beherrschten, wie dies im frü-
heren Vielvölkerstaat, der sog. Donaumonarchie, üblich war.
Derzeit leben - wie schon erwähnt - noch rund 500.000 Deut-
sche in Ostmittel- und Südosteuropa, die größten Gruppen
in Polen (zwischen 148.000 und 350.000), Ungarn (132.000)
und Rumänien (36.900). Etwa 40.000 verteilen sich auf Est-
land, Lettland, Litauen, Tschechien, die Slowakei, Slowe-
nien, Kroatien, Bosnien und Herzegowina sowie Serbien.
Bei der Darstellung der aktuellen Lage der deutschen Sprache
und Kultur und der betroffenen deutschen Minderheiten sollten
SoNNTAGSBLATT
wir zuerst die Tatsache festhalten, dass die deutschen Minder-
heiten, wie erwähnt durch die historischen Ereignisse dezi-
miert, natürlich mit anderen Problemen zu kämpfen haben als
die drei größeren Gruppen in Rumänien, Polen und Ungarn.
Aber auch bei den deutschen Gemeinschaften in der Tschechi-
schen Republik und der Slowakei gibt es schon Unterschiede,
ganz zu schweigen von der Problematik in Slowenien, wo eine
offizielle Anerkennung der deutschen Minderheit bis heute noch
nicht erfolgt ist und der Gotscheer Altsiedler Verein mühsam die
Sprache und Kultur hochzuhalten versucht. In der Tschechischen
Republik leben nur noch wenige Angehörige der deutschen Min-
derheit. Bei der letzten Volkszählung von 2011 waren es nach
eigenen Angaben noch rund 18.700 Menschen. Trotzdem gibt
es in Tschechien noch einige wenige Nachkommen der deutsch-
sprachigen Minderheit, die einen Dialekt der deutschen Minder-
heitensprache verstehen oder sogar sprechen können. Mit ih-
nen hat sich auch das Goethe-Institut in Prag beschäftigt. Das
Projekt heißt „Schaufenster Enkelgeneration“. Deutsch ist in
der Tschechischen Republik eine anerkannte und geschützte
Minderheitensprache, auch dank der Europäischen Sprachen-
charta, allerdings sind Minderheitenaktivitäten auch schwierig,
weil neben der Vertreibung der Deutschen aus der damaligen
Tschechoslowakei auch eine Vertreibung innerhalb des Landes
stattgefunden hat, infolgedessen die restliche deutsche Minder-
heit über das ganze Land verteilt wurde, was wiederum die Assi-
milation beschleunigte. Deutsch als Fremdsprache ist allerdings
„in“. Mit rund 450.000 Deutschlernenden liegt die Tschechische
Republik neben der Slowakei und Slowenien im europäischen
Vergleich weit vorne. In der Slowakei ist die Situation ähnlich: Bei
der letzten Volkszählung 2011 gaben 4.690 Personen Deutsch
als ihre Nationalität an. Der Karpatendeutsche Verein (KDV) ver-
sucht, in den fünf Regionen Pressburg und Umgebung, Hauer-
land, Oberzips, Unterzips und Bodwatal und mit der Hilfe von
sieben, von der Bundesregierung geförderten kulturellen Begeg-
nungsstätten die deutsche Sprache und Kultur zu erhalten und
zu revitalisieren. Seit 1992 gibt der Verein die Zeitschrift „Das
Karpatenblatt“ heraus. Die bairisch-österreichisch geprägten
Dialekte in der Slowakei und auch die sudetendeutschen Dia-
lekte in der Tschechischen Republik werden aber nur sehr selten
noch aktiv gesprochen. In beiden Ländern konzentriert sich die
Revitalisierung des Deutschen eher auf die Standardsprache.
Ein vielleicht noch schwierigeres Erbe erfuhren die deutschen
Minderheiten im ehemaligen Jugoslawien. Neben der erwähn-
ten Problematik in Slowenien ist auch die Lage in Serbien und
Kroatien hier zu nennen. Die Deutsche Gemeinschaft – Lands-
mannschaft der Donauschwaben in Kroatien will ebenfalls alles
für die Revitalisierung der deutschen Sprache tun. Seit Oktober
2012 führt sie das Programm der „Deutschen Samstagskurse“
für Kinder vom Vorschulalter bis 10 Jahre durch. Deutsch als
Minderheitssprache wird nämlich nur in Esseg/Osijek (Ost-Kro-
atien) in der dortigen Grundschule „Heilige Anna“ gelehrt und
dies lediglich in Form zweier zusätzlicher Unterrichtsstun-
den pro Woche. In Kroatien wird Deutsch meistens als zweite
Fremdsprache und als Wahlfach erlernt. Laut den letzten An-
gaben des Statistikamtes der Republik Kroatien am Ende des
Schuljahrs 2010/2011 und Anfang 2011/2012 lernten 69,9 %
(330.414) aller Schüler im achtjährigen Grundschulwesen (insg.
472.598) Englisch und 23,4 % (110.434) Deutsch. Deutsch be-
findet sich somit in Kroatien auf dem zweiten Platz der meistge-
lernten Fremdsprachen. Der Deutsche Volksverband in Serbien
bündelt ähnliche Bestrebungen und auch der gesetzliche Rah-
men stimmt dabei. Geschichtsbücher werden überarbeitet, die
Deutschen haben seit 2007 eine Vertretung und Deutsch wird
wieder vermehrt unterrichtet. Mittlerweile kann auch offen und
kritisch über die Vertreibung der Volksdeutschen 1945 in Ser-
bien debattiert werden und auch die historische Aufarbeitung
fand weitgehend statt. Die Assimilierung ist aber aufgrund der
schmerzhaften Geschichte auch in dieser Region bereits fortge-
(Fortsetzung auf Seite 16)
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