und kulturell in wenigen Jahrzehnten weitgehend, so dass Pilsen
auch 1941 zu 85% deutsch(sprachig) war. 25 Jahre später, 1969
sprach man auf einer Ratssitzung davon, dass man „von Natio-
nalität (…) von Nationalitätengefühl nicht mehr sprechen kann”,
denn „im Falle unserer Gemeinde geht es um einen abgeschlos-
senen Assimilierungsprozess”. Trotzdem zeigten ein Exekutiv-
komiteesitzungsprotokoll aus dem Jahre 1979 sowie Daten der
Volkszählungen und Schätzungen aus den Jahren 1976, 1983
und 1986, dass sich immer noch 60-62 % der Einwohner zum
Deutschtum bekannt hätten. Eine andere Quelle, die Dorfchronik
des Archäologen und ehemaligen deutschen Gemeinderates und
später Bürgermeisters (2008-2010) Zoltán Batizi auf der Internet-
seite der Evangelisch-Lutherischen Gemeinde Deutschpilsen,
aus der Zeit der Jahrtausendwende spricht aber bereits davon,
dass die „deutsche Ethnie und das deutsche Selbstbewusstsein
bis heute fast gänzlich untergegangen sind, lediglich die Alten
über 65-70, also die Generation meiner Großeltern, sprechen die
alte, in Ungarn einzigartige Pilsener „sächsische” Mundart.”
Der Ortshistoriker datiert den Anfang des Prozesses des Unter-
gangs der Pilsner Deutschen auf die Zwischenkriegszeit: „Nach
der Verstümmelung des Landes wurde - aufgrund einer Anwei-
sung der Regierung, die eine Beschleunigung der Assimilierung
der Nationalitäten anstrebte - in den beiden konfessionellen
Schulen von Börzsöny, also Deutschpilsen, die deutsche Un-
terrichtssprache durch Ungarisch ersetzt – den Unterricht der
deutschen Sprache hat man auf wöchentlich drei-vier Stunden
beschränkt, was für eine solide Aneignung der Sprache unzu-
reichend war. Als Folge dessen löste sich die uralte, kulturelle
und emotionale Bindung, die zwischen den Bewohnern, die die
für Außenstehende unverständliche Pilsener „sächsische” Mund-
art sprachen, und den anderen deutschsprachigen Gebieten be-
stand. So empfand die Generation, die in der Zwischenkriegszeit
aufwuchs, nicht nur die Madjaren als Fremde, sondern verstand
auch diejenigen Deutschen nicht, die eine andere Mundart oder
Hochdeutsch sprachen. Darüber hinaus verstand die Mehrheit
derjenigen Kleinkinder, die in den 1920er, 1930er Jahren ein-
geschult wurden, von dem ungarischsprachigen Schulstoff und
den Erklärungen der Lehrer im ersten oder in den ersten zweiten
Grundschuljahr so gut wie nichts. Nach den sechs Grundschul-
jahren (sic!) sprachen sie in der Regel lediglich das Deutschpil-
sener auf Muttersprachenniveau, das sie aber nicht verschrift-
lichen konnten, wohingegen ihnen das ungarische Lesen und
Schreiben – jedenfalls theoretisch – beigebracht wurde, welche
Sprache aber für sie eine gelernte, fremde Sprache blieb, was
deren Pflege und schriftliche Anwendung sehr erschwerte. 1910
hatte Deutschpilsen 1900 Einwohner, unter denen sich 85%,
also ungefähr 1600 Menschen, zum Deutschtum bekannten. Als
Ergebnis des Drucks seitens der von ungarischer/madjarischer
Ungeduld (sic!) beseelten Gesellschaft und Regierung bekann-
ten sich 1941 nur noch 226 Menschen zu ihrem Deutschtum.”
Bemerkenswert offene Analyse eines Pilsener Lokalpatrioten.
Nicht weniger bemerkenswert sind seine Ausführungen zu den
Schicksalsjahren zwischen 1944-1956: „Infolge des verlorenen
Krieges - im Zeichen der Kollektivschuld - traf eine ganz Reihe
von Vergeltungen die deutsch bewohnte, also eindeutig „kriegs-
schuldige” Gemeinde. Januar 1945 trieben sowjetische Soldaten
mehrere dutzend Männer und junge Frauen ins Sammellager
in Berzel/Ceglédbercel, wo sie per Bahn nach Russland weiter-
transportiert wurden. Manche konnten nach einem, die große
Mehrheit erst nach 2, 3 oder gar 4 Jahren zurückkehren – viele
starben aufgrund der unmenschlichen Zustände in den Arbeits-
lagern. Während des Zweiten Weltkrieges beziehungsweise der
Malenkij Robot starben 74 Pilsener. Hinzukommen die Verluste
der 4-5 jüdischen Familien. (…) Der landesweite Prozess der
Vertreibung der Deutschen erreichte Deutschpilsen 1948. Alle
kamen auf die Liste, die sich bei der Volkszählung von 1941 zum
Deutschtum bekannten beziehungsweise Mitglied des Volks-
bunds waren oder in der SS Dienst taten. Es ist traurig, dass
es der ungarische Staat war, der April 1944 ein Abkommen mit
Hitler-Deutschland abgeschlossen hat, in Folge dessen er seine
deutschsprachigen Staatsbürger dem Reich, also der SS, über-
ließ. Von den etwa 100 Pilsener SS-Soldaten wurden im Laufe
von 1944 auf Grundlage dieses Abkommens – mit Unterstützung
der ungarischen Streitkräfte – 85 zwangseingezogen, und weni-
ge Monate später war es derselbe ungarische Staat, der sie zum
Kriegsverbrecher und Vaterlandsverräter abstempelte.„
12
Tibor Fleischer, der sich 2002 auf die Suche nach seinen Pil-
sener Vorfahren begab, berichtet in seinen Aufzeichnungen, die
sich auch auf Informationen von Zoltán Batizi beruhen, dass
etwa 40% der Deutschpilsener vertrieben wurden – aber anders
als Deutsche woanders kamen sie in slowakisch bewohnte Dör-
fer des Komitats Naurad. Die restlichen Bewohner mussten zu-
sammenziehen, um Platz zu machen für die Madjaren aus der
Slowakei, die - wie Batizi bemerkt - „ebenfalls wegen ihrer Natio-
nalität vertrieben wurden.” Diese verließen aber in den nächsten
Jahren den Ort und verkauften ihre Häuser an die Deutschen,
die bis Mitte der 1950er Jahre in großer Zahl nach Deutschpilsen
zurückkehrten. Was bewusste Assimilierungspolitik, Verschlep-
pung und Vertreibung nicht schafften, das gelang dem zum Teil
politisch intiierten Transformationsprozess: Viele wanderten aus
der Landwirtschaft in die Industrie ab, die besser bezahlte. Die
Zwangskollektivierung tut ihr Übriges und sorgte für einen Nie-
dergang der Weinkultur. Die „Pflege anderer Traditionslinien”
sorgten auch nur zum endgültigen Verschwinden der Deutschen
in Pilsen. In den bereits zitierten Ratsprotokollen steht: „Das Volk
von Pilsen kann nicht richtig Deutsch. Diese Sprache ist eine
zum Dialekt verkommene angelsächsische Sprache.” „In seiner
Familie kann jeder diese Sprache pflegen. (…)” „Im Falle unserer
Gemeinde geht es um einen abgeschlossenen Assimilierungs-
prozess, den man künstlich nicht ändern kann, und ein derartiger
Versuch würde für Unruhe in der Bevölkerung sorgen und auf
heftigen Widerstand stoßen.” Und der Rat fasste folgenden Be-
schluss: „Der Rat stellt fest, dass es in der Gemeinde kein Na-
tionalitätenproblem gibt, die Bevölkerung (Nationalität) möchte
diejenigen Rechte nicht nutzen, die der Nationalität auf Grund-
lage der Verfassung unserer Volksrepublik zustehen.” Sie unter-
stützten hingegen all die Bestrebungen, (...) die darauf zielten,
die nichtschriftlichen Zeugnisse „für die Zukunft” aufzuheben.”
Also, Archivieren und Ausstellen, was dann jeder wehmütig oder
auch nur kulturinteressiert bestaunen darf.
Am Ende dieses Prozesses das traurige Fazit von Batizi: „Die
Bevölkerungsabnahme, die 1945 ihren Anfang nahm, dauert auf-
grund der Abwanderung und Alterung seit sechs Jahrzehnten an,
gegenwärtig wohnen hier gerade einmal 800 Seelen. Die deut-
sche Ethnie und das deutsche Selbstbewusstsein sind bis heute
fast gänzlich untergegangen, lediglich die Alten über 65-70, also
die Generation meiner Großeltern, sprechen die alte, in Ungarn
einzigartige Pilsener „sächsische” Mundart. Die Zahl der im Dorf
ansässigen – und ebenfalls madjarisierten – Roma ist in den letz-
ten Jahrzehnten – zum Teil dank den neu Zugezogenen, aber
vielmehr wegen der großen Zahl von Familien mit 6-8 Kindern –
explosionsartig gestiegen und beträgt gegenwärtig 150.”
Zeitgeschehen-Geschichte
s
VOR 100 JAHREN (1918-2018)
ZERFALL DER DONAUMONARCHIE -
DREITEILUNG DER DONAUSCHWABEN
Thema einer Historiker-Tagung in Wudersch / Budaörs
Ein Bericht von Harald Diehl
Am 13. Oktober veranstaltete die Deutsche Kulturgemeinschaft
Wudersch bzw. die Jakob Bleyer Gemeinschaft e. V. im Haus
der Rentner (Nyugdíjas Ház), unter der Leitung von Prof. Dr.
Nelu Bradean-Ebinger (Wudersch), der auch die Moderation be-
sorgte, die Historikertagung „VOR 100 JAHREN (1918-2018):
ZERFALL DER DONAUMONARCHIE − DREITEILUNG DER
DONAUSCHWABEN.
Mag. Dr. Peter Wassertheurer (Wien) behandelte einführend
das Thema „Der Zerfall der Donaumonarchie und die deutschen
Volksgruppen im ehemaligen Zis- und Transleithanien zum Ver-
gleich“.
Zunächst ging der Vortragende der Frage nach, was die k.u.k.
Donaumonarchie der Habseburger 1914 zum Untergang ver-
SoNNTAGSBLATT