Unsere Aufgabe: die Komfortzone ver-
lassen
Von Patrik Schwarcz-Kiefer
Wenn man regelmäßig an ungarndeutschen Veranstaltungen
teilnimmt, kennt man das Phänomen „és akkor mostantól ma-
gyarul, hogy mindenki értse” (und ab jetzt auf Ungarisch, damit
es alle verstehen). In vielen Fällen sagt man dies nur, weil der/
die Betroffene die Verantwortung für das Nicht-Benutzen der
deutschen Sprache der Zuhörerschaft zuschieben will. Natür-
lich gibt‘s solche im Land (leider eine kleine Minderheit), die
alles ohne weiteres auf Deutsch kommunizieren könn(t)en und
wirklich das bessere Verständnis zum Ziel haben. Aber in den
meisten Fällen ist es so, dass der Sprecher nicht in der Lage
ist den Inhalt auf Deutsch zu übermitteln. Und nicht unbedingt
wegen mangelnder Sprachkenntnisse, vielmehr wegen des ge-
sellschaftlichen Drucks: „Wenn ich was falsch sage, wird meine
zentrale Rolle (in der Veranstaltung z. B.) in Frage gestellt.“
Weiter wird es damit begründet, dass es auf Ungarisch „einfach
einfacher“ ist. Egal ob man deutscher/„schwäbischer“ oder unga-
rischer Muttersprache ist, man muss ehrlich sein: Es ist wirklich
einfacher auf Ungarisch. Deswegen gibt‘s solche Situationen,
wo man diese Begründung akzeptieren muss (Arbeitsgespräche
z.B.). Natürlich muss jemand mit gutem Beispiel vorangehen,
und diese Aufgabe nahm in der Vergangenheit und nimmt in der
Gegenwart unter anderem die JBG an. Was unsere Landsleute
machen sollten, ist, dass sie ihre Komfortzone verlassen.
Eine Begrüßung in zwei Sätzen sollte kein Teufelszeug sein, die
Eröffnung einer Veranstaltung auch nicht. Hier geht‘s um den be-
quemeren Weg. Man mag in seiner Komfortzone bleiben, und
diese Komfortzone ist in diesem Fall die ungarische Sprache.
Die Verfechter der deutschen Sprache sollen dabei die anderen
überzeugen: Es lohnt sich diese Komfortzone zu verlassen. Und
dies ist unser höchstes Ziel. Unsere Vorfahren haben einen gro-
ßen Fehler begangen, als sie die deutsche Sprache nicht weiter-
gegeben haben. Bei ihnen ging es aber um ihre Existenz, um ihr
Leben! Und später leider um ihre Bequemlichkeit.
Solche Gefahren bestehen aber heute nicht mehr. Die „große“
Entscheidung ist, ob man den bequemen Weg der ungarischen
Sprache oder den mühseligeren der deutschen Sprache wählt.
Das einzige Risiko ist, dass man etwas grammatikalisch falsch
sagt und jemand kommt, der diesen Fehler korrigiert, oder der
Fehler wird zum Thema der örtlichen „Tratschparty“. In einem
unserer nächsten Artikel wird es um diese destruktive Gruppe
der großen Deutschkorrektoren, der so genannten „Grammar-
nazis“*, gehen.
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*Das Wort „Nazi“ wird auf Englisch zunehmend im Alltag benutzt für jem-
anden, der besessen von Regeln ist und dabei fanatisch und aggressiv
auftritt. Das bekannteste Beispiel ist grammar nazi und spelling nazi für
Sprachpedanten.
Reisenotizen extra
Deutschpilsen – wo sind die Sachsen
geblieben?
Von Richard Guth
Die vor drei Jahren wiedereröffnete Waldbahn nähert sich be-
häblich-langsam dem Sackgassendorf nahe der slowakischen
Grenze. Der Weg führt über steile Hänge und tiefe Täler, die Na-
tur zeigt - dank der Herbstsonne - ihr schönstes Gesicht. Die
ersten Häuser werden sichtbar, der Zug erreicht die Endstation.
Die Straße säumen alte Bauerhäuser, die vom Reichtum der
Vergangenheit zeugen – manche bewohnt, manche unbewohnt,
aber gut in Schuss, die gehören wahrscheinlich Hauptstädtern,
SoNNTAGSBLATT
die sich in der Abgeschiedenheit des Pilsner Gebirges ein Fe-
riendomizil zugelegt haben. Ein zweisprachiges Schild, deutsch
Schmalspurbahn, ist zu sehen, wahrscheinlich mit touristischem
Hintergrund. Auf dem Hauptplatz erinnern Weltkriegsdenkmäler
an die Opfer der großen Weltbrennen, auf ihnen überwiegend
deutsche Namen. Gegenüber erinnert ein anderes Schild drei-
sprachig, ungarisch-deutsch-slowakisch, dass hier ein Bauern-
markt abgehalten wird. An der anderen Ecke des Dorfplatzes
steht die „Községháza”, das Rathaus. Es geht weiter Richtung
evangelischer Kirche - eine von drei Kirchen im Ort, trotz der zen-
tralen Lage auch nicht die älteste (das ist die romanische Ste-
fanskirche) und nicht die bekannteste (das ist die Bergmanns-
kirche) -, vorbei an Gästehäusern, die oft den Zusatz „Ház”,
also Haus tragen. Hinter dem „Schneider-Ház” erhebt sich die
evangelische Kirche, die gerade renoviert wird. Ich betrete das
bescheidene, aber dennoch einladende Gotteshaus und schaue
mich um. Die Glasfenster aus der Zwischenkriegszeit als Gaben
der Gemeindemitglieder sind ungarischsprachig, eine Inschrift
unterhalb der Orgel, aus dem Jahre 1901, hingegen deutsch-
sprachig. Sonst fehlt es an deutschsprachigen Informationstafeln
und -zetteln in der Kirche. Das verleitet mich zu der Frage: Wo
sind die (evangelischen) Sachsen geblieben?
Presshäuser in Deutschpilsen
Richtig, Sachsen, stellt Deutschpilsen/Nagybörzsöny das ein-
zige (Zipser/Hauländer) sächsische Dorf von (Trianon-) Ungarn
dar. Der Ort wurde in einer Zeit besiedelt, als sich die Sieben-
bürger und Zipser Sachsen im Königreich niederließen. Wahrlich
waren sie keine „Sachsen”, stammten die meisten aus Tirol, der
Steiermark und einige doch aus der Erzgebirgsregion – auf die-
se Herkunft weist der Pilsener südbairisch-südmittelbairisch-ost-
mitteldeutsche Mischdialekt, mit Verbindungen zum Mittelhoch-
deutschen, hin. Man spricht in einer Ortsmonografie, die um die
Jahrtausendwende in der Reihe „Száz magyar falu könyveshá-
za” erschienen ist, davon, dass Deutschpilsen „ein letzter Rest
der südlichen Siedlungsgruppe des heutigen mittelslowakischen
Haulands” sei, denn das Deutschtum der nahegelegen Loren-
zen/Vámosmikola und Martinau/Szokolya, das über die gleichen
Wurzeln verfügt, hat sich bis zum 19. Jahrhundert völlig madja-
risiert.” Die Kontakte zu den nördlich gelegenen Zipser Städten
blieben bis Trianon rege, dienten diese als Hauptabsatzmarkt für
den Deutschpilsener Wein. Aber auch in konfessioneller Hinsicht
gab es eine Verbindungslinie: Luthers Lehren wurden auch von
den Pilsener Deutschen übernommen. Der Ort, der den Rang
eines Marktfleckens hatte und dessen Steueraufkommen lange
sogar das von größeren Städten in Ungarn übertraf, blieb auch
in der Zeit der Dreiteilung des Landes deutsch besiedelt, was
Aufzeichnungen evangelischer Geistlicher und die deutschspra-
chige Korrespondenz der Dorfrichter mit der ungarischen Kam-
mer belegen. Nach der Vertreibung der Osmanen kamen neben
deutschen auch madjarische und slowakische Familien neu in
den Ort, was dessen wirtschaftlichen Attraktivität zeigt. Diese Fa-
milien assimilierten sich – so Forschungsergebnisse - sprachlich
(Fortsetzung auf Seite 12)
GEFÄLLT IHNEN DAS
SoNNTAGSBLATT s ?
IHRE SPENDE IST DIE
JA-ANTWORT!
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