Sonntagsblatt 4/2016 | Page 3

– Die Profilerweiterung der Deutschen Nationalitatengrundschule am Kirchplatz Werischwar um die Sprache Englisch wurde von der Schulleitung in der Vergangenheit mehrfach angestoßen , aber bis zum Magistrat der Stadt kam diese Sache nie , weil die Deutsche Nationalitätenselbstverwaltung nie ihre Zustimmung zur beabsichtigten Profiländerung gab . Die jetzige Initiative kam von den Eltern der Grundschüler , die diese Schule besuchen . Die Stadt hat in dieser Angelegenheit kein Entscheidungsrecht , sondern lediglich ein Recht ihre Meinung zu äußern .
Die Meinungsäußerung zu einer solchen Initiative ist immer äußerst schwierig , weil man zwischen sehr vielen – oft konträren – Gesichtspunkten abwägen muss . In pädagogischen Fragen bedeutet es das In-Einklang-Bringen der Wahlfreiheit des Individuums und der Interessen der Gemeinschaft . Man soll auf der einen Seite den Eltern ermöglichen , dass sie ihre im Gesetz verankerten Rechte wahrnehmen können , auf der anderen Seite muss man die Gesichtspunkte der Gemeinschaft des Ortes zur Geltung bringen .
Im vorliegenden konkreten Fall wurde die Frage auch vom Inhalt der Initiative erschwert . „ Anstelle von Deutsch nun Englisch ” ist in Werischwar im Grunde genommen keine reine pädagogische Frage , sondern eine lokale bildungspolitische Frage , eine Frage , die die Identität der Gemeinschaft betrifft , eine Frage der Wertewahl , sogar fast eine Weltanschauungsfrage . Da ein Großteil der Mitglieder der zwölfköpfigen Stadtverordneten - versammlung – Bürgermeister inbegriffen – der örtlichen deutschen Nationalität angehört , betraf diese Weltanschauungsfrage uns alle auch persönlich . Bei der Formulierung unseres Stand - punktes mussten wir gleichzeitig unsere eigenen Nationalitä - tengefühle , Weltanschauung , Wünsche wie auch die Gefühle , Wünsche und Rechte der anderen Hälfte der Bevölkerung beachten . In dieser Situation haben wir als Endprinzip das abgewogen , was das Interesse der Stadt insgesamt ist , was am ehesten der Einheit , dem Frieden und der langfristigen harmonischen Entwicklung der Stadt dient .
Die Stadtverordneten und Vertreter deutscher Nationalität halten die Tatsache , dass gegenwärtig alle fünf Kindergärten Nationalitätenkindergärten und beide Grundschulen Nationali - tätengrundschulen sind , so dass jedes Werischwarer Kind von Kindesbeinen an neben der ungarischen Sprache und Kultur auch die deutsche Nationalitätensprache und Kultur , die die Wurzeln des eigenen Wohnortes bedeuten , erlernt , als eine große Errungenschaft der Wendezeit . Die jetzige Initiative beginnt damit , diese beispielhafte , recht wertvolle , fast ideale Situation abzubauen , was wir als einen Verlust betrachten .
Wir müssen aber nüchtern in Betracht ziehen , dass heutzutage im europäischen Kulturkreis Englisch die Verkehrssprache Nr . 1 ist , eine internationale Sprache , und so ist der Anspruch der Eltern , anstelle von Deutsch Englisch zu wählen , ein sinnvoller und berechtigter . Denn für die Werischwarer nichtschwäbischer Herkunft ist das Erlernen der deutschen Sprache nicht mit emotionalen und Identitätsmotiven verbunden .
Vor dem Hintergrund dieser Gesichtspunkte ist die Mehrheit zu dem Entschluss gekommen , dass es für die Stadt insgesamt besser ist , wenn wir diese Initiative unterstützen , also dass die Schule ab dem Schuljahr 2016 / 17 neben der sprachunterrichtenden und der zweisprachigen Form eine allgemeinbildende Klasse einrichten , in der ab der ersten Klasse Englisch als erste Fremdsprache unterrichtet wird . – Viele sehen das Ende des Nationalitätenunterrichts und allen voran des zweisprachigen Unterrichts . Teilen Sie diese Befürchtungen ? – Die Befürchtungen teile ich , halte sie aber in dieser Formu - lierung für stark übertrieben . Diese Änderung bedeutet keinesfalls das Ende des Nationalitätenunterrichts , mit der Frage des zweisprachigen Unterrichts hängt sie überhaupt nicht zusammen .
In Werischwar bleiben beide Grundschulen deutsche Nationa - litätengrundschulen , an beiden Schulen bleiben die sprachunterrichtenden und zweisprachigen Nationalitätenklassen erhalten . Auf der Ebene der Stadt wird von den jährlich 5 – 6 eingeschulten Klassen eine einzige englischsprachig , und in der Sekundarstufe 1 ( Klassenstufe 5 – 8 ) lernen diese Schüler Deutsch in zwei Wochen - stunden .
Es ist aber wahr , dass aufgrund dieser Initiative bedauerlicherweise in der Tat die Auflösung der lokalen Schulstruktur beginnt , die sich in den Jahrzehnten nach der Wende in Werischwar herausgebildet hat und in der auf diese Weise jedes Werischwarer Kind ab der ersten Klasse die deutsche Sprache und die lokale deutsche Nationalitätenkultur , die die Wurzeln des eigenen Wohnortes bedeuten , erlernt hat . Dies empfinde auch ich als einen schmerzlichen Verlust , trotzdem kann vom Tod des Na - tionalitätenunterrichts keine Rede sein . – Die Stadtverordnetenversammlung hat in ihrer Sitzung am 28 . April den Antrag der Deutschen Nationalitätenselbstverwaltung , die Trä - gerschaft der Grundschule am Marktplatz zu übernehmen , nicht un - ter stützt . Aus welchen Gründen stimmte das Gremium gegen die Übernahme ? – Dieser Fragenkomplex ist noch schwieriger als der vorangegangene : Denn im Falle einer positiven Entscheidung würde nicht nur das Pädagogische Programm oder die Stundenverteilung geändert , sondern das ganze System der Trägerschaft und Finan - zierung , was Auswirkungen hätte nicht nur auf eine Klasse , sondern auch auf die ganze Schule , gar auf das Schulsystem der ganzen Stadt . Darüber hinaus , so meine ich , auch auf das Verhältnis der Mitglieder schwäbischer und nichtschwäbischer Herkunft der Gemeinschaft und so auf die ganze Gemeinschaft . So mussten vor der Entscheidungsfindung neben den Interessen der Lehrer , Schüler und der betroffenen Eltern an der Grundschule am Marktplatz ganz gründlich die wirtschaftlichen , pädagogischen und eigentumsrechtlichen Gesichtspunkte sowie die Auswir - kungen eines möglichen Trägerschaftswechsels auf das gesamte lokale Schulwesen in Betracht gezogen werden . Umso mehr , da in dieser Frage der Magistrat als Schulträger nicht nur ein Meinungsäußerungs- , sondern auch ein Entscheidungsrecht besitzt .
Eine gründliche und detaillierte Darstellung aller Gesichts - punkte würde den Rahmen eines solchen Interviews sprengen , daher werde ich nur einige von ihnen hervorheben und kurz und bündig darstellen .
Die Entscheidung hat eine bedeutende wirtschaftliche Di - mension . Eines der wichtigsten Argumente der Deutschen Nationalitätenselbstverwaltung ( DNSVW ) für die Übernahme der Trägerschaft war , dass die Schule eine deutlich bessere Finanzierung erhalten würde , wodurch die Qualität des Natio - nalitätenunterrichts und der Erziehung erhöht werden könnte . Dieses Finanzierungsplus und dessen Höhe ist aber anhand der von der DNSVW eingereichten Expertenmeinung und der zweiseitigen Ergänzung nicht eindeutig ersichtlich . Die Einnah - menseite ist ziemlich klar , die Ausgabenseite hingegen gar nicht .
Aus der eingereichten Dokumentation geht nicht eindeutig hervor , wieviel die Trägerschaft und Unterhaltung der Grundschule am Marktplatz der DNSVW im Jahr kosten bzw . welche Kosten bei einer Trägerschaft der DNSVW für die Stadt entstehen würden , und ferner , auf welche Einnahmen die Stadt bei der Abgabe der Trägerschaft der Schule am Marktplatz an die DNSVW verzichten müsste . Die genauen Personal- , Gebäudeunterhaltungsund Schülerverpflegungskosten sowie die Kosten der Beschäf - tigung des technischen Personals und für die Unterhaltung der Wirtschaftsabteilung usw . bei einer DNSVW-Trägerschaft sind
( Fortsetzung auf Seite 4 )
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