nicht bekannt. Es ist nicht genau zu beziffern, auf wieviel staatliche Unterstützung bei der Übertragung der Trägerschaft die Stadt verzichten müsste. Wir müssen es auch in Betracht ziehen, dass die Finanzierungszusage immer für ein Jahr gilt, wohingegen die Nutzungsvereinbarung für 10 Jahre geschlossen wird, was Risiken birgt. Es gibt keine Garantien dafür, dass die besondere finanzielle Ausstattung der Institutionen in der Trägerschaft der Natio- nalitätenselbstverwaltungen durch den Staat auch längerfristig auf dem gleichen Niveau bleibt. Sollte der staatliche Zuschuss sinken, müsste laut dem Beschluss 137 / 2015 vom 28.11.2015 der Lan- desselbstverwaltung der Ungarndeutschen( LdU) die Stadt die Finanzierungslücke schließen. Eine entsprechende Verpflich- tungserklärung würde für die städtische Selbstverwaltung eine Verpflichtung in unbekannter Höhe sowie Risiken bedeuten.
Über die Fragen der Finanzierung hinaus stellen sich im Zusammenhang mit der Übergabe der Trägerschaft ganz gewaltige Fragen fachlicher Natur: Ändert sich das Pädagogische Programm, und wenn ja, inwiefern ändern sich Unterrichtsver- teilung, Einzugsgebiet, Aufnahmemodalitäten, Zusammenset- zung der Lehrerschaft usw.? Da die DNSVW Werischwar keinerlei schriftliches Konzept über ihre Vorstellungen vorlegte, so sind uns lediglich bruchstückhafte, mündliche Antworten bekannt oder auch gar keine. Wir wissen beispielsweise nicht, nach welchem Prinzip bei Überanmeldung die Schüler ausgewählt werden. Wir wissen nicht, nach welchem Kriterium bestimmt werden sollte, wer zur deutschen Nationalität gehört usw. Die vielen unbeantworteten Fragen erhöhen das Risiko bei einer Entscheidung.
Die Übertragung der Trägerschaft wirft ferner Eigentumsfragen auf. Gemäß dem Gesetz über die Rechte der Nationalitäten muss man bei der Übertragung der Trägerschaft zwecks Erfüllung der Aufgaben durch die Institution das Inventar- und Immobi- lienvermögen in Nutzung des neuen Trägers geben. Laut Gesetz ist die Übergabe kostenfrei, die Nutzungsdauer darf nicht kürzer als zehn Jahre sein, und bezüglich der Nutzung muss eine Verein- barung getroffen werden. Soweit klar. Es kann aber passieren, dass in einigen Jahren die DNSVW Werischwar – aus welchem Grund auch immer – nicht in der Lage sein wird, die Träger schafts- aufgaben der Schule am Marktplatz zu erfüllen( weil z. B. der Zuschuss sinkt, neue Rechtsvorschriften eingeführt werden usw.). In diesem Falle werde die Trägerschaft nicht auf den Staat übertragen, sondern auf die LdU, und sie könnte darüber befinden, ob sie anstelle der DNSVW Werischwar die Trägerschaft übernehmen möchte oder ob sie diese an den Staat abgeben möchte( die Teilträgerschaft der Gebäudeerhaltung würde – gemäß der gegenwärtigen Rechtslage – auf die Stadt übertragen werden). Sollte sich die LdU dafür entscheiden, auf die Träger schaft nicht zu verzichten, hätte sie gemäß Gesetz die Möglichkeit das Eigentumsrecht des Schulgebäudes am Marktplatz für sich zu beanspruchen. In diesem Falle würde die Stadt Werischwar eine der wertvollsten und auch symbolisch unersetzlichen Immobilien im Stadtzentrum, das Gebäude der Schule am Marktplatz, verlieren.
Der vierte Gesichtspunkt, den wir abwägen mussten, waren die Auswirkungen des Trägerschaftswechsels auf die städtische Bildungslandschaft. Eines möchte ich hervorheben: Sollte die Schu le am Marktplatz wegen der besseren finanziellen Aus- stattung aufgrund der Nationalitätenquote besser dastehen als die Schule am Kirchplatz( die in der Trägerschaft des Schul- trägerschaftszentrums Klebelsberg steht), darum geht es bei den Versprechen, dann würden in unserer Stadt ungewollt eine „ reiche Schule”( am Markplatz) und eine „ arme Schule”( am Kirchplatz) entstehen. Die Anziehungskraft der reichen Schule am Markt- platz würde steigen, und so würde eine Situation der Überanmeldung entstehen. Die Überanmeldung würde eine Auswahl- möglichkeit bedeuten, was für die Schule am Marktplatz positive, für die Schule am Kirchplatz negative Folgen hätte. Eine solche Entwicklung würde nicht nur in der Bildungslandschaft große Schäden verursachen, sondern im gesamten öffentlichen Leben unserer Stadt.
Neben den oben Erwähnten mussten wir auch externe Faktoren in Betracht ziehen. Das ungarische Bildungswesen befindet sich seit Jahren im Zustand ständigen Umbaus, und auch gegenwärtig vollziehen sich radikale Veränderungen( das Schulträgerschafts- zent rum Klebelsberg wird aufgelöst, das System der Trägerschaft ändert sich, ein neues Curriculum wird eingeführt). Die Unbe- rechenbarkeit des Umbauprozesses bedeutet besonders hohes Risiko, weil es nicht absehbar ist, wie die Systemveränderungen das Umfeld verändern werden, in dem die Schule am Marktplatz in den nächsten Jahren bestehen muss. Wir wissen zum Teil nicht, welche Schülerbewegungen sich in der Stadt und von außerhalb in Richtung Werischwar einsetzen werden. Die Stadtverordnetenversammlung hat auch die gegenwärtige Situation – über die Risiken rund um den Trägerschaftswechsel hinaus – analysiert und ist zum Schluss gekommen, dass gegenwärtig in Werischwar alle Voraussetzungen bestehen, dass die deutsche Nationalität ihre Identität lebt und bewahrt, ihre Sprache, Kultur und Identität weitergibt. Beide Grundschulen der Stadt sind als staatliche Schulen deutsche Nationalitäten- grundschulen, in den Schulen sind alle Voraussetzungen finanziellen, personeller und sachlicher Natur gegeben, um einen an- spruchsvollen deutschen Nationalitätenunterricht durchzuführen. – Was wäre für Sie hinsichtlich des örtlichen Schulsystems wünschens- wert? – Für mich ist es am wichtigsten, dass jedem Werischwarer Kind gleiche Chancen und gleiche Bedingungen personeller und sachlicher Natur zuteil werden. Ich halte es für das Beste, wenn sich Kinder schwäbischer und nichtschwäbischer Herkunft nicht ab- sondern, sondern beide Grundschulen von Kindern deutscher und nichtdeutscher Herkunft, aus ärmeren und reicheren, aus gebildeteren und weniger gebildeteren Familien usw. besucht werden. Ich denke, ein solches Schulsystem dient der Einheit der Bevöl- kerung der Stadt, dem gegenseitigen Respekt und der wechselseitigen Zusammenarbeit am besten. – Wie sehen Sie persönlich die sprachliche, kulturelle und identitätsbezogene Zukunft der Deutschen in Ungarn? – Ich kann lediglich über das Deutschtum in Werischwar berichten, denn nur hinsichtlich dieser verfüge ich über relativ umfangreiche Kenntnisse. Das Werischwarer Schwabentum ist eine solche Gemeinschaft, die seit 327 Jahren in madjarischem Umfeld lebt, und die seit 327 Jahren ihre Sprache, Kultur und Identität bewahrt hat. Diese Gemeinschaft hat jedoch bereits den Sprachwechsel vollzogen, ihre Mitglieder sind bereits ungarischer Muttersprache, die zwar an den kulturellen und religiösen Tradi- tionen ihrer Ahnen festhalten, diese pflegen, aber die peu a peu und unweigerlich in der ungarischen / madjarischen Gesellschaft aufgehen werden. Das zeigen auch die Ergebnisse der Volks- zählungen und der Wahlregistrierung: Bis zur Eröffnung des Kohlebergwerks im Jahre 1903 war die Bevölkerung von Werisch- war fast ausschließlich deutsch. Laut der Volkszählung von 1910 war nur noch 76,51 % der Bevölkerung deutsch, 2011 bekannten sich nur 28 % zur deutschen Nationalität. Wir wissen, dass wir Schwaben viel mehr sind( etwa 50 % der Bevölkerung), aber die Zahlen sagen dennoch viel aus.
Trotzdem denke ich, dass die Werischwarer Schwaben noch sehr lange, über Generationen hinweg ihre Identität bewahren werden. Diese Gemeinschaft ist stolz auf ihre Herkunft, auf die Sprache ihrer Ahnen, auf ihre Kultur und Geschichte, und pflegt mit Sorg- falt ihre Traditionen. Der lokale Dialekt wird in Kürze vollständig aussterben, aber viele sprechen deutsch, es gibt viele, die regelmä-
4