ßig nach Deutschland und Österreich fahren, lebendige
Freundschafts-, verwandtschaftliche, kulturelle und Geschäftsbe -
ziehungen zum deutschen Sprachgebiet pflegen. Wir haben aus-
gezeichnete Deutschlehrer, Tanzlehrer, Musikkapellen, unser
Jahres veranstaltungskalender ist voll von Nationalitätenprogram -
men, die eine riesige Fangemeinde haben, in jeder Altersgruppe.
Die Deutsche NSVW und die Stadtverwaltung unterstützen die
Bewahrung der deutschen Identität, die Pflege und Erhaltung der
deutschen Nationalitätenkultur bei jeder Gelegenheit. Wenn wir
in manchen Details hin und wieder anderer Meinung sind, sind wir
alle dabei, Werischwar so zu bewahren wie es auch gegenwärtig ist:
als Heimat der zahlenmäßig zweitgrößten deutschen Nationalitä -
ten gemeinschaft Ungarns.
– Herr Bürgermeister, vielen Dank für das Gespräch.
Authentisch und kompromissbereit
Ein Kommentar von Richard Guth
Das Beispiel Werischwar kann ganz schnell Schule machen: Die
Einführung des Englischunterrichts kann im gegenwärtigen
System curricaler, organisatorischer und mentaler Unflexibilität
tat sächlich einen Ausstieg aus dem deutschen Nationalitätenun -
terricht bedeuten. Das Beharren an dem Einen beim völligen
Ausblenden des Anderen kann daher nicht der Weg sein. Mein
geistiges Auge sehnt ein Modell herbei, in dem Deutsch und
Englisch beiderseits ihren Platz finden. Wenn da aber nicht das
Ungarische wäre, das als Amtssprache alles beherrscht und das
Maß aller Dinge zu sein scheint. Drei Sprachen würden die
Kleinkinder überfordern, und würden sie dann überhaupt die
ungarische Sprache erlernen?, so die Reaktion vieler besorgter
Eltern (wie Pädagogen und Bildungspolitiker). Im gleichen
Atemzug dann die Lobeshymnen auf die Mustergültigkeit
ungarischer Minderhei ten politik. Soweit eine Seite der Medaille.
Die andere Seite ist die Verfassung unserer deutschen Natio -
nalität. Vielsagend ist die Tatsache, dass sowohl die Diskussion in
der Stadtverordnetenversammlungssitzung als auch die Berich -
terstattung über diese Schicksalsfrage unserer Volksgruppe in der
lokalen Monatsschrift der zweitgrößten ungarndeutschen Kom -
mune ausschließlich in ungarischer Sprache stattfanden/statt fin -
den. Deutsch ist für viele zu einer Fremdsprache verkommen, so
ist auch die Entscheidung für Englisch statt Deutsch bei vielen
Eltern ungarndeutscher Herkunft zu verstehen. Es fehlt in der his-
torischen Perspektive schlicht an festen Mustern, wie die deutsche
Minderheit authentisch funktionieren könnte. Der Blick über die
Landesgrenzen hinaus (Slowakeimadjaren, Südtiroler Österrei-
cher oder Finnlandschweden) könnte helfen, aber eine Eins-zu-
Eins-Adaption wäre aufgrund der gewaltigen Unterschiede bezüg-
lich Sprachgebrauch, kultureller Muster und politischer Tradi -
tionen dennoch unmöglich.
Worin besteht dann der Ausweg? Ich denke, in den Konstanten
Kompromissbereitschaft und Authentizität.
Denn feststeht: Die Zeit, in der die heile ungarndeutsche Welt
(die seit spätestens der Zeit des aufkommenden madjarischen
Natio nalismus nicht mehr so heil war) noch den Alltag prägte, ist
seit 1945 endgültig vorbei.
Feststeht (2): Es wird nie mehr ein „deutsches Volk in Ungarn”
in seiner Ganzheit geben, denn zu verschieden sind die Biografien
der Ungarndeutschen geworden. Für manche ist Ungarndeutsch -
tum eine feste Konstante, für manche ferne Erinnerung, für man-
che Volkstanz und Musik, für manche die deutsche Zehnuhrmesse
ohne deutsche Predigt, für manche deutsche Ortsschilder, für
manche ein Kulturkreis, für manche Kontakte und Verdienst -
möglichkeit im deutschsprachigen Ausland.
Feststeht (3): Die Gewissheit, dass das Absolvieren des deut-
schen Nationalitätenunterrichts den jungen Menschen sprachlich,
kulturell und bezüglich Identität an die Volksgruppe bindet, ist
eine trügerische. Es ist nämlich nicht so. Das Überangebot an
Iden titätsmustern oder eben die Ablehnung von Identität als sol-
che, weil sie altmodisch, uncool, ungreifbar, unerlebbar usw. ist,
tut das Übrige.
Der Ausweg: Kompromisse eingehen. Es wird so sein, dass in der
Zukunft nicht jedes Werischwarer Kind dem deutschen Natio -
nalitätenunterricht beiwohnen wird (wie auch nicht jedes slowakei-
madjarische Kind eine ungarische Schule besucht). Sie dazu zu
zwingen durch Verbot? Unmöglich. Dann bringen die Eltern diese
Kinder eben an anderen Schulen der Umgebung unter. Problemlos
17 km vom Stadtzentrum Budapests entfernt. Es bedarf auf der
anderen Seite authentische Modelle, die gefragt sind. Denn neben
den 150 Unterschriften pro Englisch stehen genauso viele für den
zweisprachigen Unterricht (deutsch/un ga risch), wie ein Versuch des
Schiller-Gymnasiums vor einigen Jahren zeigte. Dieser Befund
zeigt eines: Der deutsche Natio nalitätenunterricht (nun allgemein)
ist in der heutigen Form reformbedürftig. Sein Image ist fragwür-
dig, er überfordert schwächere Schüler und unterfordert leistungs-
fähige und -willige. Die Schüler verlassen die Nationalitätenschu len
teils mit guten Deutsch-Sprachkenntnissen – aber viele eben ohne
verwertbare. Trotz des hohen Einsatzes vieler Pädagogen erfüllt
diese Form ihre identitätsstiftende Aufgabe nur sehr begrenzt. Der
Ausweg könnte der zweisprachige Unterricht sein, nun als
Kernangebot neben anderen (neben Klassen mit Deutsch- und
Englisch-Fremdsprachenunterricht). Den gibt es bereits in Werisch -
war und den gilt es zu stärken. In institutionalisierter Form (Über-
nahme der Trägerschaft und Sicherung des Fortbestands für die
Gemeinschaft) und insbesondere inhaltlich–organisatorisch (50–
50% statt der jetzigen „Mogelpackung” von 10–10 Fachunterricht
plus 7 Ungarischstunden, Einsatz von Muttersprachlern, Deutsch
als Umgangssprache in der Schule, Austauschhalbjahre im deutsch-
sprachigen Ausland, Paradigmenwechsel in Didaktik und Metho -
dik, klare Definition von (Ungarn-) Deutschsein und Selbstbestim -
mung als (ungarn)deutsche Schule). Das zusätzliche Know-how
könnte das Friedrich-Schiller-Gymnasium beisteuern, das auf lang-
jährige Erfahrungen im zweisprachigen Unterricht zurückblicken
kann. Über die Zusammenarbeit könnte und eigentlich müsste das
Gymnasium aus seiner unfreiwilligen Isolation heraustreten, denn
ein Nonsens ist es ohnehin, dass so wenige Werischwarer Kinder
diese weiterführende Schule wählen. Wenn wir von einer lokalen
Schulstruktur sprechen, dann ist das Schiller-Gymnasium wie
Kindergärten und Grundschulen ein integraler Bestandteil von die-
ser.
Die Einführung von Englisch könnte sogar ihr Gutes tun, denn
wir wissen: Wettbewerb belebt (den Markt). Trotzdem könnte ich
mir als idealistischer Querdenker vorstellen, dass man zweisprachi-
gen Unterricht mit Englischunterricht ab der ersten Klasse verbin-
det. Irgendwie müsste es doch gehen. Vieles ließe sich auf lokaler
Ebene erreichen, vieles bedarf Entscheidungen auf höherer Ebene.
Perspektivisch müsste sogar die einsprachig deutsche Klasse drin
sein, wofür es ja bereits Beispiele woanders in Ungarn gibt.
Wie es nun in Zeiten sich ständig verändernder Rahmenbedin -
gungen (ab dem 1. Januar werden die größeren Kommunen, so
auch die Stadt Werischwar, nicht mehr Teilträger ihrer Schulen
sein) weitergeht, ist sicher nicht gänzlich abzusehen. Dennoch
steht eins fest: Nur als authentisches, wettbewerbsfähiges Modell
wird der „Nationalitätenunterricht” überleben. In Werischwar
und woanders. Für den einen als Garant für die Tradierung der
deutschen Identität, für andere als Sprungbrett für eine Zukunft
im deutschsprachigen Ausland. Am besten sollte man aber auf
den belasteten Zusatz „Nationalität” verzichten.
5