• Aktuelles •
• Aktuelles •
Quo vadis?
Veränderungen und Status quo in der Werischwarer Schul land schaft / ungarndeutsches Bildungssystem am Scheideweg? Von Richard Guth
Ganz unerwartet kam die Entscheidung Ende April nicht: Es brodelte bereits seit Jahren unter der Oberfläche. Ab dem kommenden Schuljahr wird an der Werischwarer Deutschen Nationalitä- tengrundschule am Kirchplatz Englisch als erste Fremdsprache in einer der ersten Grundschulklassen eingeführt. Deutsch werden diese Schüler erst ab der fünften Klasse und lediglich in zwei Wochenstunden lernen. Somit endet ein Modell, eingeführt in der Wendezeit, wonach jeder Schüler an den beiden Werischwarer Schulen die deutsche Sprache von der ersten Grundschulklasse an als so genannte Nationalitätensprache( er) lernt. Einen bedauerlichen Vorfall nennt es Bürgermeister Stefan Gromon, mit dem diese Zeitung ein Interview führte( siehe im Anschluss an diesen Artikel), und spricht von der „ Auflösung” der lokalen Schul- struktur der letzten Jahrzehnte.
Die Profilerweiterung gehe auf eine Initiative der Eltern zurück, die Schule selbst begreife die Einführung von Englisch in der ersten Klasse als eine Profilerweiterung, sie rechne mit dem Bestehen von drei Schulformen in der Zukunft( sprachunterrichtender deut scher Nationalitätenklassenzug, zweisprachiger Klassenzug, Klassenzug mit Englisch als erste Fremdsprache), so Éva Kalmár-Breier, Schul- leiterin der Deutschen Nationalitätengrundschule am Kirchplatz. So entstünde nach Worten von Kalmár-Breier eine Wahlmög lich- keit für die Eltern der Grundschulkinder, denn das deutsch – ungarische zweisprachige Angebot bestünde weiter( mit einer Klassen- stärke von gegenwärtig 16 – 32 Schülern). Zumal We risch war aufgrund der Nähe zu Budapest bereits viele Neuzuge zogene aufgenommen habe, ein Siebtel der Schüler kommen nach Angaben der Direktorin aus anderen Ortschaften. Englisch befinde sich allgemein auf dem Vormarsch, die Unterschriften sammlung für Englisch ab der ersten Klasse hätten sogar We rischwarer schwäbische Familien unterstützt. Diese Entwicklung stellte die Deutsche Nationalitätenselbstverwaltung( DNSVW) vor eine schwere Entscheidung. Sie entschied sich Ende April gegen die Errichtung einer „ Englischklasse”, denn diese würde den Interessen der deutschen Minderheit in Werischwar entgegensprechen, und sprach sich dafür aus, „ neben der deutschen Muttersprache” ab der vierten oder fünften Klasse eine Fremdsprache anzubieten. Obwohl die DNSVW die Gefahren der Einführung offen ansprach, konnte sie die Einführung einer Englischklasse nicht verhindern. Stefan Gromon, als Vertreter des Schulträgers, spricht im SB-Interview von einer schwierigen Entscheidung, die sie durch sorgfältiges Abwägen zwischen Ein zelinteressen und den Interessen der Stadt und der Gemeinschaft getroffen hätten.
Eine genauso wichtige Entscheidung fällte die Stadtverordne- tenversammlung in der Frage der Übernahme der anderen Grundschule der Stadt, der Deutschen Nationalitätengrundschule am Marktplatz, durch die DNSVW Werischwar. Das Gremium entschied sich gegen eine Übertragung der Trägerschaftsrechte, und begründete seine Entscheidung mit wirtschaftlichen, pädagogischen, verwaltungs- und eigentumsrechtlichen Unsicherheiten sowie mit weitreichenden Folgen für die Schullandschaft in Werischwar. Bürgermeister Stefan Gromon sieht keine hinreichenden Sicherheiten finanzieller und eigentumsrechtlicher Natur, vermisst klare Aussagen zu verwaltungstechnischen und pädagogischen Fragen und befürchtet eine Übertragung des
Eigentums an die Landesselbstverwaltung der Ungarndeutschen. Durch die Unterschiede bei der finanziellen Ausstattung beider Schulen gegenwärtig bestünde die Gefahr, dass eine „ reiche”( Marktplatz) und eine „ arme”( Kirchplatz) Schule entstünde, mit weitreichenden Folgen für die Stadt. Gromon ist davon überzeugt, dass „ alle Voraussetzungen finanzieller, personeller und sachlicher Natur gegeben” seien, „ um einen anspruchsvollen deutschen Nationalitätenunterricht( an den beiden staatlichen Schulen, R. G.) durchzuführen.”
Die Deutsche Nationalitätenselbstverwaltung Werischwar räumt bezüglich der Höhe des staatlichen Zuschusses zwar ein, nicht in die Zukunft sehen zu können, aber zeigt sich fest entschlossen, diese Mittel für die Schule aufzuwenden, was der vorgelegte Haushaltsentwurf auch zeigen würde. Das Beispiel anderer Kommunen zeige, dass man dort gewillt sei, das „ Risiko” einzugehen um den Nationalitätenunterricht weiterzuentwickeln. Die Übernahme der Grundschule am Marktplatz würde zudem die Fortführung des Nationalitätenunterrichts auf dem gegenwärtigen Niveau dort sicherstellen. Die Landesselbstverwaltung der Ungarndeutschen( LdU), so DNSVW-Abgeordnete Ibolya Sax, die die Stellungnahme auf der Sitzung vortrug, beabsichtige eine Übernahme von Grundschulen nicht, eine Übertragung der Eigen tumsrechte bedürfte ohnehin der Zustimmung des Eigen- tümers, in diesem Falle der Stadt Werischwar. Das Beispiel des Schiller-Gymnasiums zeige gerade den Erfolg der Übernahme durch die LdU, denn bei einem Status quo gäbe es womöglich keinen deutschen Nationalitätenunterricht mehr an der einzigen weiterführenden Schule der Stadt. Das Plus an Zuschuss würde in der Tat zu mehr Wettbewerb führen, aber das begreift die DNSVW eher als Chance und nicht als Gefahr: Denn die Mehreinnahmen würden der Gemeinschaft zugutekommen.
Auf die Einführung von Englisch am Kirchplatz kommend betont die Stellungnahme der DNSVW, dass eine Überanmeldung an der Schule am Marktplatz geradezu ideal wäre, denn so würden diejenige Eltern ihre Kinder auf diese Schule schicken, die sich mit dem Deutschtum verbunden fühlten, und nicht diejenige( in Anspielung auf Vorwürfe), denen man den deutschen Nationalitätenunterricht aufzwängen würde. Durch diese Veränderungen wäre eine Neukonszipierung der Schullandschaft nötig, denn durch die Einführung von Englisch an der Schule am Kirchplatz würden sich die Schulen unterscheiden. So würde das Angebot insgesamt bunter, was nicht verkehrt sei. Problematisch sei es nur, wenn die eine Schule Möglichkeiten bekäme, die andere hingegen nicht, ergänzte DNSVW-Vorsitzender Ladislaus Sax in der Sitzung.
Die Diskussionen um Übernahme und Nichtübernahme, Profilerweiterungen und Profilwechsel zeigen eines: Das „ Modell Nationalitätenunterricht” steht am Scheideweg. Es bedarf Konzepte, wie man Tradition und Moderne in Einklang bringt. Denn das zarte Pflänzchen der Schulautonomie( in einigen Orten bereits Realität) kann sehr schnell absterben.
Richard Guth stellt Fragen
Interview mit Bürgermeister Stefan Gromon – Werischwar
❖
– Herr Bürgermeister, ab dem nächsten Schuljahr wird an der Schule am Kirchplatz Englisch als erste Fremdsprache in einer ersten Klasse eingeführt. Laut Teilnehmern der Sitzung der Stadtverordneten ver- sammlung war die Entscheidungsfindung nicht leicht. Warum wurde am Ende der Sitzung die Entscheidung dennoch einstimmig gefasst?
2