Sonntagsblatt 4/2013 | Page 5

bliebenen Ungarndeutschen gestaltet werden , oder der Einsatz von Lektoren in Institutionen , in denen auch Angehörige der deutschen Minderheit Deutsch oder Germanistik lernen bzw . studieren sind zu vermelden . Ein langsamer und nicht eindeutig erfolgsreicher Prozess Richtung bilingualer Schulen beginnt , auch auf der Mittelschulebene . Sogar im Kindergartenbereich gibt es erste Schritte in Richtung zweisprachige Erziehung . Nicht zuletzt hat die nach der Wendezeit und nach der politischen , wirtschaftlichen Öffnung des Landes aufgewertete Stellung der deutschen Sprache positive Signale und Impulse für die Ungamdeutschen mit sich gebracht . Der Marktwert des Deutschen in Ungarn ist generell hoch , was von den Angehörigen der deutschen Minderheit erkannt und ausgenutzt wird , sogar in der europäischen Perspektive ist die deutsche Sprache aus der Warte von Ungarn mit vielen Möglichkeiten verbunden .
Innenpolitische Entwicklungen prägten das Bild ebenfalls , die Verabschiedung des Minderheitengesetzes im Jahre 1993 und die darauffolgende neue Struktur der sog . Minderheitenselbstverwaltungen ( Körperschaften die die kulturelle Autonomie durch Wahlen verwirklichen , z . B . Schulträgerinnen werden können ) führten zu einem Neubeleben der Minderheitenaktivitäten in aller Lebensbereichen . Sprachlich gesehen sind folgende Tendenzen festzuhalten : Die Einengung der dialektalen deutschen Kompetenz ist in Westungarn nicht so vorangeschritten wie in der Umgebung von Budapest , allerdings im Vergleich zu Südostungarn , wo auch in der mittleren Generation breite Schichten der Ungarndeutschen produktiv und rezeptiv die deutsche Dialektform beherrschen und sogar in der jüngeren Generation nicht nur vereinzelt diese Kompetenz erscheint ist , der Prozess stärker ausgeprägt . Das Vordringen des Ungarischen wurde unterstützt durch Mischehen und durch das neue Modell der Familie , in der nicht mehr drei Generationen Zusammenleben und die Großeltern die Sprache und Kultur vermitteln . Eine sehr interessante Entwicklung ist bei der deutschen Standardsprache zu beobachten . In der zweiten Phase der Entwicklung gewinnt dieselbe rasch an Bedeutung , so dass sie als Prestigesprache gilt in allen Schichten der deutschen Minderheit . Interessanterweise werden auch in den Schichten , die deutsche Dialektkenntnisse noch aufweisen können , die Kommunikationsdefizite der Dialekte scharf erfasst und bewertet . Es wird gefordert , dass die Kinder oder Enkelkinder in der Schule die Standardsprache erlernen sollen . Vor allem in manchen Intelligenzkreisen der deutschen Minderheit kann man einen demonstrativen Gebrauch dieser Varietät beobachten , meistens verbunden mit minderheitenspezifischen öffentlichen Situationen . Ob dieses neue Vordringen der deutschen Standardsprache zur Folge hat , dass dieselbe als eine Art neue Erst- oder Zweitsprache funktionieren kann , bleibt abzuwarten .
Um die sprachlich-kulturelle Lage richtig beurteilen zu können , müssen die Tatsachen der Möglichkeiten in der Bildung detailliert angeführt werden . Das Schulwesen der deutschen Minderheit in Ungarn funktionierte seit den 80er Jahren der 20 . Jahrhunderts zwar unter besseren Rahmenbedingungen , aber es fehlten die klaren gesetzlichen und fachlichen Fundierungen bezüglich des Minderheitenunterrichts . Die chaotische Situation ist z . T . bis heute noch vorhanden , sogar im Bereich der Terminologie .
Begriffe wie Nationalitätenunterricht , Minderheitenunterricht , Sprachunterricht , zweisprachiger Unterricht usf . wurden sowohl beim Unterrichtsministerium , als auch bei den betroffenen Institutionen bzw . bei den Gemeinde- und Stadträten , die als Institutionsträgerinnen funktionieren , unterschiedlich verwendet und ausgelegt . Hinter den anmutenden statistischen Zahlen des Unterrichtsministeriums über die Anzahl der Schüler , die an einem deutschen Minderheitenunterricht teilnehmen , steckt eine kunterbunte Realität , wobei die meisten Kinder von Angehörigen der deutschen Minderheit keine Schule oder keinen Kindergarten besuchen , die ihren spezifischen Ansprüchen entsprechen würden . Der typische Fall v . a . in kleineren Ortschaften - und bekanntlich leben die meisten Ungamdeutschen in solchen Ortschaften - ist , daß in der Grundschule ( die sich stolz Nationalitätenschule nennt ) de facto Deutsch als Fremdsprache unterrichtet wird . Vielerorts ist dies auch nur in einem Klassenzug der Fall , und alle anderen Stunden bzw . die außerschulischen Aktivitäten laufen natürlich (?!) in ungarischer Sprache . Im Vergleich zu den quasi einsprachig deutschen Minderheitenschulen in Rumänien für die schon größtenteils ausgewanderte deutsche Bevölkerung oder zu den mehr als 100 ebenfalls einsprachigen privaten Schulen der etwa 20 000 Personen umfassende deutschen Minderheit in Dänemark , ist die Lage mehr als kritisch zu betrachten .
Die Landesselbstverwaltung der Ungarndeutschen ( LdU ) registrierte diese negativen Tendenzen und beschloss , dass als Verwirklichung der kulturellen Autonomie die LdU als Trägerin von wichtigen schulischen und kulturellen Institutionen funktionieren sollte . Im ersten Jahrzehnt des 21 . Jahrhunderts wurden wichtige Schulzentren in eigene Trägerschaft der deutschen Minderheit übernommen . Seit 2004 funktioniert in dieser Form die Valeria Koch Mittelschule , Grundschule , Kindergarten und Schülerwohnheim in Fünfkirchen / Pécs ( Südungarn ) und das Friedrich-Schiller-Gymnasium , berufliches Gymnasium und Schülerwohnheim in Werischwar / Pilisvörösvär bei Budapest . Das Ungarndeutsche Bildungszentrum in der Stadt Baja , wird von einer Stiftung getragen , hier nimmt die LdU ebenfalls an der gemeinsamen Trägerschaft teil . Weitere wichtige Institutionen zum Ausbau der kulturellen Autonomie wurden in diesen Jahren ebenfalls gegründet , so das Ungarndeutsche Pädagogische Institut und das Ungarndeutsche Kultur- und Informationszentrum ( www . zentmm . hu ).
Dieser institutionelle Rahmen ist notwendig , um eine Wiederbelebung der deutschen Sprach und Kultur vorantreiben zu können , da der normale Prozess der Weitergabe der Sprache in den Familien kaum mehr möglich ist , aus den angeführten Gründen sind zwei-drei Generationen aufgewachsen , die sich dadurch auszeichnen , dass unter den Angehörigen der deutschen Minderheit prozentual gesehen relativ wenige eine deutsche sprachliche Varietät authentisch beherrschen . Das bedeutet , dass es hier auch darum geht , im Falle einer überintegrierten Minderheit , die sich sprachlich weitgehend assimiliert hat , den Versuch zu starten , den Prozess des Sprachwechsels in Richtung Ungarisch zu unterbrechen . Falls dieser Versuch mit Hilfe eines gut ausgebauten zweisprachigen und langfristig auch z . T . einsprachigen Unterrichtswesens nicht gelingt , führt dies zur vollkommenen Assimilation der Deutschen in Ungarn . Ob es gelingen kann , hängt von vielschichtigen Aspekten ab . Es gibt Beispiele für eine gelungene Reaktivierung einer fast schon in Vergessenheit geratener Sprache ( z . B . Hebräisch , Katalanisch ), aber der Erfolg ist v . a . davon abhängig , ob sich die staatlichen Institutionen dieser Aufgabe positiv gegenüberstehen und unterstützen . Die „ Neubelebungsattitüde ” - also der Wille seitens der Minderheitengruppe zur Belebung der Sprache ist unter den Deutschen in Ungarn nach meiner
( Fortsetzung auf Seite 6 )
5