Sonntagsblatt 4/2011 | Page 9

politischen Raum und impliziert damit eine blühende Minderheitenlage in unserem Land . Welcher Fehlgriff ! Oder , welche Ahnungslosigkeit ?!
Wer den Volksgruppenvertreter der Sudetendeutschen , Bernd Posselt schon erlebt hat , weiß , dass er gut und schnell formulieren kann . Besser wäre , er würde auch bedacht formulieren . Noch besser wäre , Bernd Posselt würde sich , bevor er vorschnell loslegt , kundig machen über das Thema , über das er öffentlich Stellungnahmen abgibt . Wenn Herr Bernd Posselt mehr Ahnung hätte vom geschichtlichen Hintergrund und von der aktuellen Lage der Ungamdeutschen , konkret , wenn er vom bescheidenen Grad der Umsetzung des in Worten so großzügigen , alles versprechenden ungarischen Minderheitengesetzes wüsste , dann hätte er diesen Satz so nicht stehen lassen dürfen . Ganz einfach , weil er dadurch im Gleichklang mit der irreführenden offiziellen minderheitenpolitischen Außendarstellung aller bisherigen Regierungen auch er die ungarische Minderheiten-Wirklichkeit verzerrt darstellt . Weil er damit , gleichsam der ungarischen Selbstpräsentation , in die Irre führt . Aus der euphemistischen Feststellung Posselts vom „ weitbesten Minderheitengesetz ” wird jeder nicht informierte Mensch folgern , auf der ganzen Welt sind mit Abstand in Ungarn die Minderheiten am besten aufgehoben . Ungarn sei also tatsächlich ein Paradies für die Minderheiten ( was wir , unter uns , ironisch als Lachnummer gelegentlich auch sagen ). In Wahrheit sind die Minderheiten in Ungarn am besten Eingeschmolzen . Die ungarndeutsche Wirklichkeit , die jeder , der im Lande mit offenen Augen und sensiblem Gespür für Minderheitenfragen umher geht , erkennen kann , diese Wirklichkeit entlarvt die schöngefärbte Verlautbarung von Bernd Posselt als das , was diese Verlautbarung tatsächlich ist : als Plattheit . Als eine ahnungslose Plattitüde , die die Wirklichkeit völlig ausblendet . Deshalb sollte diese Verlautbarung nicht widerspruchslos stehen bleiben . Die ungarische Regierung wird sich über Posselts Feststellung freuen . Die Führung der ungamdeutschen Volksgruppe wird wie üblich , beredt schweigen .
Ich gehe davon aus , der Sprecher der Sudetendeutschen Landsmannschaft in Deutschland hat keine Ahnung von der Lage der Ungamdeutschen . Dass deutsche Politiker in aller Regel nur sehr oberflächlich über die tatsächliche Lage der Ungamdeutschen ( Sprache , Schulen , Kirche , Führung ) im Bilde sind , ist uns allen bekannt . Nicht erwartet haben wir es von einem exponierten und politisch versierten Vertreter der Sudetendeutschen , die wir in mancher Hinsicht als Schicksalsgeschwister betrachten . Bernd Posselt bedient sich einer eindimensionalen Betrachtungsweise bei der Frage der Minderheiten in Ungarn .
Johann Till
Weinlese im Ofner Bergland ( Zeichnung von Josef de Ponte )
Leserbrief zur sudetendeutschen Meinung über die ungarische Minderheitenpolitik
Minderheiten-Opportunität und Bündnis-Priorität
Nachdem ich die Erklärung des Sprechers der Sudetendeutschen in Deutschland , Herrn Posselt , gelesen hatte , wonach wir es als deutsche Minderheit in Ungarn so gut hätten , weil uns von der Regierung doch das weitbeste Minderheitengesetz gegeben wurde , konnte ich nur noch den Kopf schütteln . Wie kommt ein - doch wohl erfahrener - sudetendeutscher Politiker , der sich in Minderheiten-Angelegenheiten doch auskennen müsste , auf den Gedanken so etwas Unpassendes zu schreiben , wo doch gerade bei uns in Ungarn die Minderheiten fast alle verschwunden sind . Wo doch bei allen Minderheiten ( nur bei den Zigeunern nicht ) nur mehr eine Handvoll Vörzeigepersonen aufzubieten sind . Wo doch gerade bei uns alle Minderheiten bereits ihre Sprache verloren haben und die Identität ihrer Eltern und Großeltern ebenfalls . Könnte man da nicht umsichtiger und tiefsinniger denken und schreiben , fragte ich mich ?
Ich fürchte , dass wirkliche Übel ist nicht die Unachtsamkeit , die Unüberlegtheit oder die Desinformiertheit des Politikers der Sudetendeutschen . Das Grundübel liegt vermutlich viel tiefer . Das Grundübel ist eine historisch bedingte taktische Verhaltensweise seitens der Sudetendeutschen im Verhältnis zu Ungarn und indirekt zu uns Ungamdeutschen .
Die Sudetendeutschen haben in ihrem legitimen Bemühen , historische Gerechtigkeit von ihren Vertreibem , von den Tschechen , zu erfahren , die Magyaren als historisch bedingte Verbündete . Beide Volksgruppen wurden aus ihrer angestammten Heimat , der Tschechoslowakei , vertrieben und beide Volksgruppen warten bis heute vergeblich auf ein Wort des Bedauerns , ein Wort der Entschuldigung von den Tschechen . Im Gegenteil , die Benes- Dekrete werden dort nach wie vor hoch gehalten , die Vertreibung angebracht , berechtigt bezeichnet .
Wir Ungamdeutschen haben just von derselben Nation , auf deren Solidarität gegen die tschechoslowakische Vertreibungspolitik die Sudetendeutschen sich verlassen können , nämlich der ungarischen , Vertreibung , Entrechtung , Enteignung und ethnische Einschmelzung ertragen müssen . Leuchtet es nicht ein , dass in der Frage der Bündnispriorität die Sudetendeutschen bei der Nützlichkeitsabwägung zur Erkenntnis gelangen , dass sie niemals diesen Bündnispartner mit Kritik irritieren ? Auch nicht wegen uns Ungamdeutschen . Von uns haben die Sudetendeutschen in ihrem Kampf um menschengerechte Behandlung und Anerkennung ihres Begehrens kaum Unterstützung erhalten . Von der ungarischen Seite sehr wohl . Von ungarischer Seite fehlt bei der Erwähnung der Vertreibung der Magyaren aus der Tschechoslowakei nur selten der Hinweis , dass die Sudetendeutschen genauso oder noch schlimmer behandelt wurden von den Tschechen als sie selbst . Das verbindet . Das bestimmt Prioritäten .
Der Wunsch und das Bemühen der Sudetendeutschen nach historischer Gerechtigkeit und nach moralischer Wiedergutmachung nach ihrer Vertreibung bestimmt ihre Solidaritätspriorität und diese Priorität liegt nicht bei uns Ungamdeutschen sondern bei den Ungarn . Deshalb haben wir bei den Sudetendeutschen die schlechteren Karten und die Ungarn die besseren . Und damit erklärt sich auch , dass der Repräsentant dieser Volksgruppe , Herr Posselt , die Sichtweise der ungarischen Mehrheitsnation sich zu eigen macht und verbreitet . Dass er ein völlig verfehltes , weil undifferenziert einseitiges , Hohelied auf die ungarische Minderheitenpolitik anstimmt . Opportunistisch gesprochen , weil kurz gedacht , Herr Posselt .
Jakob Müller
Sonntagsblatt 9