Sonntagsblatt 4/2011 | Page 10

Was wird aus den Minderheiten in Ungarn unter der rechten Regierung Orbán ?
von Daniela Capcaroxá , zurzeit in Pécs
Der Ratsvorsitz Ungarns im Ministerrat der Europäischen Union endet Ende Juni 2011 . Ein Thema der ungarischen Ratspräsidentschaft war die Minderheitenpolitik . Leider ist es jetzt um die Minderheiten in Ungarn nicht gut bestellt . Die deutsche und die slowakische Minderheit sowie die südslawischen Minderheiten werden im Land des Csárdás systematisch assimiliert . Das Konzept der Vereinigung der ungarischen Minderheiten im Karpaten- Becken von Viktor Orbán erweckt den Eindruck , dass die ungarische Minderheitenpolitik statt auf die Minderheiten in Ungarn vor allem auf die ungarischen Minderheiten in Anrainerstaaten wie der Slowakei oder Rumänien zielt .
„ Bei der letzten Volkszählung 2001 haben sich zur deutschen Minderheit in Ungarn 100.000 Menschen gezählt ”, sagt die Leiterin des Minderheitenprogramms des ungarischen Fernsehens , die Ungamdeutsche Judith Klein . Von einer halben Million Deutschen , die in Ungarn noch nach dem 2 . Weltkrieg lebten , ist nur ein Viertel geblieben . „ Ein Grund ist die Tatsache , dass ungefähr 200.000 Deutsche nach dem 2 . Weltkrieg vertrieben wurden ”, sagt die 40jährige Reporterin . Für eine starke Assimilation von Minderheiten spricht auch die ständig sinkende Zahl der in Ungarn lebenden Slowaken . Von 200.000 Slowaken , die im 19 . Jahrhundert in Ungarn lebten , bekennen sich heute lediglich 19.000 Personen zur slowakischen Nationalität . Ein Rückgang um mehr als 90 Prozent prophezeit keine guten Aussichten für das Überleben der slowakischen Minderheit in Ungarn .
„ Ein Grund für die Assimilation der Minderheiten ist auch die Tatsache , dass in Ungarn nach 1945 die ungarische Sprache immer auf Platz Eins stand ”, beschreibt Judith Klein die Situation in den Nachkriegszeit-Schulen , die auf Minderheitenbasis gegründet wurden . Das Deutschtum war durch Nazideutschland negativ gefärbt . „ Die deutsche Sprache war nach 1945 verpönt , man durfte sie zum Beispiel auf der Straße offiziell nicht sprechen ”, beschreibt die Deutsche aus Pécs den zweiten Assimilationsgrund ihrer Minderheit . „ Nachdem meine Eltern in die Kreisstadt weggezogen waren , haben sie angefangen miteinander Ungarisch zu sprechen , sie wollten nicht auffallen ”, erinnert sich die Journalistin . „ Es hat sich irgendwie unnatürlich angefühlt , es machten aber viele von uns . Die deutschen Großeltern haben mit den Enkeln noch Deutsch gesprochen , diese antworteten ihnen schon auf Ungarisch . Einer ganzen Masse der Ungamdeutschen meiner Generation erging es so ”, bedauert Klein . Während des Sozialismus wurde die deutsche Minderheit auf eine singende und tanzende Minderheit reduziert , erst in den 70er- und 80er-Jahren wurde das Leben der Minderheiten von der kommunistischen Partei bestimmt , was Nach- und Vorteile hatte .
Ein Vorteil für das Minderheitenleben vor 1989 war die Tatsache , dass die Vertreter der Minderheiten im ungarischen Parlament einen festen Platz hatten . Die Situation hat sich nach der Wende allerdings verschlechtert . „ Seit dem Fall der Berliner Mauer saß im ungarischen Parlament noch kein einziger Vertreter einer ethnischen Minderheit . Stattdessen kommen dort zu den regelmäßigen Tagungen die ungarisch stämmigen Abgeordneten der ungarischen Parteien aus den Parlamenten der Anrainerstaaten wie der Slowakei ”, sagt der slowakische Politologe Michal Horsky . Seine Analysen veröffentlicht regelmäßig auch die ungarische Tageszeitung Népszabadság . Angesichts der immer schwächeren Position der Minderheiten in Ungarn ist nicht verwunderlich , dass die nationalistische Rechtsbewegung Ungarns Jobbik nach den letzten Wahlen einen 16-prozentigen Stimmenanteil im ungarischen Parlament erzielte . Während der Wahlkampagne forderte Jobbik die ungarische Bevölkerung öffentlich zum Rassenhass gegen Roma auf . „ Diese Menschen kann ich immer noch nicht verstehen ”, kritisiert Judith Klein die ungarischen Rechten . „ Wir alle müssen doch in Ungarn Zusammenleben und uns arrangieren , es geht um positives Gruppendenken . Entweder übernimmt man die Verantwortung und versucht , mit dem Anderen auszukommen , oder eben nicht .”
Der Politologe Horsky sieht die Situation komplexer . „ Wenn in einem Land die Politik der ethnischen und kollektiven Außergewöhnlichkeit der herrschenden Nationalität überwiegt , geiaten die Minderheiten in die Diaspora , und das Land neigt stärker zu ethnischen Konflikten . In Zeiten von Wirtschaftskrisen und Sozialkrisen können diese Emotionen zu schweren Konflikten eskalieren ”, fürchtet der 66-jährige Professor . „ Wir sahen es nicht nur Ende der 30-er Jahre des letzten Jahrhunderts , sondern auch während des Krieges der ethnischen Gruppen auf dem Balkan ”.
Im Globalisierungszeitalter werden die Menschen stärker als zuvor aus ihren Volksgemeinschaften herausgerissen . Diese gaben ihnen über Jahrzehnte sozialen Halt . „ Gegenwärtig gibt es einen verstärkten wirtschaftlichen Zwang . Er fing schon während des Sozialismus an ”, erklärt Judith Klein die Anfänge des Zerfalls der deutschen Gemeinde ihrer Eltern . „ Man findet nur Arbeit in der Stadt ; dann löst man sich aus der Gemeinschaft , mit der eigenen Volksgruppe identifiziert man sich immer weniger . In Ungarn leben die Minderheiten eher zerstreut . Das Dorfleben von früher gibt es nicht mehr , die Leute kennen nicht alle auf der Straße , wie es noch vor Jahrzehnten war ” - das sind weitere Gründe für das Schrumpfen ihrer Minderheit . „ Ich persönlich habe außer meiner Arbeit als Chefredakteurin im Minderheitenprogramm nicht mehr so viel mit Deutschem zu tun ”, sagt Klein und bestätigt damit den zwar ungewollten , aber fortlaufenden Entfremdungsprozess der Deutschen gegenüber der eigenen Minderheit .
Eine weitere Ursache für die Entfremdung ist laut Klein die Tatsache , dass die Minderheiten nicht stark genug in der ungarischen Zivilgesellschaft vertreten sind . „ Daran sind wir Deutsche teilweise auch selber schuld . Anderseits gibt es die Zivilgesellschaften auch deswegen nicht , weil ihre Funktion die Minderheiten-Selbstverwaltungsstruktur übernimmt . Sie hat teilweise dieselben Rechte wie eine Zivilorganisation ”, erklärt die Journalistin . Der beschriebene Entfremdungsprozess bei den Ungamdeutschen und -Slowaken findet überraschenderweise bei den ungarischen Minderheiten in den Anrainerstaaten Ungarns nicht statt . Die Aufmerksamkeit , die Orbáns Regierung den nichtungarischen Volksgruppen wie der deutschen , serbischen oder slowakischen im eigenen Land widmen sollte , überträgt sie auf die Volksungam in Rumänien oder in der Slowakei . Da diese von Ungarn über die Grenzen hinweg ununterbrochen unterstützt werden , bleibt die Zahl der Vertreter der ungarischen Minderheiten in diesen beiden Staaten seit Jahren stabil .
Auch die slowakische Minderheit in Ungarn sieht sich durch Orbáns Minderheitenpolitik nicht besonders unterstützt . Der Vorsitzende der Ganzstaatlichen slowakischen Verwaltung in Ungarn Jan Fázik sagte im slowakischen Wochenmagazin PLUS 7dni , dass die Slowaken bereits viele der Vorteile und Rechte verloren hätten . Es gehe um ein gemeinsames Amt der Minderheiten und eine gemeinsame Stiftung , die die Minderheiten unterstützen . Die Minderheitenverwaltungen gehörten einst zu den Amtsgeschäften des Premierministers , jetzt unterstehen sie dem Ministerium für nationale Ressourcen . „ Mit dem neuen ungarischen Gmndgesetz verlieren wir auch den eigenständigen Ombudsmann für Minderheiten . Es wird nur noch einen einzigen Rechtsschützer geben .
10