Sonntagsblatt 4/2011 | Page 2

der Nationalität nicht weiter anhalten ? Und warum sollte sie nicht auch die Muttersprache erfassen ? Ich sehe heute keine Gründe für das Gegenteil , für ein anderes Verhalten , abseits der Volksgruppe zu stehen und zu leben .
Gehen wir von der geschätzten Anzahl der Deutschen in Ungarn ( 200.000- 220.000 ) und von unserem Heute aus , dürfen wir doch optimistisch sein und hoffen , dass sich beim nächsten Zensus viele weitere ungarländische Deutsche zugunsten unserer Volksgruppe entscheiden werden . Darf man gar auf eine weitere Verdoppelung hoffen ? Und in beiden Fragen ?
Was man hofft , glaubt man gern . Schön wär ’ s . Und auch gut und auch erwünscht . Warum ?
Stärke verleiht Ansehen
Die Volkszählung wird unser Wollen , unsere Stärke abbilden . Es ist von vornherein ein gutes , ein angenehmes Gefühl , zu einer seelenstarken , einer seelenstärkeren Volksgruppe zu gehören . Übel oder wohl , Welt und Leben waren und sind nun einmal so : Der Stärkere genießt in vieler Hinsicht mehr Ansehen , kann gewöhnlich - friedlich vorgehend - erfolgreicher Rechte und Förderung erzwingen , seine Interessen wirksamer durchsetzen als der Schwächere . Gehe es nun um Rechte , u . a . um ein gutes Minderheiten-Bildungswesen oder um die staatliche Förderung .
Ihr Älteren habt leicht zu reden , ihr habt die deutsche Sprache mit der Muttermilch geschenkt bekommen , sagten Jugendliche bei einer kürzlichen Begegnung , wobei es auch um die nächste Volkszählung und somit um das Bekenntnis zur deutschen Muttersprache und Nationalität ging .
Stimmt , erwiederten wir Älteren . Wir sind in deutsche Familien , in eine deutsche Gemeinschaft hineingeboren . Unsere ersten Worte erklangen deutsch . Im Elternhaus , auf der Straße , auf dem Weg zur Schule , bei geselligen Zusammenkünften haben wir nur deutsch gesprochen . Die eigentliche Muttersprache war allerdings eine Mundart , die vom Hochdeutschen beträchtlich abwich . Schon im Nachbarsdorf wurde gewöhnlich anders geredet . Bei Begegnungen musste man sich einer Art Umgangssprache bedienen , um einander richtig verstehen zu können . ( Mir persönlich lag und liegt unsere fränkisch-fuldische Mundart besonders nahe . Noch während meiner Studienzeit träumte ich im Schülerwohnheim oft und laut in meiner Mundart . Meine Kameraden haben natürlich kaum was davon verstanden ). Das Hochdeutsche mussten auch wir uns hauptsächlich an Schulen aneignen . Und dafür gab es auch für uns keinen Trichter .
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Klopfen an Tor und Tür
Die trauten , heimeligen Dialekte werden bekanntlich und leider von immer weniger Menschen gesprochen . Unter deutscher Muttersprache verstehen wir heutzutage hauptsächlich die deutsche Schriftsprache . Sie wird europa- und weltweit von vielen Millionen gesprochen und eröffnet zunehmend gute Aufstiegschancen .
Alle ungamdeutschen Jugendlichen müssten die Gelegenheit haben , sich in Kindergarten und Schule die deutsche Sprache gründlich anzueignen . Das setzt ein viel besseres ungamdeutsches Bildungswesen als das jetzige voraus . Die Mängel in diesem Bereich sind sattsam bekannt . Sie müssten dringend behoben werden . ( Das Sonntagsblatt hat das Problem wiederholt aufgegriffen und bestimmt auch brauchbare Vorschläge auf den Tisch gelegt ).
Tatsache ist gleichzeitig : Nicht alle Möglichkeiten werden restlos genutzt . Sollten denn nicht viele Hunderte ungamdeutsche Jugendliche vor Lehranstalten Schlange stehen , hart an Tor und Tür klopfen und laut fordern : Wir sind da , wir wollen da lernen , um uns auch in der deutschen Sprache zu ertüchtigen . Das wäre eine Sprache , die auch die Zuständigen verständen . Dann bestünde Zwang , dem bekundeten Anspruch , den Forderungen der deutschen Volksgruppe zu entsprechen , im deutschen Bildungsbereich wesentlich bessere Voraussetzungen , ein höheres Niveau zu schaffen .
Jeder soll sein , der er ist
Was die Völksgruppenfragen betrifft , muss bei Volkszählungen grundsätzlich die freie , bewusste Entscheidung gelten . Niemand darf bedrängt werden . Maßgeblich ist die innere Überzeugung . Ein jeder kann sich auf seine Herkunft besinnen , seinen deutschen Vorfahren Ehre erweisen . Man kann sich auch aus Zuneigung , aus Liebe zur deutschen Nationalität , zur deutschen Muttersprache bekennen , auch wenn man sie nicht vollkommen beherrscht . ( Wer kann schon von sich behaupten , sie vollkommen zu beherrschen ?) Und es kann ja auch die Vatersprache sein .
Deutsch war wahrlich die Muttersprache vieler Generationen seit der Ansiedlung in Ungarn . Unsere Vorfahren haben sie tatsächlich über viele Jahrzehnte hinweg hochgehalten und treu bewahrt . Viele auch zu Zeiten , als wir auf schwarzen Listen standen , als man uns einschüchterte , als man uns und aller Welt glauben machen wollte , wir hätten unverzeihlich große Sünden gegen das übrigens geliebte ungarische Vaterland begangen , als Entrechtung , Verschleppung , Vertreibung und
Enteignung an der Tagesordnung waren , als die deutsche Sprache verpönt , aus der Öffentlichkeit , aus Kirche und Schule verbannt war . Die deutsche Identität erstickte damals bei vielen im Keim . Das Blatt hat sich längst gewendet
Diese Ereignisse sind Teil unserer Geschichte . Wir können und sollen sie auch nicht einfach verdrängen und vergessen . Die damaligen Geschehnisse haben sich tief eingenistet . Aber sie dürfen doch nicht unser heutiges Denken und Handeln bestimmen . Sie dürfen auch bei der Volkszählung nicht dem freien Bekenntnis im Wege stehen . Auch nicht bei der Erlebnisgeneration . Nur nicht in der Vergangenheit verharren . Das Blatt hat sich doch längst gewendet . Wir leben in einer anderen Welt als vor 20 , vor 40 oder 60 und mehr Jahren .
Welt , unser Leben und auch die Verhältnisse im Land haben sich im Grunde genommen neugeordnet . Und wir sind Menschen dieser Welt , erleben atemberaubende Änderungen . Als ungarische Staatsbürger sind wir heute politisch , wirtschaftlich , gesellschaftlich gleichgestellt , haben die gleichen Möglichkeiten , die gleichen Rechte und Pflichten . Das Wort Ungamdeutsche hat wieder einen guten Klang . Es ist also Zeit , frühere , historisch bedingte Bedenken , wo sie noch bestehen , hinter sich zu lassen , reinen Tisch zu machen . Eigennutz und Gemeinnutz decken sich
Ich meine : Das Durchhalten der damaligen Generationen , ihr Festhalten am Vererbten , am Deutschtum verdienen Achtung und Anerkennung . Man kann sich daran ein Beispiel nehmen . Heute ist es unvergleichlich leichter .
Wer es heute wirklich will , wird Wege finden , sich wohlbegründete Deutschkenntnisse anzueignen . Es ist harte Arbeit , aber harte Arbeit lohnt sich . Und es ist bestimmt eine Investition in die Zukunft , in die eigene und gleichzeitig in die Zukunft der engeren und weiteren Gemeinschaft . Warum soll man nicht auch Rationalität als Antrieb walten lassen ? Heutzutage ist Zwei- und Mehrsprachigkeit praktisch unentbehrlich , neben Fachkenntnis die wichtigste Voraussetzung für das Vorankommen .
Deutsch ist in Europa die meistgesprochene Sprache , wird von vielen Millionen als Muttersprache oder / und als Zweit- oder Drittsprache gesprochen . Vieles weist darauf hin : Ansehen und Wert der deutschen Sprache werden auch hierzu-
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