Darunter sind solche Begriffe wie landwirtschaftliche Zwangskollektivierung , Vergeltungswelle nach 1956 , Ausbau der Parteihierarchie bis ins abgelegenste Dörflein und Agentenwesen . Ritter bietet mit der Befragung der Ungarndeutschen zu diesen Erlebniselementen eine gut nachvollziehbare Vergleichsbasis mit den anderen nichtdeutschen ungarischen Erinnerungen . Nebenbei erscheinen auch ungarndeutschtypische Aspekte - beispielsweise die Kontakthaltung mit den nach Deutschland vertriebenen Verwandten . Diese bundesdeutsch-ungarndeutschen Beziehungen erregten die Aufmerksamkeit der ungarischen Staatssicherheit ( III / II .). In der kommunistischen Ära erlebte das Ungarndeutschtum auch einen sozialen Wandel , der die Nationalität maßgeblich veränderte : In diesen Jahrzehnten nahm die Zahl der Mischehen zwischen Deutschen und Magyaren zu und der Sprachverlust , also die sprachliche Assimilation trat in eine fortgeschrittene Phase . Im Spiegel der kulturellen Repression . kommen bei Ritter auch diese Sichtweisen zur Sprache .
KEINE HOLLYWOOD-STORY
Nachfahre Deutscher aus Ungarn veröffentlicht Familienbuch mit wissenschaftlichem Anspruch
Von Richard Guth
Wie die Zufälle so wollen : Ich bin im Facebook auf einen Nachfahren geflohener Ungarndeutscher gestoßen , der einen Post kommentierte . Und siehe : Frank Hirschinger widmet sich nach seinem eigenem Bekunden seit seiner Kindheit und Jugend der Erforschung seiner Familiengeschichte . Daraus soll ein mittlerweile über 500 Seiten umfassendes Werk geworden sein ( zumeist eigener Text , aber auch eingestreute Reproduktionen von Dokumenten , Fotos und Statistiken ), erst einmal für den privaten Gebrauch . „ Es ist nur zum Teil eines dieser typischen Familienbücher mit sehr persönlicher Färbung geworden , sondern über weite Strecken ein Buch mit wissenschaftlichem Anspruch . Belegt sind alle darin enthaltenen Informationen mit etwa 1000 Fußnoten , die zumeist auf archivalische Quellen verweisen ”, so der in Leutenbach lebende Autor .
Es folgen Auszüge aus dem Vorwort : „ Als ich in den Sommerferien 2006 meine Eltern in Weiler zum Stein ( Gemeinde Leutenbach / Baden-Württemberg ) besuchte , entdeckte ich in meinem früheren Jugendzimmer einen unscheinbaren schwarzen Koffer , dessen Inhalt sich als kleine Sensation entpuppte . Der Koffer enthielt den Nachlass meiner 1986 und 1987 verstorbenen Großeltern Kaspar Hirschinger und Katharina Hirschinger ( geb . Kult ), darunter vor allem Briefe , die meine Urgroßmutter Anna Kult , ihr Mann Franz Kult ( senior ) sowie die beiden Brüder meiner Großmutter ( Valentin und Franz Kult junior ) in den ersten Nachkriegsjahren und zu Beginn der 1950er Jahre in dem kleinen südungarischen Dorf Baar / Bár verfasst hatten . Abgesehen von einem verzweifelten Abschiedsbrief , den mein Großvater im April 1945 in der sicheren Erwartung seines nahen Todes im Lazarett geschrieben hatte , war mir ein Großteil der Briefe und der übrigen Dokumente ( Schulzeugnisse , Arbeitsbescheinigungen , Personaldokumente etc .) völlig unbekannt . Aus zahlreichen Gesprächen , die ich mit meinen Großeltern in den 1970er und 1980er Jahren geführt hatte , kannte ich zwar einige wichtige Ereignisse unserer Familiengeschichte , so etwa Episoden aus dem Militärdienst
Mit dem „ Unterwerfungsnarrativ der Ungarndeutschen ” gelang es Georg Ritter , der bereits ausführlich erforschten ungarndeutschen Zeitgeschichte eine frische , innovative , synthetische Interpretation zu verleihen . Ohne die Erkenntnisse der Geschichtswissenschaft tappen wir im Dunkeln . Aber all die gut bekannten Teilthemen - wie die Volkszählung 1941 , der Volksbund , der Waffen-SS-Dienst , Malenkij Robot oder die Vertreibung – werden bei Georg Ritter durch zeitgemäße , interdisziplinäre Herangehensweisen dargestellt , wo neben den geschichtswissenschaftlichen Dimensionen auch die Forschungspraxis der Soziologie zum Einsatz kommt . Assimilation , Unterwerfungsgefühl , Sprach- und Identitätsverlust - solche scharfzahnigen Drachenköpfe nagen und plagen unsere Nationalität bis heute tiefstgehend . Wie dieser Umstand entstand und was das Heilmittel dafür sei - außer dem wissenschaftlichen Fortschritt bietet uns Ritters Werk einen großartigen gesellschaftlichen Überblick aus den Zeiten unserer Groß- und Urgroßmütter - und vielleicht auch Auswege für die Zukunft .
meines Großvaters während des Zweiten Weltkrieges , Berichte über die Flucht der Großmutter und meines damals 7-jährigen Vaters aus ihrer ungarischen Heimat und den schwierigen Neubeginn in Württemberg . Mehr erfuhr ich jedoch nicht oder ich fragte nicht nach , da mir das Bewusstsein für die Bedeutung bestimmter Fragen aufgrund meiner Jugend und mangelnder Vorkenntnisse fehlte . Bei vielen Erzählungen pflegten meine Großeltern in ihren altertümlichen donauschwäbischen Dialekt zu verfallen , denn sie identifizierten
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