Sonntagsblatt 3/2023 | Page 17

MIKROKOSMOS

EIN SIEBENBÜRGER LEBENSWEG

Im Gespräch mit dem Wissenschaftler Franz-Wilhelm Wanek aus Klausenburg
SB : Ich habe in Ihrem Lebenslauf gelesen , dass Sie offiziell Franz-Wilhelm Wanek heißen – wie wurde aus dem Heltauer „ Sachsenburschen ” ein Siebenbürger madjarischer Wissenschaftler ?
FW : Mein Großvater mütterlicherseits war ein Deutscher aus Schlesien , Anton Tonk . Er fand in Großwardein / Oradea eine madjarische Lebenspartnerin und die Kinder aus der Ehe – bis auf das älteste – wurden ausschließlich in madjarischen Schulen und im madjarischen Kulturkreis sozialisiert und schlossen mit Madjaren Ehen . Alleine meine Mutter , Caroline Tonk , heiratete einen Sachsen aus dem südsiebenbürgischen Heltau / Cisnădie namens Franz-Traugott Wanek . So begann es , dass mein Bruder , Peter-Franz Wanek , und ich mit deutscher Muttersprache und im deutschen Kulturkreis aufwuchsen . Jedoch haben die politischen Folgen des Zweiten Weltkriegs dazwischengefunkt . Am 23 . August 1944 leitete die rumänische Diplomatie eine Kehrtwende ein , trat aus dem Bündnis mit Deutschland aus und stellte sich auf die Seite der Sowjetunion . In dieser Zeit arbeitete mein Vater in Südrumänien bei Ölbohrungen bei Ploieşti . Als er eines seiner Geschwister im Banat besucht hatte und wieder an seinen Arbeitsplatz zurückkehrte - zwei Tage nach dem Seitenwechsel - , wurde er wegen seiner deutschen Herkunft als Feind betrachtet und erschossen . Meine Mutter hielt sich zu dieser Zeit in Heltau auf . Nach der Ankunft der Sowjets wurden die Deutschen zwischen 18 und 45 Jahren zur Malenkij Robot verschleppt - so auch ein Großteil meiner dortigen Verwandtschaft . Meine Mutter blieb ohne Stütze - krank , mit zwei Kindern . So war sie auf die Unterstützung ihrer zwei Geschwister angewiesen , die im Haus der Familie in Großwardein lebten . 1945 zogen wir nach Großwardein . Es war auch dort nicht ratsam , sich als Deutsche zu bekennen – für eine lange Zeit . In der Stadt gab es auch keine deutschen Schulen , so sind wir in ungarischen Schulen und im madjarischen Umfeld aufgewachsen , während wir sehr unter dem Verlust meines Vaters litten .
SB : Der Name „ Wanek “ deutet auf slawische , tschechische Herkunft hin . Wenn wir das mit dem Ingenieursberuf Ihres Vaters zusammen sehen , dann drängt sich der Verdacht auf , dass der väterliche Zweig eigentlich gar nicht waschechte Sachsen beherbergt , sondern Einwanderer aus Böhmen und Mähren ( damals Teil des Habsburgerreiches bzw . der Doppelmonarchie ), die sich irgendwann in Siebenbürgen bzw . auf dem Königsboden niedergelassen haben . Irrt man sich dabei ?
SoNNTAGSBLATT
FW : Nein , das ist Fakt ! Für die Protestanten in Böhmen waren die Zeitumstände im 18 . Jahrhundert wenig günstig . Man suchte Zuflucht im Großfürstentum Siebenbürgen , das für seine religiöse Toleranz berühmt war . Die tschechischen Wanek- Urahnen waren bereits - wie meine in die BRD ausgewanderten Verwandten überprüft haben - Mitglieder in der deutschen evangelischen Gemeinde und schrieben ihren Namen nicht „ Vaňek “, sondern mit W - entsprechend der deutschen Orthografie . Und dann in Siebenbürgen vielfach mit Sachsen verheiratet verlor sich die tschechische Blutsabstammung . Aber auch das ist meins . Auch auf der anderen Linie habe ich einen Tropfen slawischen Bluts .
SB : Sie haben bereits in Großwardein Ihr Abitur abgelegt – inwiefern waren das Sächsische und die deutsche Sprache in der Familie präsent und inwiefern bestanden Verbindungen zur Kleinstadt Heltau ?
FW : In Großwardein hatten wir kaum Gelegenheit , deutsch zu sprechen oder deutsches Wort zu hören . Mein Bruder , der zuerst die deutsche Sprache erlernt hat , vermischte lange beide Sprachen . Unsere Mutter sprach selten Deutsch mit uns . Früher fuhren wir öfters zur zahlreichen Verwandtschaft von Onkel Karl in Heltau , ich erinnere mich noch an die lange , nächtliche Zugfahrt , aber böse rumänische Mitbürger brachten ihn mit falschen Anschuldigungen ins Gefängnis , während der Familie alles weggenommen wurde , so dass sie in ihrem Haus in ein Zimmer und eine gemeinsame Küche eingepfercht wurde . So gab es nicht einmal genug Platz , um sich dort aufhalten zu können , ganz zu schweigen von der Armut , unter der sie litten . Erneut ging es erst als Heranwachsender nach Heltau ( in dem einen Jahr konnte mein Bruder , im anderen ich einige Wochen bei den Verwandten verbringen ). In der Schule haben wir Deutsch als Fremdsprache gewählt - wegen der Erleichterung , da wir immer sehr gut darin waren . Eine betagte Großwardeiner katholische Nonne , Klara Scholz , beschäftigte sich mit uns , um die deutschen Sprachkenntnisse zu vertiefen .
Heltau erscheint vor meinen geistigen Augen auch noch in den 1950ern als eine ruhige , deutsche bürgerliche Stadt , wo der damals bereits betagte Onkel ( ehemals Inhaber einer Bäckerei mit gutem Ruf ), der aus den politischen Gefängnissen entlassen wurde , anerkanntes Mitglied der sächsischen Gemeinschaft war . Übrigens war er ein strenger und pflichtbewusster Mensch - ein richtiges Arbeitstier - , der als richtiger Siebenbürger alle drei heimischen Sprachen beherrschte : Deutsch , Rumänisch und Ungarisch . Er erwies damit jedem die Ehre , wie es ihm gebührte . Dann Anfang der 1960er Jahre machte sich die sozialistische Industriepolitik bemerkbar - damit im Zusammenhang die Einwanderung - und in der zweiten Hälfte des Jahrzehnts setzte sich die Ausreisewelle der sächsischen Bevölkerung in die Bundesrepublik in Gang . Alle meine Verwandten verließen den Ort . Ein gutes halbes Jahrhundert besuchte ich es nicht mehr . Heute ist es nicht wiederzuerkennen . Unabhängig davon ist die emotionale Bindung immer noch sehr eng .
SB : Großwardein war bis in die 1960er Jahre eine Stadt mit überwiegend madjarischer Bevölkerung und einer mehrere tausend Menschen starken jüdischen Gemeinde – was haben Sie als Kind und als Jugendlicher von all dem mitbekommen ?
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