Sonntagsblatt 3/2023 | Page 18

durfte . Danach arbeitete ich in einem Grenzort mit madjarischer Bevölkerungsmehrheit namens Diosig / Bihardiószeg , wo ich im Dickicht der Intoleranz gegenüber Nationalitäten eine Reihe von Konflikten erleben musste . Das konnte ich nicht ertragen . Dazu gesellte sich eine Art Lebenskrise : Ich war mir sehr unsicher , ob ich mich zu einem vollwertigen Künstler entwickeln könnte . Womöglich habe ich die Latte zu hoch gelegt . Aber ich wollte mein Leben nicht als halber Mensch verdingen - zumal unter der aussichtslosen Last der Nationalitätenkonflikte . Es gab ein Jahr , 1968 , als Ceauşescu den Begriff des vielseitig gebildeten sozialistischen Menschen in Umlauf brachte , was eine vielseitige Qualifizierung voraussetzte . Das war übrigens das Jahr , als in der Schulbildung die Umstellung von 11 auf 12 Schuljahre endete und es deshalb keinen Abiturjahrgang gab . Da hat man es jedem erlaubt , ein Zweitstudium zu absolvieren . Ich habe die Gelegenheit genutzt , um wieder zur Naturkunde zurückzukehren , aber auf gar keinen Fall zu Botanik bzw . Biologie , denn der Weg hätte mich wieder in die Schule geführt . Ich wollte einen solchen Beruf wählen , der mir den Weg in die Grundschule versperrte . So entschied ich mich für Geologie .
SB : Das Studium führte sie nach Klausenburg / Cluj ( -Napoca ) und zwar in der frühen Phase der Ceauşescu-Ära , als ähnlich wie in Großwardein die Ansiedlung und Einwanderung von Rumänen in großer Zahl begann . Wie haben Sie das Klausenburg der späten Sechziger und frühen Siebziger erlebt ?
FW : Bezeichnenderweise waren in dem Hof , wo wir wohnten , alle irgendwie deutscher Herkunft , trugen deutsche Namen , aber hatten ein madjarisches Selbstbewusstsein . Das hat bei mir Fragen aufgeworfen und ich musste soweit reifen , um diese doppelten Wurzeln aufzuarbeiten und dazu zu stehen . Seitdem bin ich emotional damit verbunden .
Großwardein meiner Kindheit war ganz anders . Man konnte fast ausschließlich ungarisches Wort hören . Auch das dort ansässige Judentum war sehr stark mit dem Madjarentum verbunden , aber damals in den Fünfzigern glaubten sie stärker an den Kommunismus , dann wanderten fast alle Juden nach Israel aus . Mit der Industrialisierung haben die Rumänen , die in die Stadt zogen , bis heute die Überhand gewonnen . Ich , der ziemlich früh dort weg kam , fühle mich auch dort mittlerweile fremd .
SB : Ihre ( schulische ) Karriere begann als Kunstlehrer , aber nahm schnell eine Wendung zur Geologie – was war der Grund dafür ?
FW : Lange Zeit war das auch für mich ein höchst sensibles Thema . Als Grundschulkind fühlte ich mich - wohl als väterliches Erbe - sehr von der Natur angezogen : Ich wollte Botaniker werden . Aber auch die Künste zogen mich magisch an , so dass ich mich auf Veranlassung meiner Mutter an einer Volkskunstschule mit Nachmittagsunterricht bewarb . Hier traf ich auf ausgezeichnete Lehrer , die mir geraten haben , auf eine Kunsthochschule zu wechseln . Es würde viel Zeit in Anspruch nehmen zu erzählen , welche Misserfolge ich - völlig zu Unrecht - erleben musste . Fakt ist , dass ich fernab von Wünschen und vielleicht auch von Talent lediglich eine Hochschule für Kunstpädagogik absolvieren
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FW : Nun , ich habe sehr bewusst erlebt , dass ich viel länger Student sein durfte als andere . Obwohl es an keiner Uni einfach war , musste ich mich selbst ernähren , da unsere Familie nicht die Mittel dazu hatte . Aber es gab auch Gründe dafür , diese Zeit mit Unbehagen bzw . Angst zu erleben - vor allem die ersten Jahre , da die Geheimpolizei Securitate mich auf perfide Art erpresste , mit ihr als Spitzel zusammenzuarbeiten . Auf göttliche Eingebung entgegnete ich , dass ich das nie tun könnte , da ich Schlafwandler bin und nachts rede . Lange Zeit wollten sie dem keinen Glauben schenken und wussten , dass sie am längeren Hebel sitzen , so dass sie mir lange auf die Pelle rückten . Es war eine erbärmliche Zeit , aber mit der politischen Entspannung 1964 konnte ich den Druck loswerden , obwohl mich die Ängste und auch die Angst vor ihnen bis Dezember 1989 begleiteten . Aber die Studienjahre hatten auch ein anderes Gesicht . Ich konnte mich schnell in die madjarischen und sächsischen Kreise integrieren , mit denen ich gemeinsame Ausflüge und Konzertbesuche machte . Damals gab es noch eine gewisse Tradition des deutschen Bürgertums des Mittelalters und der Frühen Neuzeit , wenngleich madjarisiert , aber dennoch mit einem Hauch sächsischen Selbstbewusstseins . Vielleicht fühlte ich mich in ihrem Kreise befreit bzw . am befreitesten .
In den ersten Studienjahren war Klausenburg noch mehrheitlich madjarisch , jeder sprach Ungarisch . Bis zur zweiten Phase des Studiums nahm der Anteil der Sachsen spürbar ab , trotzdem war es noch eine starke Gemeinschaft . Der große Umbruch fand in den letzten Jahren meiner Studienjahre statt , Anfang der Siebziger , als neben der forcierten Industrialisierung der Stadt mit dem Bau eines neuen Stadtviertels namens Abtsdorf / Cluj- Mănăștur begonnen wurde , wo sich 120.000 Einwanderer vornehmlich von jenseits der Karpaten niederließen . Etwa ein Drittel der Bevölkerung der Stadt von damals ! Als ich mit dem Studium fertig wurde , erwartete mich eine andere Welt .
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