Sonntagsblatt 3/2023 | Page 12

miterlebt und eine - sagen wir - verspätete Trümmerliteratur geschaffen , die mehr die Absicht zu dokumentieren in sich trug , als mit literarisch-ästhetischen Ansprüchen vor das damals noch interessiertere Publikum zu treten . Dieses Publikum , das weniger aus Lesern als aus Teilnehmern von Lesungen bestand , wollte die späte Verarbeitung seines geschichtlichen Traumas gerne und dankbar bestätigt haben und quittierte so die Aufführungen voll Anerkennung .
Es gab eine Nachfrage nach diesen Zeilen , die wir getrost als Literatur bezeichnen können , denn der Anspruch der sie aufs Papier setzenden Autoren ist die Wahrheit , die nicht verschönernde Dokumentation gewesen - für Leidensgenossen und die Nachwelt zugleich gedacht . Die Ehrlichkeit alleine ist in diesem Fall bereits eine Art der Kunst . Schmerzlich zu sehen ist , wie diese Grundsteine unserer Volksgruppe nach und nach unberücksichtigt bleiben , statt sie zu Pfeilern unserer Identität zu erheben .
Zu Zeiten der sozialistischen Jahrzehnte geborene Autoren und Schreibende besannen sich allgemein auf ihre Volksgruppe . Es eröffneten sich vor ihnen Horizonte und es gerieten ihnen auch Missstände in ihr Blickfeld . Diese Autoren versuchten die Missstände mithilfe ihrer nach und nach schrumpfenden sprachlichen Basis - die aus dem Verschwinden der gesprochenen deutschen Sprache aus dem ungarischen Alltag resultiert - doch und dessen zum Trotz zu meistern und auch literarischen Grundansprüchen gerecht zu werden . Jedenfalls gelang es damals , bis in das Bewusstsein germanistischer Kreise auch im deutschsprachigen Ausland vorzudringen , ja auch gewisse Anerkennung neben der nackten Akzeptanz der Tatsache der puren Existenz zu ernten .
Hierzulande hat sich ein Kreis von Kritikern etabliert , der nicht alleine während der jährlich stattfindenden Werkstattgespräche der Gruppe der Autoren hilfreichen Beistand in den Fragen von Sprache und Literatur ( ja , auch der Grammatik !) geleistet hat , sondern nicht zuletzt Diskussionen bei Tagungen und in der Medienöffentlichkeit über die ungarndeutsche Literatur entfachte und führte . Meiner Meinung nach stand die Aufnahme der literarischen Produktion dieser Zeit in unserer Volksgruppe zu gewissen Momenten knapp davor , als identitätsbegleitender und auch bewusstseinsfördernder Faktor ins Alltagsleben unserer Volksgruppe einzudringen . So wäre es dieser Literatur endlich möglich geworden , ihre wahre Rolle in den Bereichen der Minderheit einzunehmen .
Die Wende entfachte große Hoffnungen . In dem Bereich der Autoren resultierte aber aus der neu entstandenen Situation ein jahrelang andauerndes Schweigen . Es war nicht abzusehen , welcher Weg sich vor unserer Volksgruppe in der lange herbeigesehnten Situation der Freiheit nach den verschwundenen Zwängen der Ideologie eröffnet . Ungarndeutsche Autoren fanden nicht ihr Wort , sich an die Spitze ihrer Volksgruppe zu wagen , stattdessen hat es sich gezeigt , dass diese Nische nicht die Kultur , sondern die anschmiegsame Politik der Nationalität einnimmt .
Der Kreis der Schreibenden begann zu altern und auch durch das frühzeitige Ableben mancher Hoffnungsträger der ungarndeutschen Literatur zu schrumpfen . Andere stellten sich hingegen statt der doch zeit- und kraftaufwendigen Gedankenstrickerei handgreiflicheren Nöten des Gelderwerbs in den Dienst und verschwanden aus dem Zirkel ungarndeutscher Autoren auch ins Ausland – vielleicht aber nicht für immer .
Um einer drohenden Tendenz der Auflösung entgegenzutreten , hat man in den 2000er Jahren wiederholt den Versuch gestartet , durch erneute Preisausschreiben der Neuen Zeitung Leute zu finden , die eine ungarndeutsche Literatur durch jugendlichen Schwung für eine neue Zeit in Worte fassen sollten . Rücksichtsvoll und nachgiebig ging man vor und nahm es in Kauf , sich auch von bitter notwendigen Kriterien handwerklichen Könnens und letzten Endes einer zuvor bereits erreichten und erwarteten Qualität in der Hoffnung zu verabschieden , dass all das später noch nachzubessern sei .
Die erwartungsvolle Haltung , die auf wissenschaftlich-literaturkritischer Basis beruht hat , ist aber gegen eine technisch einfacher zu verwirklichende Milde eingetauscht worden , die wenig nach Talent fragt , hingegen aber persönliches Engagement respektiert , ja dies sogar fördert , sich damit begnügt und sich dadurch scheinbar völlig zufriedenstellen lässt .
Die Nationalitätenpolitik geht mit einer unscharfen Waffe einfacher um als mit Worten , die nach Taten und Leistungen schreien , hinterfragen , fordern und herausfordern - wie dies ebenfalls zu den Prinzipien einer Literatur zählt . So begleitet gerade ein Hohlworte-Trommeln die Zur-Ruhe-Bettung unserer bescheidenen Literatur , die einst nicht nur bessere Tage gesehen und erlebt , sondern auch eine Aufgabe wahrgenommen hat – und die es fast „ hätte geben können “, wie dies Valeria Koch in einem ihrer Zweizeiler über eine bitter gewordene Illusion ( über sich selbst ) ausspricht …

( MUTTER- ) SPRACHERFAHRUN- GEN

Von Richard Guth
Schulische Sommerferien bieten für mich immer die Möglichkeit , mein gewohntes Umfeld zu verlassen und mich auf Erkundungstouren zu begeben . Nicht anders war es in diesem Jahr , als meine Reise in den Nordosten Rumäniens und in die Slowakei führte .
Dabei beobachte ich immer mit großem Interesse , wie auslandsdeutsche oder madjarische Minderheitengemeinschaften mit dem sprachlichen Erbe umgehen . Dabei durfte ich mannigfaltige Erfahrungen sammeln . Sogar im Kreise der Sathmarer Schwaben , die als Beispiel für „ gelungene ” sprachliche Assimilation galten ! Auch wenn es mehrfach politische und zivilgesellschaftliche Versuche gab , den Sathmarer Schwaben die süße Muttersprache „ zurückzugeben ” - zuletzt nach der Wende - , scheiterte dies wohl an zähen Traditionslinien und dem Gewohnheitsrecht .
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