Ortswechsel : Westungarn , ein Gebiet , das lange als tiefreligiös galt . Chrobotische ( kroatische ), deutsche und madjarische Gemeinden wechseln sich ab , ich halte an einer der frisch renovierten Kirchen in einer deutschen Gemeinde und komme mit der Sigristin ins Gespräch . Ich will wissen , wie rege die Gottesdienste besucht werden . Auch hier ein ähnlicher Befund : Gerade unter der Woche fänden sich meist nur ältere Gemeindemitglieder ein , um die Heilige Messe zu feiern . Viele der Älteren zögen dem Gottesdienst Fernsehserien vor , was der Pfarrer auch schon mehrfach moniert habe .
Jahrhundertelang bildete der christliche Glaube , ob katholisch , evangelisch-lutherisch oder reformiert-calvinistisch , das Rückgrat unserer deutschen Identität in Ungarn , zumal er auch einen starken gemeinschaftsbildenden Charakter volkskirchlicher Prägung hat ( te ). In der Regel bis Ende des Zweiten Weltkriegs war kirchliches Leben in den meisten Dörfern deutsch oder mundartlich geprägt ( und mancherorts auch danach ), auch wenn gerade die Katholische Kirche eine Vorreiterin der Madjarisierung war . Auch wenn die Rolle der Kirchen bei der Bewahrung von Identität und Sprache – auch wegen der vorgenannten Gründe - bei weitem nicht so stark war wie im Kreise der evangelischen Siebenbürger Sachsen und Landler und ( welch ein Wunder !) der katholischen Banater Schwaben , hielt die kirchliche Bande die Gemeinschaft zusammen und war identitätsstiftend .
Nach der Auflösung der Dorfgemeinschaften durch Vertreibung , Industrialisierung , Landflucht und neue Formen der Migration ins Ausland , bei Zunahme der Mischehen und weiterhin fehlendem muttersprachlichem Unterricht in der Fläche mit Folgen für die Weitergabe der deutschen ( Mutter- ) Sprache wankt somit ein weiteres Standbein unserer Identität .
Die Frage wird daher sein : Reicht die Pflege bühnenkulturellen Erbes langfristig aus , um uns weiterhin als deutsche Gemeinschaft definieren zu können ?
OHNE MAXIME – GERADE GUT GENUG
Von Robert Becker
Nicht aus den Gründen persönlichen Betroffen- Seins , weil ich in der Sache involviert bin , vertrete ich die entschlossene Meinung , wonach die Höchstleistung des Deutschtums im Ungarn der Nachkriegszeit es ist , eine eigene Literatur aus der Tiefe historischer Vergessenheit sowie mancher Schubläden zutage gefördert zu haben . Dabei möchte ich nun auf die begleitenden Umstände , wie - wo diese Literatur uns heute begegnet , welche ihrer Erscheinung gewürdigt und auf welche Weise , welche ihrer Art und Form gefeiert wird oder welche ihrer Inhalte und Manifestationen unberücksichtigt bleiben - nicht eingehen .
Das Preisausschreiben „ Greift zur Feder “ Anfang der siebziger Jahre hatte für die deutschsprachige Literatur in Ungarn einen reanimierenden Charakter . Selbst dann , wenn es den Anschein eines Versuchs mit ungewisser Erfolgschance nicht entbehrt hat ! So – und gerade deshalb – sind all diejenigen , die es initiiert haben , aus der heutigen Sicht dafür nicht genug zu loben , diesen Versuch gewagt zu haben . Es ist nämlich nichts Selbstverständliches , dass ein in Resten zerstreutes Volksgrüppchen , das unterwegs ist , ohne seine Sprache im Alltag zurechtzukommen - oder endgültig zu verschwinden - noch Kräfte aufbringt , sprachliche Manifestationen hervorzubringen .
Literarische Tätigkeit – selbst Reimschmiederei – ist eine produktive Arbeit , so bedeutend mehr als ein reproduktives Handeln , was das Alte , schon Dagewesene , das Vorhandene kopiert , nachahmt , konserviert oder beschreibt . So würde die deutschsprachige Literatur in Ungarn nicht alleine eine Berücksichtigung verdienen , sondern den Status eines Existenzbeweises der gesamten Volksgruppe .
Bei dieser Bemerkung soll man aber einmal Halt machen . Ist die Literatur der Ungarndeutschen überhaupt in der Volksgruppe verankert ? Kennt man sie , interessiert man sich überhaupt für sie ?
SoNNTAGSBLATT
Wird sie noch als gut genug erachtet , sie als eine eigene Qualität zu respektieren und sie so zu konsumieren ?
Ich denke , es ist vor dem Publikum hierzulande eher ein marginales Bewusstseinselement , dass es so etwas wie eine ungarndeutsche Literatur gibt . Wer studierter Mensch ist , wird sich selbst noch als zu gut dafür empfinden , sich mit etwas zu befassen , was das Wort „ minder- “ in sich trägt , wie es bei der Minderheitenliteratur der Fall doch gerade ist . Wiederum diejenigen , die Floskeln aus dem schulischen Erfahren von Auswendiglernen und der banalen Frage danach , was der Dichter wohl bei seinem Gespinst gedacht habe , noch als plagende Erinnerung in sich tragen , werden irritiert sein , Zeilen zu begegnen , die eventuell ohne Reime in die Belange von Verständnis und Nachdenken vorzudringen einen Anspruch erheben .
So ist es , dass die Literatur der Deutschen in Ungarn ohne Basis ihre Existenz in einem parallelen Universum fristet . Ziemlich willkürlich ausgewählte Texte werden im Schulischen dazu verwendet , sie als Pflicht zu gegebenen Momenten wie Rezitationswettbewerben zu büffeln und sie auswendig lernen zu lassen – vielleicht ohne sie selbst verstanden zu haben - dann sie vorzutragen , wie meist falsche Kunststücke der Jury zum Besten zu geben , oder in der studentischen Laufbahn armen Germanisten aufzutragen , sie nach gegebenen Aspekten der Entfremdung unter die Lupe zu nehmen .
Will aber die ungarndeutsche Literatur selbst überhaupt noch mehr als das ? Erwartet man von ihr noch etwas mehr ? Nun , zu Beginn , in den Jahrzehnten von – sagen wir : 1973 bis zum Anfang der 2000er Jahre - gab es Vertreter einer Generation , die vor dem Zweiten Weltkrieg noch bessere Tage einer sprachlich quasi intakten Volksgruppe in ihrer Erinnerung trugen . Diese Generation hat die Entrechtung und die Vertreibung selbst auch
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