Sonntagsblatt 3/2022 | Page 25

landdeutschen Familien : Die Angehörigen dieser Generation wurden durch ihre Eltern zunächst meist dialektal sozialisiert , das Russische wurde jedoch immer mehr zur Primärsprache . Dadurch , dass der Dialekt der Eltern immer seltener abgerufen wurde , wurden die Kenntnisse darin irgendwann nur noch passiv beherrscht . Der Dialekt wurde mit der Zeit fast ausschließlich auf die Kommunikation mit den Eltern beschränkt oder sogar ganz aufgegeben , wenn die Eltern dem Druck der Umgebungssprache Russisch – auch sie kamen in meist ausschließlich russischsprachige Arbeitsverhältnisse – nachgegeben hatten und Russisch zur Familiensprache wurde . So setzte sich in vielen Familien nicht nur Russisch als Primärsprache durch , sondern wurde an die nächste , nämlich dritte Generation ( der nach 1975 Geborenen ) auch als Erstsprache weitergegeben . Die russlanddeutsche Mundart wurde immer mehr ins Private als Familiensprache verdrängt . Es gab aber auch Familien , die sich der Sprachrepressionspolitik in der ehemaligen Sowjetunion widersetzten und die russlanddeutschen Dialekte am häuslichen Küchentisch beibehielten .
Gleichzeitig konnten Angehörige der zweiten Generation an russischen Schulen auch das Hochdeutsche als Fremdsprache ( zum Teil als Muttersprache ) erlernen . Diese Kenntnisse konnten nach der Umsiedlung in die Bundesrepublik Deutschland in Sprachkursen verbessert werden , wodurch eine sogenannte Verhochdeutschungs- und Anpassungswelle durchgemacht wurde . Dies äußerte sich beispielsweise darin , dass diese Generation der Aussiedler in der Öffentlichkeit weder den russlanddeutschen Dialekt noch Russisch sprach , sondern das Hochdeutsche gebrauchte , das nicht selten regional oder dialektal gefärbt war und z . T . russischsprachige Elemente enthielt . Auch innerhalb der Familie wurde vermehrt Hochdeutsch etabliert . Das betrifft vor allem die Aussiedler der ersten Einwanderungsphase in die Bundesrepublik bis 1993 . Für Spätaussiedler der folgenden Einwanderungsphase ( ab etwa 1994 ) spielte in der Familie häufig die russische Sprache eine wesentliche Rolle .
Folglich wuchs die dritte Generation entweder mit Hochdeutsch oder Russisch , in deutsch-russischer Zweisprachigkeit oder einer Gemengelage eines » russlanddeutschen Hochdeutsch « auf - von » russlanddeutschdialektalen « sowie russischsprachigen Merkmalen durchsetzt . Letzteres wird von Sprechern z . T . als » Mischmasch « oder » Aussiedlerisch « bezeichnet . Die Mundarten der Eltern und vor allem der Großeltern werden im Allgemeinen nicht mehr beherrscht , wie die beiden folgenden Beispiele zeigen :
( 4 ) Eigentlich haben meine Eltern mit mir Deutsch gesprochen . Deutsch … Deutsch-Schwäbisch in ihrer Form , wie sie ’ s … ja , Russisch / Deutsch / Schwäbisch ! Also ich glaub so ’ ne Mischung . Also sagen wir ’ s mal so : Die haben gerne deutsche Verben auf Russisch dekliniert [ sic ], also spazirivalat oder sowas .
Diese beiden Sprecherinnen wuchsen – wie für ihre dritte Generation charakteristisch – in einer zweisprachigen , wenn nicht sogar mehrsprachigen Umgebung auf . Je nach familiären Umständen wurden sowohl russische und deutsche Sprachkenntnisse erworben als auch ein russlanddeutscher Dialekt durch die Großeltern zumindest passiv erlernt . Gleichzeitig gibt es in der zumeist zweisprachigen Kommunikationsgemeinschaft der Deutschen aus Ländern der ehemaligen Sowjetunion auch solche , für die Einsprachigkeit der Normalfall ist , was nicht selten bedauert wird , wie folgende Sprecherin der dritten Generation im Gespräch ihrer Mutter gegenüber äußert :
( 5 ) Ja , aber ich gebe dir auch einen Rat : Vielleicht sprichst du mit mir doch mal Dialekt , weil ihr die letzte Generation seid , wo das noch spricht . Wir sprechen das nicht mehr .
Einen russlanddeutschen Dialekt beherrschen viele der dritten Generation schon nicht mehr . Die Vitalität der russlanddeutschen Dialekte ist rückläufig . Und doch gibt es noch Hoffnung : Zuweilen – nicht oft , aber oft genug – stößt man auf Sprecherinnen und Sprecher der dritten Generation , die im Gespräch nicht einmal tief kramen müssen , um aus ihrem Gepäck plötzlich das Schwäbisch ihrer Großeltern aus dem Kaukasus hervorzuholen und es sogar als Muttersprache zu bezeichnen :
( 6 ) Es fällt auf erschtmal , dass hier in der Gegend – au wenn da schwäbisch gschwätzt wird – dass es annerscht Schwäbisch isch als des meiner Großeltre als mei eigentliche Muttersprach .
Schlussendlich ist die Sprachwahl im Alltag von der Kontaktintensität mit dem direkten Umfeld und der Empfängergesellschaft geprägt : Je enger diese aufgrund eines binnendeutschen Ehepartners , binnendeutscher Freunde , Arbeitskollegen und so weiter ist , desto mehr dominiert Hochdeutsch oder regionaldeutsch orientierte Einsprachigkeit . Gleichzeitig gilt : Je intensiver der Kontakt und die Pflege einer russlanddeutschen Varietät innerhalb der Familie betrieben wird – etwa in der Kommunikation mit den Großeltern –, desto eher bleibt diese Varietät erhalten .
https :// www . kulturforum . info / de / kk-magazin / epochenalias / 8518-sprache-im-gepack
( 3 ) In Russland , da haben wir ganz viel Plautdietsch gesprochen . Fast nur . Aber hier sprechen wir eigentlich nur noch Hochdeutsch . […] Mit den Kindern sprechen wir nur Hochdeutsch . Ein paar Wörter in Platt bekommen sie von den Großeltern schon noch mit , aber sie sprechen nur Hochdeutsch .