Sonntagsblatt 3/2022 | Page 22

„ LÄNGST ANGEKOMMEN ”

RUSSLANDDEUTSCHER BESUCH AUS SCHLESWIG-HOLSTEIN
VON RICHARD GUTH
Seltenen Besuch erwarteten vor einigen Monaten JBG und Sonntagsblatt . Viktor Pretzer aus dem deutschen „ hohen Norden ”, genauer gesagt aus Schleswig-Holstein , verweilte bei uns , Ungarndeutschen . Eine der Stationen führte ihn auch nach Sexard , zur Deutschen Bühne Ungarn , wo er nach eigenem Bekunden wertvolle Gespräche mit Intendantin Katharina Lotz führte – eine Reise , die ihm „ die Augen geöffnet ” habe , unter anderem bezüglich dessen , welches Potenzial Ungarn und die deutsche Gemeinschaft besäßen . Das wichtigste Erlebnis für ihn sei die Erkenntnis gewesen , dass man Kultur anders erhalten könne .
Viktor Pretzers Interesse für die Deutschen in Ungarn ist dabei kein Zufall – er ist Wolgadeutscher . In Kustanaj , Kasachstan , in der Verbannung geboren , flüchtete Pretzer Anfang der 1990er Jahre vor dem erstarkenden kasachischen Nationalismus nach Russland , nach eigenem Bekunden machte er sich Sorgen um das Wohlergehen seines kleinen Kindes . Er verbrachte mit seiner Familie zehn Jahre in der ehemaligen Hauptstadt Ostpreußens Königsberg , heute Kaliningrad , bevor er 2002 nach Deutschland übersiedelte . Eine Entscheidung , die ihm nicht leicht gefallen sei : „ Ich zähle mich zu den deutschen Nationalschauspielern . Nach meiner Übersiedlung nach Königsberg habe ich mit anderen das Deutsche Nationaltheater gegründet , was aber kaum Unterstützung erfuhr . Daher stand ich vor der Entscheidung : Kampf oder kein Kampf . Die
Schließung des Theaters war für mich ein Trauma , denn das Schauspielhaus ist für einen Schauspieler wie das Werk für einen Fabrikanten ”. Er sah nach eigenen Angaben die Auswanderung als die einzige Chance an , aber „ glücklich hat es mich nicht gemacht , denn ich bin immer noch sehr stark mit der Heimat , deren Geschichte und Kultur verbunden . Hier in Norddeutschland stößt man zudem auf kein Verständnis , keine Förderung oder Zusprache ”, erzählt der Kulturschaffende .
Die Zeit in Königsberg sei an der Familie nicht spurlos vorübergegangen , denn die Stadt sei zur zweiten Heimat geworden . Anfang der 1990er Jahre siedelten sich laut Pretzer Deutsche an , die in der Heimat bleiben , aber näher zu den Verwandten in Deutschland sein wollten . Um 1995 herum rollte eine Hasswelle gegen die Deutschen über den Landstrich , man hätte eine Germanisierung des Kaliningrader Gebiets befürchtet , obwohl sich lediglich 5000 bis 20.000 Menschen dort angesiedelt hätten . Eine evangelische Propstei , ein deutscher Verein namens „ Eintracht ” und das Theater standen der deutschen Gemeinschaft zur Verfügung . Das Gebiet selbst verfügte damals nach Pretzers Erinnerungen über kaum Infrastruktur , schlechte Wohnungen und eine schlechte Versorgungslage . Nach 16 Jahren kehrte Pretzer dieses Jahr wieder nach Russland zurück , diesmal als Besucher in ein Land , das sich verändert hat : „ In Russland leben ungefähr noch 400.000 Deutsche , in Kasachstan